Flüssiges Wasser kann zu festem Eis gefrieren oder zu einem Gas verdampfen. Im täglichen Leben, in der Küche etwa, geschehen diese Phasenübergänge ziemlich abrupt. Bei hohem Druck hingegen werden sie geglättet, und die Phasengrenze verschwindet einfach. Ein internationales Team von Forschenden unter der Leitung der École Polytechnique Fédérale de Lausanne EPFL und in Zusammenarbeit mit dem Paul Scherrer Institut PSI hat nun dasselbe Verhalten bei bestimmten Quantenmagneten entdeckt. Das könnte Konsequenzen für die Verarbeitung von Informationen in Quantencomputern haben. Die Ergebnisse erscheinen heute im Fachblatt Nature.
Unter sogenannten Normalbedingungen kocht Wasser bei 100 °C. Seine Dichte ändert sich dabei dramatisch: Sie macht einen plötzlichen Sprung von einer Flüssigkeit hin zu einem Gas. Wenn ein Stoff seinen Aggregatzustand derart ändert, spricht man von einem Phasenübergang.
Erhöht man den Druck, steigt auch der Siedepunkt des Wassers. Beim 221-fachen Luftdruck siedet Wasser erst bei 374 °C. Gleichzeitig geschieht hier etwas Seltsames: Flüssigkeit und Gas verschmelzen zu einer einzigen Phase. Oberhalb dieses sogenannten kritischen Punkts gibt es keinen Phasenübergang mehr. Indem man den Druck verändert, lässt sich Wasser also von einer Flüssigkeit zu einem Gas umwandeln, ohne deutlichen Übergang.
Gibt es eine Quantenversion eines solchen wasserartigen Phasenübergangs? «Diese Frage spielt eine grosse Rolle in der Quantenspintronik», erklärt Bruce Normand, Forscher am PSI und Co-Autor der Studie. «Die Materialien, die sich am besten dafür eignen, um Quanteninformationen mithilfe von Quantenspins zu speichern und zu übertragen, neigen bei niedrigen Temperaturen zu diskontinuierlichen Phasenübergängen – wie Wasser.»
Bisherige Studien haben sich auf kontinuierliche Phasenübergänge in quantenmagnetischen Materialien konzentriert. Nun haben Forschende der EPFL und des PSI in einer gemeinsamen experimentellen und theoretischen Studie einen diskontinuierlichen Phasenübergang untersucht und dabei erstmals einen kritischen Punkt in einem Quantenmagneten beobachtet, ähnlich dem von Wasser. Leiter der Studie sind Henrik Rønnow und Frédéric Mila, beide Professoren an der Fakultät für Basic Sciences der EPFL.
Die Forschenden verwendeten einen sogenannten Quanten-Antiferromagneten, in der Fachwelt nach seiner chemischen Zusammensetzung SrCu2(BO3)2 als SCBO bekannt. «Quanten-Antiferromagnete sind besonders nützlich, um zu verstehen, wie die Quantenaspekte in der Struktur eines Materials dessen Eigenschaften beeinflussen, zum Beispiel, wie die Spins seiner Elektronen interagieren, um magnetische Eigenschaften zu erhalten», erklärt Normand.
SCBO ist zudem ein ‘frustrierter’ Magnet: Seine Elektronenspins können sich nicht in einer geordneten Struktur stabilisieren und nehmen stattdessen einzigartige Quantenfluktuationszustände an.
Kritische Physik in der Quantenwelt
In einem aufwendigen Experiment setzen die Forschenden Milligramm schwere Stücke von SCBO einem kontrollierten Druck sowie Magnetfeld aus. «Das erlaubte es uns, auf die Bedingungen rund um den diskontinuierlichen Quantenphasenübergang zu schauen. Auf diese Weise entdeckten wir in einem reinen Spin-System die Physik eines kritischen Punkts», sagt Rønnow.
Das Team mass dafür die spezifische Wärmekapazität von SCBO. Die spezifische Wärmekapazität gibt an, wie viel Energie in Form von Wärme das Material aufnehmen kann. Zum Beispiel absorbiert Wasser bei -10 °C nur kleine Mengen an Energie, aber bei 0 °C und 100 °C kann es riesige Mengen aufnehmen, da jedes Wassermolekül den Übergang von Eis zu Flüssigkeit beziehungsweise von Flüssigkeit zu Gas bewerkstelligen muss. Genau wie bei Wasser bildet bei SCBO die Beziehung zwischen Druck und Temperatur ein Phasendiagramm mit einer abrupten Übergangslinie: Diese trennt zwei quantenmagnetische Phasen und endet an einem kritischen Punkt.
«Wenn jetzt ein Magnetfeld angelegt wird, wird das Problem komplizierter als bei Wasser», sagt Normand. «Keine der beiden magnetischen Phasen wird von einem kleinen Feld stark beeinflusst. Dadurch wird die Linie in einem dreidimensionalen Phasendiagramm zu einer Wand. Dann aber wird eine der Phasen instabil, und das Magnetfeld hilft, sie in Richtung einer dritten Phase zu schieben.»
Um dieses makroskopische Quantenverhalten zu erklären, haben sich die Forschenden mit mehreren Kollegen und Kolleginnen zusammengetan, insbesondere mit Philippe Corboz von der Universität Amsterdam in den Niederlanden, der neue leistungsstarke computergestützte Techniken entwickelt. «Bisher war es nicht möglich, die Eigenschaften von ‘frustrierten’ Quantenmagneten in einem realistischen zwei- oder dreidimensionalen Modell zu berechnen», sagt Mila. «SCBO ist also ein gutes Beispiel, bei dem die neuen numerischen Methoden eine quantitative Erklärung für ein neues Phänomen im Quantenmagnetismus liefern.»
Henrik Rønnow fasst zusammen: «Die nächste Generation von funktionalen Quantenmaterialien wird über sprunghafte Phasenübergänge geschaltet werden. Ein Verständnis ihrer thermischen Eigenschaften wird dann sicherlich den kritischen Punkt einschliessen, dessen klassische Version die Wissenschaft bereits seit zwei Jahrhunderten kennt.»
Text: Erstellt auf der Grundlage einer Medienmitteilung der EPFL mit Ergänzungen des Paul Scherrer Instituts
Kontakt/Ansprechpartner
Dr. Bruce Normand
Quantenkritikalität und Dynamik
Paul Scherrer Institut, Forschungsstrasse 111, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 22 97, E-Mail: bruce.normand@psi.ch [Englisch]
Weitere Mitwirkende an der Studie
University of São Paulo, Brasilien
Carnegie Mellon University, Katar
Hong Kong University of Science and Technology, China
Universität Innsbruck, Österreich
RWTH Aachen, Deutschland
CY Cergy Paris University, CNRS, Frankreich
ETH Zürich, Schweiz
University of Geneva, Schweiz
Originalveröffentlichung
A quantum magnetic analogue to the critical point of water
J. Larrea Jiménez, S. P. G. Crone, E. Fogh, M. E. Zayed, R. Lortz, E. Pomjakushina, K. Conder, A. M. Läuchli, L. Weber, S. Wessel, A. Honecker, B. Normand, Ch. Rüegg, P. Corboz, H. M. Rønnow, F. Mila
Nature, 14. April 2021 (online)
DOI: https://dx.doi.org/10.1038/s41586-021-03411-8
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