Die Schweiz plant, bis zum Jahr 2050 ein Tiefenlager für ihre radioaktiven Abfälle zu errichten. Drei Standorte kommen dafür infrage. Am PSI gewonnene Daten werden dabei helfen, herauszufinden, welcher Standort am geeignetsten ist.
In ihrem Labor nimmt Maria Marques ein flüssigkeitsgefülltes Plastikröhrchen zur Hand: Darin hat sich als Bodensatz ein dunkelgrauer Feststoff abgesetzt. «Das ist Opalinuston», erklärt die Geochemikerin. «In zahlreichen Untersuchungen hat er sich als das bestmögliche Gestein herausgestellt, um radioaktive Abfälle zu verwahren.»
Opalinuston liegt in grossen Teilen der Schweiz als Schicht mehrere hundert Meter tief unter dem Erdboden. An unterschiedlichen Orten ist das Gestein unterschiedlich beschaffen. Forschende untersuchen es daher intensiv auf seine Zusammensetzung sowie auf seine Rückhalte- und Transporteigenschaften. Das soll dabei helfen, den geeignetsten Standort für ein Tiefenlager zu finden.
Zürich Nordost, Jura Ost oder Nördlich Lägern
Die Bohrkernproben, die das Team um Maria Marques vom PSI-Labor für Endlagersicherheit derzeit auf seine Rückhalteeigenschaften untersucht, stammen aus der Tiefbohrung Trüllikon-1, etwa 30 Kilometer nordöstlich von Zürich. Trüllikon liegt in einer der drei Standortregionen, die der Bund als potenziell geeignet für ein geologisches Tiefenlager identifiziert hat, neben Jura Ost bei Brugg und Nördlich Lägern nordwestlich von Zürich. Von August 2019 bis April 2020 hat die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) dort Bohrkerne bis zu einer Tiefe von 1300 Meter entnommen.
Die Standortsuche regelt der «Sachplan geologische Tiefenlager». Derzeit befindet sich die Schweiz in der dritten Etappe, in der Bohrkernproben analysiert werden, um zu bestimmen, welcher der drei Standortkandidaten am besten ist.
Andreas Pautz, Professor für Kerntechnik und Leiter des Forschungsbereichs Nukleare Energie und Sicherheit am PSI, ist optimistisch: «Wir haben in der Schweiz mit dem Opalinuston geeignetes Wirtsgestein. Technologisch ist ein Tiefenlager also machbar und damit eine extrem sichere Angelegenheit.»
«Wie ein Magnet»
In Kernkraftwerken sowie in der Medizin, der Industrie und in der Forschung entsteht radioaktiver Abfall. Der muss sicher, fernab von Menschen und der Umwelt aufbewahrt werden, bis die Radionuklide in stabile nicht-radioaktive Materialien zerfallen sind. Dafür müssen das Tiefenlager und die umgebenden Gesteine die radioaktiven Abfälle bis zu einer Million Jahre sicher verwahren können.
Die Stahlbehälter, in denen die Abfälle versiegelt sind, bieten nur für einen beschränkten Zeitraum Schutz, erklärt Sergey Churakov, Leiter des Labors für Endlagersicherheit am PSI. «Man erwartet, dass sie nach etwa 10 000 Jahren durchgerostet sind.» Dann könnten die Radionuklide in Kontakt kommen mit Wasser, das im Gestein vorhanden ist, und langsam durch die umgebenden Gesteine diffundieren. Opalinuston wirkt als natürliche Barriere für Wasser und soll diese Wanderung verlangsamen.
Opalinuston entstand vor 173 Millionen Jahren, als ein flaches Meer die Nordschweiz und die angrenzenden Länder bedeckte. Feiner Tonschlamm setzte sich am Meeresboden ab, verfestigte sich und bildete eine etwa 100 Meter dicke Schicht. Opalinuston besteht aus mikroskopisch kleinen Plättchen, die tausendmal dünner sind als ein menschliches Haar.
Positiv geladene Radionuklide heften sich bereitwillig an die negativ geladene Oberfläche des Tons und gehen chemische Bindungen ein. «Opalinuston wirkt quasi wie ein Magnet», sagt Sergey Churakov. Zudem lässt das Gestein kaum Wasser durch. Wenn Feuchtigkeit eindringt, quillt der Ton und schliesst so offene Risse. Er hat sogenannte selbstheilende Eigenschaften.
Teilchen binden
Nachdem die Nagra an den verschiedenen Standorten Bohrkerne entnommen hat, analysieren Mineralogen von der Universität Bern diese unter anderem auf ihre Zusammensetzung. Einzelne Proben schicken sie dann luftdicht eingeschweisst für weitere Messungen ans PSI.
Maria Marques illustriert, wie die Probenuntersuchungen in ihrem Team ablaufen. Zu einem Röhrchen mit einer Suspension von Opalinustonsediment gibt sie eine weitere farblose Flüssigkeit und stellt das Röhrchen zusammen mit anderen Proben aus der gleichen Bohrung in einen Schüttler.
Bei der zugegebenen farblosen Flüssigkeit handelt es sich um eine stark verdünnte Lösung von radioaktivem Nickel. «Wir wollen wissen, wie gut der Ton radioaktive Ionen bindet. Je stärker der Ton die Teilchen festhält, desto besser ist er als Wirtsgestein für ein Tiefenlager geeignet.»
Stühle zählen
Nachdem die Probensuspensionen eine bestimmte Zeit lang ständig durchmischt wurden, muss die Verteilung des Nuklids zwischen Opalinussediment und Flüssigkeit bestimmt werden. Maria Marques lässt daher die Proben in einer Zentrifuge so schnell rotieren, dass sich sämtlicher Feststoff am Boden des Röhrchens absetzt.
