Per Anhalter zu den Gammablitzen

Am PSI entwickelter Detektor POLAR fliegt mit chinesischer Weltraummission ins All

Forschende um Wojciech Hajdas am Paul Scherrer Institut PSI haben einen Detektor namens POLAR entwickelt. Das Gerät soll sogenannte Gammablitze aus den Tiefen des Universums aufspüren und untersuchen. Gammablitze sind extrem starke Ausbrüche energiereichen Lichtes, die jedoch bislang weitgehend unverstanden sind. Unter anderem ist nicht geklärt, was der Ursprung der Gammablitze ist; womöglich werden die starken Lichtblitze bei der Entstehung Schwarzer Löcher ausgesandt. Um Gammablitze besser zu verstehen, wird POLAR eine Eigenschaft ihres Lichtes vermessen. POLAR wurde gemeinsam mit Forschenden der Universität Genf realisiert und wird im kommenden September mit einer chinesischen Weltraummission ins All fliegen.

Wojciech Hajdas mit durchsichtigen Szintillationsstäben, die so auch im POLAR-Detektor verbaut sind. Mit POLAR wollen Hajdas und seine Kollegen die Polarisation von Gammablitzen im All vermessen. (Foto: Paul Scherrer Institut/Markus Fischer)

Irgendwo in den Tiefen des Alls leuchtet es mit gewaltiger Energie immer wieder auf: Sogenannte Gammablitze können Forschende rund ein Mal pro Tag beobachten. Gammablitze senden – wie der Name sagt – Licht im hochenergetischen Bereich der Gammastrahlung aus. In wenigen Sekunden stossen sie mehr Energie aus als die Sonne in Milliarden von Jahren. Und doch sind Gammablitze noch weitgehend unverstanden; unter anderem ist nicht geklärt, was ihr Ursprung ist.

Hier setzt das aktuelle Forschungsprojekt von Wojciech Hajdas und seiner Forschungsgruppe am Paul Scherrer Institut an: Gemeinsam mit Wissenschaftlern der Universität Genf und des chinesischen Instituts für Hochenergiephysik (Institute of High Energy Physics, Chinese Academy of Sciences, IHEP-CAS) haben sie einen Detektor für Gammablitze entwickelt. POLAR heisst das Gerät; es wird den Grad der Polarisation des Lichtes von Gammablitzen vermessen. Diese Eigenschaft des Lichtes kann Hinweise liefern, welche Ereignisse im All die Ursprünge der Gammablitze sind.

Polarisationsgrad als Indiz für Entstehungsmechanismus

Denn bislang ist nicht klar, was genau der Entstehungsmechanismus für Gammablitze ist – und ob womöglich mehrere Arten von Ursprungsereignissen in Betracht kommen. Diskutiert werden der Kollaps eines massereichen Sterns zu einem Schwarzen Loch, das Verschmelzen zweier Neutronensterne, eine spezielle Sorte Supernova und eine Reihe ähnlich energie- und massereicher Vorgänge. Je nachdem, welchen Polarisationsgrad wir messen, lassen sich eine Reihe von Ursprungsmechanismen ausschliessen, so Hajdas. Falls das Licht der Gammablitze beispielsweise einen hohen Polarisationsgrad hat, werden wir rein thermische Ereignisse ausschliessen können.

Licht breitet sich als Welle aus; die Polarisation ist die Auslenkungsrichtung dieser Welle. Hajdas möchte herausfinden, ob die einzelnen Lichtwellen eines Gammablitzes kreuz und quer zueinander schwingen, oder ob alle Schwingungen parallel zueinander liegen. Letzteres wäre wissenschaftlich ausgedrückt ein hoher Polarisationsgrad.

Messung von der Raumstation aus

Allerdings kann POLAR die Gammablitze nicht einfach von der Erde aus detektieren: Die Luft der Erdatmosphäre verhindert genaue Messungen. Daher suchte Hajdas den Kontakt zu verschiedenen Raumfahrtmissionen. Am aufgeschlossensten für eine Zusammenarbeit zeigte sich das chinesische Institut IHEP-CAS. Schon lange plant die chinesische Weltraumorganisation für kommenden Herbst den Start ihrer nächsten Raumstation Tiangong 2; wörtlich Himmlischer Palast 2. Nun ist klar: POLAR wird im September 2016 an Bord der Tiangong 2 in den Erdorbit fliegen und auch von dort aus Messdaten sammeln. Derzeit wird POLAR bereits auf die Station Tiangong 2 montiert.

Das Rätsel der Gammablitze

Daten wird POLAR genügend sammeln können, denn in der Gesamtheit des Alls ereignen sich Gammablitze häufig. Sie lassen sich aus beliebig weiten Entfernungen detektieren und damit – wegen der Reisedauer ihres Lichtes – aus den verschiedenen Epochen des Universums. Wir erwarten, während des zweijährigen Forschungseinsatzes mehrere Dutzende sehr starker Gammablitze zu registrieren, was uns eine genaue Messung des Polarisationsgrads ermöglichen wird, so Wojciech Hajdas.

