Ton bleibt Ton: Wie Radionuklide am Wirtgestein im Tiefenlager haften

Forscher des Paul Scherrer Institutes PSI und der Ungarischen Akademie der Wissenschaften haben in einem EU-Projekt grundlegende Eigenschaften von Tongesteinen in einem Tiefenlager für hochradioaktive Abfälle untersucht. Die Forschungsergebnisse des PSI zeigen, dass die am Opalinuston-Gestein gewonnenen Erkenntnisse auf das in Ungarn vorkommende Bodaton-Gestein übertragen werden können. Beide Tongesteinsarten werden in den jeweiligen Ländern als potentielle geologische Barrieren für ein Tiefenlager angesehen. Neben den erzielten Erkenntnissen diente das Projekt auch dem intensiven Wissens-Austausch.

Die Forscher Rainer Dähn und Bart Baeyens mit Proben von Opalinus- und Bodaton-Gestein. Foto: Paul Scherrer Institut/Markus Fischer.
Abb. 1: Radionukliden können durch verschiedene Mechanismen an Gesteinen haften. a) elektrostatisch, b) Einbau ins Gestein, c) chemische Bindung, d) Bildung eines neuen Festkörpers. Bild: Paul Scherrer Institut.
Abb. 2: Schematische Darstellung der Aufnahme von zweiwertigen Übergangsmetallen (in gelb) an den Kanten eines Tonpartikels.Bild: Paul Scherrer Institut.
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Weltweit werden bei der Planung von Tiefenlagern für hochradioaktive Abfälle geologisch stabile, praktisch wasserundurchlässige Gesteine in Betracht gezogen. Dabei sollen natürliche Barrieren (Wirtsgesteine) und technische Sicherheitsbarrieren die Mobilität der in den Abfällen vorkommenden Radionuklide reduzieren und maximale Sicherheit über lange Zeiträume gewährleisten. Je weniger mobil Radionuklide sein werden, desto grösser ist der Anteil, welcher im Gestein zerfällt und die Biosphäre nicht erreicht.

Um die Mobilität der Radionuklide vorhersagen zu können, müssen die Forscher die Vorgänge, die das Haften von Radionukliden an Gesteinen steuern, auf molekularer Ebene verstehen. So sind beispielsweise Radionuklide die durch elektrostatisches Haften gebunden sind, eher mobil, als solche die durch chemisches Haften, Einbau im Gestein oder Neubildung von Festkörpern dauerhaft eingeschlossen werden (Abb. 1). Bisherige nasschemische und Synchrotron-basierte Untersuchungen am PSI zeigten, dass Radionuklide besonders stark an Tongesteinen haften. Der Grund dafür liegt darin, dass die zum grossen Teil positiv geladenen Radionuklide starke Bindungen mit den negativ geladenen Oberflächen des Tongesteins eingehen.

Opalinuston und Bodaton im Vergleich

In der Schweiz setzt man deshalb bei der Suche nach einem Standort für die geologische Tiefenlagerung von hochradioaktiven Abfällen auf Gebiete mit tonreichen Gesteinen. In Zusammenarbeit mit der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (NAGRA) erforscht das PSI seit mehr als zehn Jahren solche tonreiche Wirtsgesteine. Während die Schweiz sich für den Opalinuston entschieden hat, ist in Ungarn der Bodaton vorgesehen. Beide Wirtsgesteine bestehen zum grossen Teil aus Mineralien der Klasse der Schichtsilikate, die unter dem Namen Illit zusammengefasst werden. Es handelt sich dabei um dreischichtige Tonmineralien, bestehend aus einer Aluminium-Oktaeder-Schicht, umgeben von zwei Silikat-Tetraederschichten.

Opalinuston und Bodaton sind beides Sedimentgesteine, wobei der Opalinuston ein Meeressediment, und der Bodaton ein Süsswasser-Seesediment ist. Daraus resultieren Unterschiede zwischen beiden Gesteinsarten, so ist etwa im Bodaton das Eisenmineral Hämatit vorhanden, das dem Gestein seine rote bis rot-bräunliche Farbe verleiht.

PSI-Forschende haben sich gemeinsam mit Kollegen aus Ungarn mit der Frage beschäftigt, inwiefern Bodaton und Opalinuston gleiche Sorptionseigenschaften haben, d.h. ob sie die gleichen Radionuklide gleich effektiv zurückhalten. Hintergrund dafür war die grundlegende Frage, welche Mineralien in Tongesteinen für die Aufnahme der Radionuklide sorgen.