Dann ermitteln die Forschenden an einem speziellen Gerät die radioaktive Aktivität der überstehenden Lösungen. Je stärker die Tonprobe die Radionuklide bindet, desto weniger Radioaktivität lässt sich in der Lösung feststellen.
Aus dem Unterschied des Werts vor und nach dem Experiment können die Forschenden die Adsorptionsfähigkeit des Gesteins berechnen. «Angenommen, die Radionuklide sind Besucher in einem Konzertsaal», erklärt Maria Marques. «Dann zählen wir, wie viele Stühle im Raum stehen, auf die sich die Besucher setzen können.» Alle Sitzenden entsprechen den radioaktiven Teilchen, die im Ton gebunden wurden. Wer keinen Sitzplatz bekommt, bleibt in der Analogie in der Flüssigkeit zurück.
Auf den Durchbruch warten
Eine andere Forschungsgruppe am PSI misst, wie schnell sich Radionuklide im Wasser durch das Gestein hindurchbewegen können. Das sollte in einem Tiefenlager möglichst langsam geschehen. Für die Versuche schickt die Universität Bern ausgewählte, an den Mantelflächen mit Harz versiegelte Bohrkernscheiben nach Villigen ans PSI.
Luc Van Loon, Leiter der Forschungsgruppe für Diffusionsprozesse, spannt die dunkelgraue Scheibe Opalinuston in eine Vorrichtung zwischen zwei Platten ein, ähnlich einem Schraubstock. Sowohl links als auch rechts laufen Schläuche ab; darüber wird die Bohrkernscheibe ständig mit Flüssigkeit umspült – links mit einer Lösung mit Radionuklid, rechts mit der gleichen Lösung ohne, damit die Scheibe von beiden Seiten gut durchfeuchtet ist.
Alle paar Tage nehmen Mitarbeitende Proben, um zu bestimmen, wie lange es dauert, bis die Radionuklide die Scheibe durchdrungen haben – «wir nennen das den Durchbruch», sagt Luc Van Loon. Das Experiment läuft so lange weiter, bis die Forschenden genügend Informationen bekommen haben, um Schlüsse daraus zu ziehen – das kann gut drei Monate dauern.
Realität versus Computermodell
Die Messergebnisse von Maria Marques, Luc Van Loon und ihren Kollegen und Kolleginnen liefern wertvolle Hinweise darauf, welcher Standort in der Schweiz radioaktive Abfälle am sichersten verwahren kann. Genauso wichtig wie die Messdaten sind allerdings Computermodelle, welche die Vorgänge im Tiefenlager simulieren. Am Ende können nur solche Simulationen präzise voraussagen, ob das Endlager über einen langen Zeitraum die behördlichen Sicherheitsvorschriften erfüllen wird, erklärt Sergey Churakov. «Wir reden hier immerhin über eine Million Jahre.» Das lässt sich im Labor nicht nachstellen.
PSI-Forschende arbeiten seit über 20 Jahren daran, die Adsorption und Diffusion von Wasser und Radionukliden in Opalinuston im Computer zu simulieren. Daten aus Messungen an der PSI-Grossforschungsanlage Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS unterfüttern das Modell mit zusätzlichen Detailinformationen, etwa: Wo genau lagern sich die Radionuklide am Ton an? Welche anderen Atome umgeben sie, wenn sie gebunden haben?
Daten aus ihren Laborexperimenten gleichen die Forschenden immer wieder mit denen aus ihren Simulationen ab sowie mit Resultaten aus Feldversuchen in Felslaboren. «Die Ergebnisse aus Experimenten und Simulationen müssen zusammenpassen», erklärt Luc Van Loon, «und bis jetzt passt alles gut zusammen.» Der Forscher hofft, dass sich diese Übereinstimmung in den kommenden Studien weiter bestätigt. Das würde den «Sachplan geologische Tiefenlager» dabei unterstützen, ein oder mehrere endgültige Standorte für den radioaktiven Abfall der Schweiz auszuwählen.
Text: Paul Scherrer Institut/Brigitte Osterath
Kontakt/Ansprechpartner
Dr. Maria Marques Fernandes
Labor für Endlagersicherheit
Paul Scherrer Institut, Forschungsstrasse 111, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 23 10, E-Mail: maria.marques@psi.ch [Deutsch, Englisch, Portugiesisch]
Dr. Luc Van Loon
Labor für Endlagersicherheit
Paul Scherrer Institut, Forschungsstrasse 111, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 22 57, E-Mail: luc.vanloon@psi.ch [Deutsch, Englisch, Niederländisch]
Prof. Dr. Sergey Churakov
Labor für Endlagersicherheit
Paul Scherrer Institut, Forschungsstrasse 111, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 41 13, E-Mail: sergey.churakov@psi.ch [Deutsch, Englisch, Russisch]
Prof. Dr. Andreas Pautz
Forschungsbereich Nukleare Energie und Sicherheit
Paul Scherrer Institut, Forschungsstrasse 111, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 34 97, E-Mail: andreas.pautz@psi.ch [Deutsch, Englisch]
Weiterführende Informationen
Die drei in Frage kommenden Standortgebiete auf der Webseite der Nagra:
https://www.nagra.ch/de/Standortgebiete.htm
Aktuelles zu den Tiefbohrungen auf der Webseite der Nagra:
https://www.nagra.ch/de/aktuelles-tiefbohrungen.htm
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