Das Problem: Kein Gammablitz gleicht dem anderen. Fachleute tun sich daher schwer damit, die Gammablitze in Kategorien einzuteilen und ihren Ursprung auszumachen. Immerhin lassen sich bisher zwei grobe Gruppen ausmachen, erklärt Hajdas: Einerseits kurze Gammablitze, die nur ungefähr eine Sekunde lang leuchten, und andererseits solche, die zig Sekunden dauern – wobei die kurze Sorte öfters beobachtet wird als die länger leuchtende.

Während sich Dauer und Häufigkeit der Gammablitze schon recht gut vermessen lassen, ist ihr Polarisationsgrad bisher unbekannt. Daher erhoffen sich Hajdas und seine Kollegen, hierüber das Verständnis der Gammablitze zu erweitern. Womöglich werden sich auch bezüglich ihres Polarisationsgrades verschiedene Sorten Gammablitze einteilen lassen: Solche mit höherem und andere mit niedrigerem Polarisationsgrad, die demnach verschiedenen Entstehungsmechanismen zuzuordnen sein werden.

1600 Stäbe aus speziellem Kunststoff

Das hochenergetische Licht der Gammablitze lässt sich nur indirekt detektieren. Daher besteht das Herzstückstück von POLAR aus 1600 speziellen Plastikstäben, die dicht an dicht liegen und für unsere Augen durchsichtig sind. Trifft das Licht der Gammablitze in diese Stäbe, löst es darin einen sichtbaren Lichtblitz aus – ein Prozess namens Szintillation. Genauer gesagt müssen die Lichtteilchen vom Gammablitz auf die Elektronen in den Plastikstäben treffen. Die dadurch angeregten Moleküle des Szintillators senden daraufhin Lichtteilchen im sichtbaren Energiebereich aus, so Hajdas.

Am anderen Ende der Stäbe sitzt ein Detektor für sichtbares Licht, der somit indirekt die Gammablitze nachweist. Dabei kann das Instrument auf die Polarisation des Gammablitzes zurückschliessen. Die Besonderheit unseres Detektorsystems ist, dass wir nur diejenigen Lichtteilchen der Gammablitze auswerten, die erst in einem Plastikstab ein Elektron angeregt haben und anschliessend in einem zweiten Stab noch ein zweites Elektron, erklärt Hajdas weiter. Nur dadurch, dass wir diese zwei Datenpunkte zusammennehmen, können wir die Polarisation zuverlässig und exakt bestimmen.

Zudem ist der Öffnungswinkel von POLAR so gross, dass rund ein Drittel des gesamten Himmels abgedeckt wird.

Sowohl das Konzept des Detektorsystems als auch die Elektronik wurden am PSI entwickelt. Die Signalauslesemodule und der Zentralcomputer von POLAR wurden dann am PSI hergestellt und getestet. Zusätzlich entwickelten die Forschenden eine eigene Software für die Bearbeitung der Daten. Um POLAR vor seinem Einsatz zu kalibrieren nutzen die Wissenschaftler die Röntgenstrahlung der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS am PSI sowie der European Synchrotron Radiation Facility (ESRF) in Grenoble

Das Zürcher Unternehmen Art of Technology fertigte die Netzteile für POLAR an. An der Universität Genf wurden die Mechanik sowie das Gehäuse gebaut und dann die Komponenten von POLAR zusammengesetzt. Alle an diesem internationalen Gemeinschaftsprojekt Beteiligten testeten schliesslich den fertigen Detektor gründlich.

Mögliche Gemeinsamkeit mit Gravitationswellen

Ereignisse wie die Entstehung Schwarzer Löcher, die als Ursprung für Gammablitze in Betracht kommen, sind mit grosser Wahrscheinlichkeit zugleich der Ursprung von Gravitationswellen. Gravitationswellen wurden bereits von Albert Einstein vorhergesagt; im September 2015 konnten Forschende der internationalen LIGO-Kollaboration sie erstmals direkt nachweisen. Dieser Grosserfolg beflügelt Hajdas: Mein Traum wäre es, dass POLAR einen Gammablitz detektiert und die Kollegen von LIGO zeitgleich eine weitere Gravitationswelle vermessen. Womöglich entwickelt sich dadurch eine übergreifende Zusammenarbeit in diesem noch jungen Forschungszweig.

Text: Paul Scherrer Institut/Laura Hennemann


Über das PSI

Das Paul Scherrer Institut PSI entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Materie und Material, Energie und Umwelt sowie Mensch und Gesundheit. Die Ausbildung von jungen Menschen ist ein zentrales Anliegen des PSI. Deshalb sind etwa ein Viertel unserer Mitarbeitenden Postdoktorierende, Doktorierende oder Lernende. Insgesamt beschäftigt das PSI 2000 Mitarbeitende, das damit das grösste Forschungsinstitut der Schweiz ist. Das Jahresbudget beträgt rund CHF 370 Mio. Das PSI ist Teil des ETH-Bereichs, dem auch die ETH Zürich und die ETH Lausanne angehören sowie die Forschungsinstitute Eawag, Empa und WSL.

(Stand 05/2016)

Weiterführende Informationen
Entdeckung von Gravitationswellen durch die LIGO-Kooperation
Kontakt/Ansprechpartner
Dr. Wojciech Hajdas, Labor für Teilchenphysik,
Paul Scherrer Institut, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 42 12, E-Mail: wojtek.hajdas@psi.ch