Aus Biomasse das Maximum an Energie herausholen

Forschende des Paul Scherrer Instituts PSI starten den Betrieb einer revolutionären Pilotanlage zur Produktion von synthetischem Biogas. Das Projekt HydroPilot soll Methan in Erdgas-Qualität aus nasser Biomasse wie Gülle, Klärschlamm oder Algen herstellen – und zwar weit effizienter als herkömmliche Biogasanlagen.

Die HydroPilot-Anlage, die die Effizienz bei der Gewinnung von Biogas steigern soll.
(Foto: Paul Scherrer Institut/Markus Fischer)

Biomasse steckt voller Energie. Die jedes Jahr in der Schweiz anfallende Menge bietet laut der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) etwa 97 Petajoule nutzbare Primärenergie. Das sind immerhin fast 9 Prozent des jährlichen Primärenergieverbrauchs der Schweiz. Doch obwohl die Energie aus Biomasse erneuerbar und klimaschonend ist, bleibt sie zu einem grossen Teil ungenutzt. Nur 53 Petajoule, also gut die Hälfte, werden etwa durch Verbrennen oder Vergasen extrahiert, der Rest landet im Müll.

Das liegt nicht zuletzt daran, dass Biomasse zumeist in nasser Form vorliegt, also als Gülle, Klärschlamm, Bioabfall oder Speisereste. Diese kann man nicht wie trockene Holz- oder Erntereste einfach verbrennen, um die dabei entstehende Wärme zu nutzen. Die wässrigen organischen Abfälle muss man zuvor aufwendig trocknen. Das lohnt sich kaum. Daneben lässt sich aus Biomasse Methan gewinnen, das der Hauptbestandteil von Erdgas ist. Herkömmliche Biogasanlagen arbeiten dabei aber vergleichsweise ineffizient. Im günstigsten Fall gewinnen sie damit nur etwa 30 Prozent der Nettoenergie, die in der Biomasse steckt.

Am Paul Scherrer Institut PSI geht nun eine neu entwickelte Anlage in Betrieb, die in ersten Testläufen dagegen 60 bis 75 Prozent der in nasser Biomasse enthaltenen Energie nutzbar machen konnte – die Ausbeute also mehr als verdoppelt. Diese Effizienzsteigerung ist das Ergebnis eines langwierigen Entwicklungsprozesses. In den vergangenen 20 Jahren haben Forschende des PSI die Grundlagen für die neue Technologie geschaffen. Vor sechs Jahren demonstrierten sie mit einer kleinen Laboranlage namens Konti-C, dass es möglich ist, damit ein Kilogramm Biomasse pro Stunde zu verarbeiten. Inzwischen haben sie die grössere Pilotanlage konstruiert, die 100 Kilogramm pro Stunde bewältigt. Im März 2021 soll diese ihre Arbeit aufnehmen.

Frédéric Vogel, Leiter der Gruppe Katalytische Verfahrenstechnik am PSI und Professor für erneuerbare Energien an der Fachhochschule Nordwestschweiz, an der ESI-Plattform, mit der Energiesysteme erforscht werden.
(Foto: Paul Scherrer Institut/Mahir Dzambegovic)

Von der Pilotanlage zum Industriebetrieb

«Mit dieser Pilotanlage werden wir all das testen, was später eine noch grössere, industrielle Anlage können soll, die zwei bis fünf Tonnen Biomasse pro Stunde verarbeiten wird», sagt der Chemie-Ingenieur Frédéric Vogel, Leiter der Gruppe Katalytische Verfahrenstechnik im Labor für Bioenergie und Katalyse des PSI. Die Forschenden wollen zeigen, dass die Anlage mit den verschiedenen Formen der nassen Biomasse zurechtkommt und dass keine unerwünschten Nebenprodukte entstehen. Sie führen Testläufe mit Wasser und Stickstoff durch, um die Dichtigkeit zu prüfen. Sie erproben, ob irgendwo Probleme mit Korrosion auftauchen und wie schnell die Anlage aufheizen und abkühlen kann, ohne dass Komponenten unter der Wärmeausdehnung leiden. Und sie testen, ob der Wärmetauscher wie gewünscht funktioniert. Dieses für den hohen Wirkungsgrad entscheidende Element besass die Laboranlage, die nur ein Kilogramm verarbeitete, noch gar nicht.

Die besondere Qualität der neuartigen Anlage liegt in ihrem Umgang mit dem Wasser aus der Biomasse. Dieses wird hier nicht als Hindernis für die energetische Nutzung gesehen, sondern trägt sogar als Reaktionsmedium dazu bei. Bei der sogenannten hydrothermalen Vergasung wird der Schlamm unter 280 bis 300 bar Druck gesetzt und auf gut 400 Grad Celsius erhitzt. «Unter diesen Umständen bleibt das Wasser trotz der hohen Temperatur flüssig und erreicht schliesslich einen überkritischen Zustand», erklärt Vogel. «In dieser Form hat es besonders gute Eigenschaften, um die Biomasse aufzuschliessen – also aus grossen Molekülen kleine zu machen, die besonders reaktionsfreudig sind.» Diese hydrothermale Zerlegung bereitet die Biomasse auf den nächsten Schritt vor, bei dem ein spezieller Katalysator als Reaktionsbeschleuniger zum Einsatz kommt.

