Untersuchungen britischer Forscher am Paul Scherrer Institut klären wichtigen Schritt für die Gewinnung von Energie aus Nahrung
Es ist ein zentraler Vorgang des Lebens: Nahrung verbindet sich mit Sauerstoff aus der Atemluft; dabei wird Energie frei, mit der die Substanz ATP aufgebaut wird, die Energie speichert und im ganzen Organismus verteilt. Bis vor kurzem fehlte zum Verständnis dieses Vorgangs ein wesentliches Detail – man wusste, dass Protonen dabei durch eine Membran in der Zelle transportiert werden. Man verstand aber einen wichtigen Teil dieses Vorgangs nicht. Die Erklärung haben nun drei britische Forscher nachgeliefert. Sie haben an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS und der European Synchrotron Radiation Facility ESRF in Grenoble die Struktur des zuständigen Moleküls bestimmt und mit den Ergebnissen den verantwortlichen Mechanismus aufgeklärt. Sie haben gezeigt, dass ein Teil des Moleküls eine winzige Stange darstellt, die sich bei dem Vorgang bewegt und die Protonen durch die Membran schiebt.
Die SLS gehört weltweit zu den besten Einrichtungen für solche Untersuchungen und wird für die hohe Qualität des Röntgenstrahls und die modernsten Detektoren gelobt. Drei Messplätze stehen nur für Strukturuntersuchungen an Biomolekülen zur Verfügung und ziehen jährlich zahlreiche Spitzenforscher aus aller Welt an. Die Arbeit der britischen Forscher ist im renommierten Wissenschaftsmagazin Nature erschienen, was schon einen grossen Erfolg in einer Forscherlaufbahn bedeutet. Zusätzlich zierte ein Bild des untersuchten Moleküls den Umschlag des Heftes, was von Forschern immer als eine ganz besondere Auszeichnung angesehen wird.
Mitochondrien sind die so genannten Kraftwerke der Zelle – in diesen Zellbestandteilen verbinden sich Stoffe aus der Nahrung mit Sauerstoff aus der Atemluft. Dabei wird Energie frei, mit der eine Substanz mit dem Namen Adenosintriphosphat (ATP) gebildet wird. Sie kann Energie speichern und im ganzen Organismus verteilen. Im Detail ist das ein komplexer Vorgang, an dem zahlreiche biologische Moleküle beteiligt sind. So werden bei der Verbindung mit Sauerstoff zunächst Elektronen frei. Diese Elektronen treiben eine Molekülkombination an, die in der inneren Membran des Mitochondriums sitzt. Mitochondrien haben zwei Membranen – eine, die die äussere Abgrenzung bildet, und eine innere, die den innersten Teil von einem Bereich zwischen den beiden Membranen trennt. Die Molekülkombination in der inneren Membran pumpt Protonen aus dem inneren Teil des Mitochondriums heraus – uns zwar gegen ein Potenzialgefälle, also gewissermassen bergauf. Dieselben Protonen kehren an einer anderen Stelle durch die Membran zurück – und zwar durch ein Molekül hindurch, das ATP herstellen kann. Da sich die Protonen auf dem Weg in das Mitochondrium mit dem Potenzialgefälle – also gewissermassen bergab – bewegen, wird hier Energie frei, die für die Erzeugung von ATP genutzt wird.
Das Verständnis dieses Vorgangs wies bis vor Kurzem eine wesentliche Lücke auf – es war unklar wie die als Komplex I bekannte Molekülkombination aufgebaut ist, die die Protonen durch die Membran nach aussen pumpt. Nun konnten die Forschenden Rouslan G. Efremov, Rozbeh Baradaran und Leonid A. Sazanov von der Mitochondrial Biology Unit des britischen Medical Research Council in Cambridge, England, die Struktur des Komplexes aufklären und so bestimmen, wie er die Protonen durch die Membran hindurchbewegt. Komplex I hat insgesamt drei Protonenkanäle, die die Membran durchqueren. Diese Kanäle sind mit einem langgezogenen Molekülteil verbunden – einer winzigen Stange. Ein weiterer Teil des Komplexes kann Elektronen aufnehmen. Kommen an diesem Teil Elektronen an, verformt sich der ganze Komplex so, dass sich dabei die Stange bewegt. An der Stange sind wiederum winzige „Kolben“ befestigt, die in die einzelnen Kanäle hineinragen. Bewegt sich die Stange, verbiegen sich diese Kolben und schieben dabei die Protonen gewissermassen durch die Membran (siehe Abbildung). Für ihr Experiment haben die Forschenden Moleküle aus Bakterien genutzt, die vom Aufbau her einfacher sind als etwa solche aus dem menschlichen Organismus, aber nach demselben Prinzip funktionieren.
