Wie die Schweiz 2050 ihren Strom beziehen könnte

Das Labor für Energiesystem-Analysen des Paul Scherrer Instituts PSI untersucht, wie die Schweizer Stromversorgung bis zum Jahr 2050 unter verschiedenen Bedingungen aussehen könnte. Auf Basis der Berechnungen können die Forschenden des Labors Aussagen über zukünftige Entwicklungen treffen und zum Beispiel bestimmen, wie sich eine ehrgeizige CO2-Einsparung mit möglichst niedrigen Kosten erreichen liesse.

Stefan Hirschberg und Kannan Ramachandran vom Labor für Energiesystem-Analysen diskutieren Energieszenarien. (Foto: Scanderbeg Sauer Photography)

Das Labor für Energiesystem-Analysen des Paul Scherrer Instituts PSI untersucht, wie die Schweizer Stromversorgung bis zum Jahr 2050 aussehen könnte. Die Forschenden nutzen dazu aufwendige Computerberechnungen. Die Berechnungen zeigen, welche Technologien in Zukunft wettbewerbsfähig sein können, welche Auswirkungen sich auf Wirtschaft und Umwelt ergeben und wie sich eine zuverlässige Stromversorgung sicherstellen lässt, auch wenn es keine Energie aus Schweizer Kernkraftwerken mehr gibt.

Vielzahl an Möglichkeiten

Wir haben in unseren Berechnungen mehr als 800‘000 Variablen berücksichtigt, erläutert Kannan Ramachandran, Senior Scientist in der Energieökonomiegruppe. Dabei werden beispielsweise die Verfügbarkeiten der verschiedenen Energiequellen einkalkuliert und unterschiedlichste Kraftwerkstechnologien samt deren künftigen Emissionen und Kosten. Die voraussichtliche Entwicklung des Strombedarfs der Schweiz wird ebenso in Betracht gezogen wie die Stromausbeute aus Sonnen- und Windenergie, die im Laufe des Tages und zwischen den Jahreszeiten stark schwankt und von Region zu Region verschieden ist.

Im Jahr 2015 bestand der Schweizer Stromerzeugungsmix zu einem Drittel aus Kernkraft und zu knapp zwei Dritteln aus Wasserkraft. Lediglich 2,6 Prozent wurden aus anderen erneuerbaren Energien wie Wind- und Sonnenenergie und 4 Prozent aus sonstigen Quellen wie der Kehrichtverbrennung erzeugt.

Das PSI hat nun von dieser Basis ausgehend verschiedene Szenarien für das Jahr 2050 durchgerechnet. Für jedes Szenario haben die Forschenden dabei verschiedene Anforderungen an die Situation im Jahr 2050 gestellt. So haben sie jeweils festgelegt, wie stark der CO2-Ausstoss im Vergleich zum Jahr 1990 reduziert werden soll, und zusätzlich bestimmt, ob die Schweiz in das europäische Energienetz eingebunden oder eher autark sein soll.

Integration ist kosteneffizient

Auf Basis der Berechnungen kann Stefan Hirschberg, Leiter des Labors für Energiesystem-Analysen, Aussagen über zukünftige Entwicklungen treffen und zum Beispiel bestimmen, wie sich eine ehrgeizige CO2-Einsparung mit möglichst niedrigen Kosten erreichen liesse. Am kostengünstigsten wäre es für die Schweiz, wenn sie sich stark in das europäische Elektrizitätssystem integriert. So würden die Ressourcen am besten genutzt. Es ist deutlich einfacher, das Klimaziel in einer gemeinsamen Anstrengung zu erfüllen, ergänzt er. Wegen der klimatischen Bedingungen wäre es zum Beispiel vorteilhaft, einen grösseren Teil der Investitionen in Solarenergie in südlichen Ländern zu tätigen und Windanlagen an der Nordsee zu errichten, wo die Voraussetzungen besser sind. Parallel hierzu würde die Schweiz stärker die nötigen Speichertechnologien auszubauen.

Teurer als heute wird die Stromproduktion mit und ohne Klimaschutzziel. Die Kosten der Stromproduktion je Kilowattstunde in der Schweiz werden im Jahr 2050 zwischen 20 und 120 Prozent höher sein als heute, wobei die Kosten natürlich mit zunehmenden CO2-Einsparungen ansteigen. Ihre Höhe variiert am Ende aber stark – je nachdem, ob die Schweiz ihre Investitionen in Zusammenarbeit mit den EU-Ländern tätigen will, was deutlich billiger wäre, oder ob sie ein autarkes Stromsystem anstrebt, erläutert Hirschberg.