Gefördert wird die Umwandlung in Biogas auch durch ein ordentliches Durchmischen in den Rohren der Anlage, bevor die Moleküle auf den Katalysator treffen. «So sorgen wir dafür, dass die Feststoffpartikel rundherum von Wasser umgeben sind, mit dem sie dann unter Mithilfe des Katalysators reagieren können», sagt Vogel. Die Biomasse gleiche in diesem Stadium Erdöl. Sie wird dann durch einen Aktivkohlefilter geleitet, in dessen feinen Poren das aktive katalytische Material, in diesem Fall Ruthenium, auf die kleinen Biomassemoleküle wartet, um daraus Methan zu erzeugen.

Die richtige Balance zwischen Temperatur, Druck und Fliessgeschwindigkeit

Die Grundlagenforschung der letzten Jahre bestand nicht nur darin, die richtige Balance zwischen Temperatur, Druck, Fliessgeschwindigkeit und der Art des Mischens zu finden, sondern auch darin, den idealen Katalysator zu identifizieren. «Da Biomasse genauso wie Rohöl aus hunderten verschiedenen Substanzen besteht, deren Reaktionen man unmöglich alle genau berechnen kann, mussten wir viel experimentieren», sagt Vogel. Dafür bot das PSI ideale Bedingungen, denn mit der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS lassen sich Materialien und ihre Reaktionen in atomarer Auflösung untersuchen. «So konnten wir genau verfolgen, wie und warum der eine Katalysator besser funktioniert als der andere.»

Ein weiterer Vorteil des überkritischen Wassers besteht darin, dass sich darin keine Salze mehr lösen. Das bedeutet: In der Biomasse enthaltene wertvolle Nährstoffe wie Phosphate und Mineralien lassen sich mit einem Salzabscheider leicht trennen und etwa für Düngemittel wiederverwenden. Gleichzeitig schont dies den Katalysator, den diese Substanzen ansonsten verstopfen. Um weitere schädliche Stoffe daran zu hindern, die winzigen Poren des Aktivkohlefilters zu verunreinigen, ist in der nun in Betrieb genommenen Anlage ein zusätzlicher Filter vorgeschaltet: ein Granulat, das mit Schwefel reagiert und ihn so davon abhält, Probleme zu bereiten.

Am Ende des komplexen Vorgangs produziert die Hydropilotanlage wie Biogasanlagen ein Gemisch aus Methan, Kohlendioxid und Wasserstoff, von denen die beiden Letztgenannten grossteils abgetrennt werden, um das Methan ins Erdgasnetz einzuspeisen. Darüber hinaus fallen nur die rückgewonnenen Nährstoffe sowie reines Wasser an. Reste von Mineralien und Schwermetallen werden in Zementwerken verarbeitet oder deponiert. Die Anlage läuft weitgehend energieautark – sie braucht nur den Strom für den elektrischen Betrieb der Pumpe. Den Druck erzeugt sie mit der gleichen Pumpe, die auch den Schlamm befördert. Die Hitze erzeugt ein Gasbrenner, der dafür etwas von dem Produktgas abzweigt. Unabhängig davon liegt die Ausbeute bei 60 bis 75 Prozent.

Neben der üblichen Biomasse kann der HydroPilot auch die Gärreste von Biogasanlagen verarbeiten und aus diesen den darin verbliebenen Energiegehalt ziehen. Die Anlage könnte aber auch mit energiereichen Algen gefüttert werden, die man anders als etwa Mais sehr effizient produzieren kann, ohne damit in Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion zu geraten.

Zunächst wird die Pilotanlage am PSI selbst betrieben – vor allem mit Klärschlamm, weil dieser die komplexeste Form der Biomasse darstellt. «Wenn wir es mit Klärschlamm schaffen», so Vogel, «schaffen wir es auch mit den anderen Sorten.» Konzepte für weitaus grössere Anlagen im industriellen Massstab gibt es auch schon, die Forschenden stehen dafür in engem Kontakt mit Firmen wie der KASAG Swiss AG und TreaTech Sàrl.

Das Projekt HydroPilot wird im Rahmen des Pilot- und Demonstrationsprogramms des Bundesamts für Energie BFE gefördert, mit zusätzlicher namhafter Unterstützung durch TreaTech sàrl, KASAG Swiss AG, ExerGo sàrl und Afry Schweiz AG. Es ist Teil des Swiss Competence Centers for Energy Research BIOSWEET, gefördert durch Innosuisse, und der Energy System Integration Plattform am PSI.


Text: Jan Berndorff

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Kontakt/Ansprechpartner

Prof. Dr. Frédéric Vogel
Leiter der Gruppe Katalytische Verfahrenstechnik
Labor für Bioenergie und Katalyse
Paul Scherrer Institut PSI
+41 56 310 21 35
frederic.vogel@psi.ch

Professor für Erneuerbare Energien
Hochschule für Technik
Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW, 5210 Windisch, Schweiz
+41 56 202 73 34
frederic.vogel@fhnw.ch