Einen wesentlichen Teil der Strukturuntersuchungen haben die Forschenden an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS des Paul Scherrer Instituts an der Strahllinie X06SA durchgeführt. Dabei nutzten sie das Verfahren der Röntgenstrukturanalyse, bei dem man Röntgenlicht in einem Strahl auf eine kristallisierte Substanz richtet und anschliessend beobachtet, wie das Licht vom Kristallgitter gebeugt wird. Aus den Beugungsmustern lässt sich in einem aufwändigen Verfahren die Struktur des untersuchten Moleküls bestimmen.
Die Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS bietet drei Messplätze, an denen der Aufbau biologischer Moleküle mit Röntgenlicht bestimmt wird und die zu den weltweit besten für diese Forschung gehören. Der sehr intensive und gebündelte Strahl, der an der SLS erzeugt wird, macht es zusammen mit ebenfalls am PSI entwickelten einzigartigen Röntgendetektoren möglich, die Molekülstrukturen aussergewöhnlich detailliert darzustellen.
Das Röntgenlicht, das in der Synchrotron Lichtquelle Schweiz entsteht, wird von Elektronen ausgesandt, die sich auf einer Kreisbahn von rund 288 Metern mit fast Lichtgeschwindigkeit bewegen. Dieses Röntgenlicht ist gegenüber dem einer gewöhnlichen Röntgenröhre um ein vielfaches brillanter, was anspruchsvolle Experimente erlaubt. Die Möglichkeit, Experimentierzeit an der SLS zu beantragen, steht – wie an den anderen Grossanlagen des PSI – interessierten Forschenden aus aller Welt offen. Eine Kommission bestehend aus Forschenden verschiedener Länder wählt aus den eingereichten Anträgen die besten aus und weist ihnen Messzeit zu.
Über das PSI
Das Paul Scherrer Institut entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Festkörperforschung und Materialwissenschaften, Elementarteilchenphysik, Biologie und Medizin, Energie- und Umweltforschung. Mit 1300 Mitarbeitenden und einem Jahresbudget von rund 260 Mio. CHF ist es das grösste Forschungsinstitut der Schweiz.
Über das MRC Mitochondrial Biology Unit
Am Mitochondrial Biology Unit des Medical Research Council (britische Forschungsorganisation im Bereich Medizin und angrenzende biologische Fachrichtungen) wird untersucht, wie Mitochondrien funktionieren, wie sie sich in unseren Zellen vermehren und welche Rolle sie bei Krankheiten spielen.
Kontakt / Ansprechpartner
Dr. Leo SazanovMRC Mitochondrial Biology Unit Cambridge, Vereinigtes Königreich,
Phone: +44 1223 252910, E-Mail: leo.sazanov@mrc-mbu.cam.ac.uk
Dr. Takashi Tomizaki,
Labor Makromoleküle und Bioimaging, Paul Scherrer Institut, Villigen PSI, Schweiz,
Telefon: +41 56 310 51 29, E-Mail: takashi.tomizaki@psi.ch
Dr. Clemens Schulze-Briese,
Leiter des Labors Makromoleküle und Bioimaging, Paul Scherrer Institut, Villigen PSI, Schweiz,
Telefon: +41 56 310 45 33, E-Mail: clemens.schulze@psi.ch
Originalveröffentlichung
The architecture of respiratory complex IRouslan G. Efremov, Rozbeh Baradaran & Leonid A. Sazanov
Nature 465, 441–445 (2010)
DOI: 10.1038/nature09066