Spezial: Hals-, Nasen- und Ohrentumoren

Interview

«Weniger Nebenwirkungen bei der Krebsbestrahlung mit Protonen»

Gezielt den Tumor zerstören bei weniger Nebenwirkung? Wie dies mit der hochpräzisen Protonenbestrahlung gelingt, erklärt Dr. med. Barbara Bachtiary am Beispiel von HNO-Tumoren.

Im Interview: Dr. med. Barbara Bachtiary, Leitende Radio-Onkologin
(Foto: Scanderbeg Sauer Photography)

Frau Dr. Bachtiary, bei Krebserkrankungen im Hals-Nasen-Ohren-Bereich die eine Bestrahlung benötigen besteht eine besondere Ausgangslage. Inwiefern?
Bei Krebserkrankungen im Hals-Nasen-Ohren-Bereich befinden sich empfindliche Strukturen wie die Speicheldrüsen, Strukturen der Mundhöhle, die Rachenschleimhaut, der Kehlkopf, das Rückenmark und das Hirngewebe in der Nähe des Tumors. Bei der Behandlung ist es wichtig, dieses gesunde Gewebe zu schonen, damit die Nebenwirkungen verringert und die Lebensqualität der Patienten verbessert wird.

Was bedeutet dies für die Bestrahlung des Tumors in einer solch hochsensiblen Region?
Bei der Bestrahlung der Mundhöhle und der Rachenschleimhaut kann es zu dauerhaften Schäden der Schluckmuskulatur kommen, sodass sich der Patient nicht mehr auf dem normalen Weg ausreichend ernähren kann und manchmal sogar eine Ernährungssonde benötigt. Durch die Bestrahlung der Ohrspeicheldrüsen kann es zu einer sehr unangenehmen Mundtrockenheit kommen, die ebenfalls die Nahrungsaufnahme aber auch das Sprechen erschwert.

Mit der Protonentherapie, mit der am PSI seit über 30 Jahren Krebspatienten behandelt werden, können sensible Risikoorgane besser geschont werden. Warum?
Die Vorteile einer Therapie mit Protonen gegenüber einer üblichen Bestrahlung mit Photonen, sprich Röntgenstrahlen, sind auf ihre einzigartigen physikalischen Eigenschaften zurückzuführen. Der
grösste Teil der Protonenstrahlung wird nämlich nur in einem sehr schmalen Bereich in der Tiefe –
genau dort, wo der Tumor liegt – abgegeben und es gibt praktisch keine Strahlung, die aus dem Tumor
austritt und dort auf gesundes Gewebe einwirkt. Durch diesen sogenannten «Bragg-Peak» am Ende der Reichweite des Protonenstrahls kann einerseits eine höhere Dosis für eine bessere Zerstörung des Tumors gegeben werden. Andererseits kann eine Reduktion der Strahlenbelastung im normalen Gewebe und damit eine Reduktion der Nebenwirkungen erreicht werden.

Planvergleich für einen Patienten mit einem Nasenraum-Karzinom. Man erkennt, dass die Bestrahlungsdosis im Bereich des Mundes und der Schluckstrasse im Protonenplan (rechts) deutlich verringert ist.
Mit freundlicher Genehmigung Prof. Johannes (Hans) A. Langendijk, Groningen, NL

Gibt es klinische Studien, welche den Vorteil der Protonentherapie bei HNO-Tumoren belegen?
Ja, diese klinischen Studien zeigen, dass die Protonentherapie im Vergleich zur Photonenbestrahlung einen Vorteil bringen kann. Das gilt besonders bei einseitigen Kopf- und Halstumoren sowie bei fortgeschrittenen Tumoren im Nasenrachenbereich oder der Nasennebenhöhlen. Auch bei einer erneuten Bestrahlung kann die Protonentherapie einen Vorteil bringen.

Wonach entscheiden Sie, ob die Patientin oder der Patient für eine Protonentherapie infrage kommt?
Das Ausmass, in dem gesundes Gewebe besser geschont werden kann als mit Photonen, ist von Patienten zu Patienten unterschiedlich. Deshalb werden vergleichende Behandlungspläne erstellt, mit der für den einzelnen Patienten abgeschätzt werden kann, ob die Protonentherapie einen Vorteil gegenüber der Photonentherapie bieten kann.

Wie Sie bereits erwähnten, ist die Bestrahlung mit Protonen schonender. Warum ist diese Therapieform dennoch weniger verbreitet?
Das gesamte Potenzial der Protonentherapie ist noch nicht hinreichend in allen Fachkreisen bekannt. Auch gibt es in der Schweiz nur ein einziges Protonenzentrum. Je nach Wohnort des Patienten kann der tägliche Anreiseweg lang und mühsam sein. Manche Patienten mieten deshalb für den Zeitraum der Therapie ein Zimmer in der Nähe des Protonenzentrums. Leider werden die Reisekosten und die Unterkunftskosten nicht von der Krankenkasse übernommen. Diese selbst zu tragenden Kosten stellen für einige sicherlich eine Barriere dar. Unser Patientenbüro unterstützt die Patienten aber grösstmöglich.

Welche Tumoren werden am PSI noch auf diese Weise bestrahlt?
Am PSI werden auch bestimmte Hirntumoren, Tumoren, welche in der Nähe vom Rückenmark sind, und Sarkome behandelt. Auch alle Kinder, die eine gezielte Strahlentherapie benötigen, werden mittels Protonentherapie behandelt.

Wie finde ich als an der Therapie interessierte Person oder als Eltern eines krebskranken Kindes den Weg zu Ihnen?
Wenn ein Patient eine Strahlentherapie benötigt und wissen möchte, ob eine Protonentherapie von Vorteil ist, soll er direkt mit seinem Radioonkologen sprechen. Dieser nimmt mit dem PSI Kontakt auf und bespricht den Fall am Tumorboard mit den Ärzten des PSI. Grundsätzlich können Patienten aber auch direkt bei uns anfragen.