Speichertechnologien von Bedeutung

Die Analyse zeigt auch den Wert von Speichertechnologien. Für ein Stromsystem mit einem hohen Anteil an Sonnen- und Windenergie müsste im Vergleich zu heute mehr als doppelt so viel Strom zwischengespeichert werden können, da diese Energien unregelmässig zur Verfügung stehen. Sowohl die Speicherung innerhalb eines Tages als auch zwischen den Jahreszeiten wird dann notwendig. Für den Fall, dass die Schweiz grössere Stromimporte im Winter vermeiden möchte, ist eine Speicherung von Strom zwischen den Jahreszeiten in Höhe von zwei bis drei Terawattstunden nötig, also circa das 40- bis 60-Fache der derzeitig in der Schweiz verfügbaren Kapazität der Pumpspeicherkraftwerke. In diesem Zusammenhang weist Hirschberg auf die intensive Forschung zu diesem Thema am PSI hin: Die Energy System Integration Platform dient unter anderem dazu, vielversprechende neue chemische Speichertechnologien zu testen und weiterzuentwickeln.

Der Strommix der Schweiz. (Grafik: Paul Scherrer Institut/Kannan Ramachandran, Mahir Dzambegovic)
Gegenwärtig leisten bei der Stromerzeugung in der Schweiz die Wasserkraft und die Kernenergie die wichtigsten Beiträge. Die Energiestrategie 2050 sieht für die Schweiz eine Energieversorgung ohne einheimische Kernkraft vor. Wie der tatsächliche Strommix im Jahr 2050 aussehen wird, hängt von vielen Faktoren ab – zum Beispiel von den Forderungen, die man an den Umweltschutz stellt. Die Forschenden des Labors für Energiesystem-Analysen können berechnen, wie der kostengünstigste Strommix für die unterschiedlichen Szenarien aussehen würde (zwei Beispiele sind im Diagramm dargestellt). Im sogenannten Referenzszenario werden keine Anforderungen an den Klimaschutz gestellt; in der Folge spielen Gaskraftwerke eine wesentliche Rolle. Im Klimaschutzszenario, das eine Reduktion des CO2-Ausstosses bei der europäischen Stromproduktion um 95 Prozent gegenüber 1990 annimmt, sind dagegen die erneuerbaren Energien wie Wind- und Sonnenenergie bedeutsam. In beiden Fällen sind Stromimporte wichtig, wobei diese im Klimaschutzszenario auch den Vorgaben der Ausstossreduktion folgen müssen. Allen Szenarien ist dabei gemeinsam, dass die Wasserkraft ihre Bedeutung behält. In allen Fällen können weitere Forderungen hinzukommen – etwa an das Mass der Zusammenarbeit mit anderen Ländern –, was zu weiteren Varianten des jeweils kostengünstigsten Strommixes führt.

Die Kosten für die kostengünstigste Version unterscheiden sich zwischen den Szenarien und zwischen den verschiedenen Varianten eines Szenarios. So verursacht das Klimaschutzszenario europaweit 10 Prozent mehr Kosten als das Referenzszenario; dies entspricht bis zum Jahr 2050 und europaweit zusätzlichen Kosten von 1800 Milliarden Franken. Hiervon hätte die Schweiz 36 Milliarden Franken zu tragen – vorausgesetzt, sie wäre vollständig in den europäischen Markt integriert. Will die Schweiz ihren Strom im Alleingang beinahe CO2-neutral produzieren, würde sie dies für den Zeitraum bis 2050 zusätzliche 71 Milliarden Franken kosten. Kurz: Klimaschutz im Alleingang würde die Schweiz rund das Doppelte kosten.

Text: Alexandra von Ascheraden

Kontakt/Ansprechpartner
Dr. Stefan Hirschberg
Leiter des Labors für Energiesystem-Analysen, Paul Scherrer Institut, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 29 56, E-Mail: stefan.hirschberg@psi.ch
Originalveröffentlichung
Alternative low-carbon electricity pathways in Switzerland and its neighbouring countries under a nuclear phase-out scenario
Rajesh Pattupara and Kannan Ramachandran,
Applied Energy 172, 152–168 (2016)
DOI: 10.1016/j.apenergy.2016.03.084