Wie kommt es, dass du deine Professur aufgegeben hast?

Diese Frage landete vor ein paar Tagen in meiner LinkedIn inbox. Völlig unerwartet kam sie von einer Person, mit der ich vor 10 Jahren zusammengearbeitet, und danach keinen Kontakt mehr gehabt hatte. Offensichtlich hat mein Entscheid, mich aus der akademischen Forschung zu verabschieden, Spuren hinterlassen. Aber was genau waren denn jetzt die Gründe?

Ich hatte alles: eine Professur, 800 k CHF Forschungsgelder um weiterhin Studierende und Postdocs zu unterstützen, ein Netzwerk mit Kollaborationspartnern, ein grossartiges Labor, viele Ideen, eine lange Liste von Publikationen und Konferenzbeiträgen, Einladungen für Review-Artikel und Vorträge. Selbst ein Jahr nach dem Abschied aus der akademischen Forschung gelte ich nach wie vor als Expertin, wie die vielen Bitten um Rückmeldungen zu halbfertigen Manuskripten und Reviewer-Anfragen in meiner Inbox zeigen. Trotzdem habe ich entschieden, die akademische Welt zu verlassen (wie es oft von anderen gesehen wird), oder mich in eine andere Richtung zu entwickeln (wie ich es gern sehe). Wie kann man in seinem Job erfolgreich sein, und doch etwas Anderes tun wollen?

Änderung meiner Interessen: Ich kann mich noch lebhaft an meine erste wissenschaftliche Konferenz erinnern: die Aufregung über die neusten Forschungsergebnisse und die Idee, um die halbe Welt zu reisen um sich auszutauschen, und die Freude daran, Forschende und ihre Geschichten kennenzulernen. Über die Jahre habe ich dann gemerkt, dass sich meine Einstellung ändert: statt purer Vorfreude waren Konferenzen einfach ein weiterer Punkt auf meiner Todo-Liste. Natürlich habe ich mich immer noch gefreut, Kolleg/-innen zu treffen und neue Ideen zu diskutieren. Aber ich fand es langweilig, Jahr für Jahr ähnliche Geschichten zu hören. Ich wollte etwas Neues lernen. Zusätzlich bin ich aufgrund einer herausfordernden Situation mit einem Studierenden in meiner Gruppe zum ersten Mal mit Coaching in Kontakt gekommen – und war total fasziniert von diesem Prozess. Ich war sogar so fasziniert, dass ich ein Nachdiplomstudium absolviert, und mich nach Beratungsjobs umgesehen habe.

Suche nach neuen Herausforderungen: Die akademische Karriere war für mich so lange spannend, wie es immer neue Ziele zu erreichen gab, oder Personen, die bereits weiter waren, und zu denen ich aufschauen konnte. An meinem ersten Tag als Bachelorstudentin war ich voller Bewunderung für die älteren Studierenden, Assistierenden und Dozierenden. Sie wussten so viel, und ich war dankbar für ihre Bereitschaft, dieses Wissen mit mir zu teilen. Ich wollte lernen. Während des Studiums und während meiner akademischen Karriere, habe ich mich immer an Personen orientiert, die bereits einen Schritt weiter waren. Als ehrgeizige Person wollte ich es bis nach oben schaffen. Ausserdem wollte ich mein Wissen teilen, und den wissenschaftlichen Nachwuchs unterstützen und inspirieren. Letzteres ist nach wie vor ein wichtiger Teil meiner Arbeit. Nur, als ich oben angekommen war, hat mir die Herausforderung gefehlt; ich brauchte ein neues Ziel, auf das ich hinarbeiten kann.

Erkennen von versteckten Kompetenzen: Obwohl andere schon immer gern mit ihren Problemen zu mir gekommen sind – seien dies Beziehungsprobleme, Konflikte zu Hause oder in der Schule/im Büro, oder die Frage nach dem nächsten Schritt nach dem Studium -, habe ich lange gebraucht, um die zugrundeliegenden Kompetenzen als solche wahrzunehmen. Ich hatte meine Fähigkeit zuzuhören und dafür zu sorgen, dass andere sich wohl genug fühlen um ihre Probleme und Gedanken zu teilen, oder im richtigen Moment das Richtige zu sagen als selbstverständlich angenommen. Es hat mich keine Anstrengung gekostet, also konnte es auch nicht viel wert sein? Ich war ziemlich überrascht, dass Beraten ein Beruf ist.

Wunsch nach Unabhängigkeit: Meine akademische Arbeit war stark abhängig von hochentwickelten Instrumenten. Ich habe gelernt gute Daten zu produzieren, viel investiert um zu verstehen wie die Instrumente funktionieren, sie unterhalten, und anderen beigebracht, wie sie zu gebrauchen sind. Ich bin immer noch hin und weg von der Vorstellung, was diese Instrumente können, und von all den Ideen und der Sorgfalt, die in ihre Entwicklung geflossen sind. Aber mit diesen Instrumenten hatte ich auch viel Verantwortung und eine zeit- und energieintensive Aufgabe: sicherstellen, dass sie gute Daten produzieren, Ausfälle und Defekte reparieren, oder auch entscheiden, wie mit externen Einflüssen umgegangen wird. Jetzt geniesse ich die Freiheit, nicht mehr von Instrumenten abhängig zu sein; und bin heilfroh, dass mir die Entscheidung, welches Instrument der globalen Heliumknappheit geopfert wird, erspart bleibt.

‘Dass du in einem Bereich gut bist, heisst nicht, dass du nichts Anderes kannst’: Diese Aussage einer mir nahestehenden Person hat mir klar gezeigt, dass ich nicht in meinem Beruf bleiben muss, nur weil ich erfolgreich bin. Es gibt Raum, Neues auszuprobieren, und es gibt Raum für Entwicklung.

Schlussendlich war meine Neugier auf einen neuen Arbeitsbereich einfach stärker als der Wunsch, mit dem Bekannten und Vertrauten weiterzumachen. Ich hätte dableiben können, und die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass ich weiterhin Erfolg gehabt hätte. Ich bin aber auch sehr dankbar für all die neuen Herausforderungen, und all die Dinge die ich gelernt habe seit ich Akademiker/-innen berate, statt selber Akademikerin zu sein.

Und die Person, die mir diese Nachricht geschickt hat? Hat mir später geschrieben, dass der Wunsch etwas Neues zu lernen nachvollziehbar sei, und freut sich, dass ich etwas Spannendes für mich gefunden habe.