Sorptionsmodelle auf dem Prüfstand

Die Experimente an komplexen Tongesteinen sollten als Prüfstein für ein von PSI-Forschern entwickeltes theoretisches Modell der Sorption an Illit dienen. Mit ihrem Modell versuchen die PSI-Forscher zu verstehen, wie einzelne Mineralien im Opalinuston die Radionuklide aufnehmen. Daraus können sie dann die Sorptionskapazität von Radionukliden am Gestein ableiten. Man geht bei den Untersuchungen also von den einfacheren Mineralien zu den komplexeren Gesteinen über. Das bezeichnen Wissenschaftler als den Bottom-up-Ansatz.

Die Wissenschaftler verwendeten in Ihren Studien verschiedene Techniken, um die Aufnahme von Bodaton und Opalinuston zu untersuchen. Zum einen wurden wichtige Radionuklide in Form einer wässrigen Lösung in Kontakt mit dem Tongestein gebracht. Diese Suspension wurde nach einer bestimmten Kontaktzeit zentrifugiert, so dass sich die wässrige Lösung und das feste Gestein wieder trennten. Die Menge der am Gestein aufgenommenen Radionuklide konnte durch messen der übrigblieben Radionukliden in der Lösung bestimmt werden. Die sorbierten Mengen stimmten gut mit den Werten überein, die das PSI-Modell voraussagte. Nur bei hohen Anfangskonzentrationen einiger Elemente wie Zink, Kobalt und Nickel wurde mehr aufgenommen als vom Modell vorhergesagt. Mittels der Technik der Röntgenabsorptionsspektroskopie, welche an Synchrotron-Anlagen wie der Synchrotronlichtquelle Schweiz SLS vom PSI verfügbar ist, fanden die Forscher heraus, dass dieser Überschuss durch Ausfällungen entstand. Das heisst: Elemente wie Zink wurden der wässrigen Lösung entzogen, indem sie in den festen Zustand übergingen und somit ebenfalls dauerhaft im Gestein zurückgehalten wurden.

Zudem zeigten die Untersuchungen, dass die Aufnahme von Metallen wie Nickel und Zink (sogenannte zweiwertige Übergangsmetalle) an den Kanten der Tonpartikel stattfindet (Abb. 2). Das bedeutet, dass diese Übergangsmetalle an diesen Kanten haften, und dort langfristig in die Tonstruktur eingebaut werden.

Um herauszufinden, welche Radionuklide mit den einzelnen Mineralphasen des Gesteines korrelieren, wurde, auch an einer Synchrotron-Anlage, die Mikro-Röntgenfluoreszenz benutzt. Mit dieser Methode werden durch Röntgenstrahlung die chemischen Elemente der Proben mit einer Ortsauflösung von wenigen Mikrometern angeregt. Da jedes Element ein charakteristisches Fluoreszenz-Spektrum besitzt, konnte man so bestimmen, welche Elemente in welchen Konzentrationen am Tongestein haften. Schliesslich wandten die Forschenden eine weitere räumlich aufgelöste Technik, die Mikro-Röntgendiffraktion, an. Damit liess sich feststellen, dass die Tonmineralien, sowohl bei Opalinuston als auch bei Bodaton, tatsächlich das Gros der Radionuklid- Aufnahme bewältigen.

PSI-Modell besteht die Prüfung

Die jüngsten Experimente bestätigen die Richtigkeit des Bottom-up-Modells der PSI-Forscher auch für andere Tongesteinsarten, wie Bodaton. Die Versuche zeigen, dass in beiden Tongesteinen vor allem die Tonmineralien, und unter ihnen besonders Illit, für die Aufnahme von Radionukliden sorgen. „Das stärkt das Vertrauen in unser Modell und zeigt, dass es über die Schweiz hinaus bei der Sicherheitsanalyse für ein Tiefenlager angewandt werden kann“, sagt der PSI-Forscher Bart Baeyens, der das Modell mitentwickelte. Rainer Dähn, ebenfalls am Projekt beteiligt, hebt den erzielten Knowhow-Transfer hervor: „ Währen die Kollegen aus Ungarn ihre Expertise in Röntgen-Fluoreszenz und -Diffraktion mitbrachten, steuerten wir unsere Erfahrung in nasschemischen Untersuchungen und Röntgenabsorptionstechniken an Synchrotronlichtquellen bei, so haben beide Seiten voneinander gelernt.“

Text: Paul Scherrer Institut/Leonid Leiva

Weiterführende Informationen
Dieses Projekt wurde mit Geldern aus dem schweizerischen EU-Erweiterungsbeitrag gefördert (SH 7/2/11) http://www.contribution-enlargement.admin.ch/de/Home/Laender/Ungarn
Kontakt / Ansprechpartner
Dr. Bart Baeyens, Labor für Endlagesicherheit, Paul Scherrer Institut,
Telefon: +41 56 310 43 16, E-Mail: bart.baeyens@psi.ch

Dr. Rainer Dähn, Labor für Endlagersicherheit, Paul Scherrer Institut,
Telefon: +41 56 310 21 75, E-mail: rainer.daehn@psi.ch