Im Jahr 1999 gründeten PSI-Forschende die Spin-off-Firma SwissNeutronics. Heute hat das Unternehmen 15 Mitarbeitende, verkauft hochpräzise Bauteile an Forschungseinrichtungen weltweit und hat doch noch immer seinen Sitz in der Kleinstadt Klingnau – nicht weit entfernt vom PSI.
Acht Millionen Franken – das wäre in den 1990er Jahren eine zu hohe Ausgabe für die Forschenden des PSI gewesen. Acht Millionen hätte es damals gekostet, bestimmte hochpräzise Bauteile – sogenannte Neutronenleiter – bei einer externen Firma zu bestellen. Der Betrag liess sich im veranschlagten Projekt-Gesamtbudget nicht unterbringen. Eine kreative Lösung musste her. Wir haben uns also entschlossen, diese Neutronenleiter selbst herzustellen
, erzählt Albert Furrer. Dass dieser Entschluss weitreichende Folgen haben würde – darunter die Gründung des inzwischen ältesten PSI-Spin-offs SwissNeutronics – war damals noch nicht abzusehen.
Furrer ist eigentlich schon seit 12 Jahren pensioniert. Aber von solchen Formalitäten lässt er sich nicht aufhalten. Am PSI hat der emeritierte Professor der ETH Zürich und Mitbegründer der PSI-Neutronenforschung weiterhin ein Büro für sich alleine. Das Büro ist sehr klein und riecht – dem PSI-weiten Rauchverbot zum Trotz – deutlich nach Tabak. Auf dem Schreibtisch liegt zwischen Papierstapeln eine Pfeife. Davor sitzt Furrer, graue Haare, grauer Schnurrbart, Brille und freundliches Lächeln, und sieht im Vergleich zu einem Foto aus der Gründungszeit von SwissNeutronics nicht sehr verändert aus.
Vom Fenster seines Büros aus kann man einen Teil der PSI-Areals West sehen. Auf diesem Gelände befindet sich die Neutronenquelle SINQ des PSI, eine der hiesigen Grossforschungsanlagen – sie nimmt ein ganzes Gebäude ein. Die Anlage wurde 1997 eingeweiht. Mit Neutronenleitern, die Furrer und seine damaligen PSI-Kollegen selbst entworfen und hergestellt hatten.
Macht das doch auch für uns
Zur Inbetriebnahme der SINQ, erinnert sich Furrer, gab es eine grosse internationale Konferenz in Interlaken, natürlich mit einem Ausflug ans PSI. Da sahen also 700 Leute aus der ganzen Welt unsere selbst gebauten Neutronenleiter und einige sagten: ‹Das können wir auch gebrauchen für unsere Neutronenquelle. Macht das doch auch für uns, wir würden es euch abkaufen!›
Furrer und die anderen Neutronenforschenden dachten darüber nach. Die Idee reizte sie. Aber uns war klar: So etwas ist nicht Aufgabe eines Forschungsinstituts.
Also gründeten Furrer und einige seiner Kollegen im Jahr 1999 die Firma SwissNeutronics. Furrer ist bis heute Mitglied der Geschäftsleitung der Firma – parallel zu seinem Status als Emeritus der ETHZ.
Wir haben damals tatsächlich in der Garage von einem dieser Kollegen angefangen, in einer Privatgarage in Birmenstorf
, lacht Furrer. Insgesamt waren sie fünf Gründungsmitglieder. In der Garage klebten die Physiker jeweils vier lange, schmale Glasplatten zu einem viereckigen Rohr zusammen. Die langen Glasstücke hatten sie zuvor mit einer hauchdünnen Lage Metall überzogen. Diese Beschichtung auf der Innenseite der Rohre macht sie zu Neutronenleitern. Diese werden in der Forschung benötigt, um die Neutronen von der Neutronenquelle zu den verschiedenen Experimentierstationen zu führen. Dort werden die Neutronen ähnlich genutzt wie Röntgenstrahlen in der Medizin: Neutronen durchdringen Objekte – metallische Bauteile, Versteinerungen, historische Werkstücke – und machen ihr Innenleben sichtbar.
Für das Aufbringen der entscheidenden Metallbeschichtung durften die frischgebackenen Unternehmer die am PSI entwickelte Herstellungsrezeptur benutzen und auch die Beschichtungsmaschinen des PSI selbst. Für beides hatten wir in den Anfangsjahren einen Lizenzvertrag mit dem PSI abgeschlossen
, stellt Furrer klar: SwissNeutronics ist von Beginn an eine eigenständige Firma, die keine Sondervorteile am PSI bekommt, nur weil die Gründer vorher hier gearbeitet haben.
Die Garagenzeit dauerte nicht lange. Schon im Jahr 2000 bezog SwissNeutronics ein Gewerbegebäude in Klingnau – einer Kleinstadt rund fünf Kilometer nördlich vom PSI. 2004 folgte eine Betriebsvergrösserung mit Umzug innerhalb von Klingnau in das jetzige Gebäude. Dort empfängt Christian Schanzer, seit 2007 Betriebsleiter bei SwissNeutronics, mit einem festen Händedruck. Die Haare zu kurz geschoren, als dass ihre Farbe erkennbar wäre, Brille, besonnene Ausstrahlung. Er steht im Eingangsbereich von SwissNeutronics, der von einem schwarzen glänzenden Granitboden veredelt wird. Darüber hängt allerdings ein leichter Geruch nach Maschinenöl und gibt einen Eindruck von Mechanikwerkstatt, Polierraum, Aufdampfanlage und Fertigungshalle, die hinter dem Bürotrakt liegen.
Unser Kerngeschäft sind ganz klar die Neutronenleiter, damit machen wir 80 Prozent unseres Umsatzes
, so Schanzer. Aber der Markt dafür ist eben ein besonderer.
Weltweit gibt es derzeit rund 20 Neutronenquellen, die als Kunden infrage kommen. SwissNeutronics, das inzwischen fünfzehn Mitarbeitende beschäftigt, hat darum noch ein zweites Standbein aufgebaut: Um die Neutronenleiter so exakt zu positionieren, dass es dem Anspruch der Forschenden genügt, arbeitet SwissNeutronics mit besonderen Lasertrackern. Diese Lasertracker und deren Bedienung bietet SwissNeutronics den Firmen in der Umgebung als Dienstleistung an. In der Nachbargemeinde Döttingen, erzählt Schanzer, sitzt die Redaktion der Regionalzeitung Die Botschaft
. Die hatten eine Weile das Problem, dass die Druckmaschinen das Papier zerrissen haben. Also haben sie uns beauftragt. Wir sind mit unserem Lasertracker gekommen und konnten auf weniger als einen Millimeter genau feststellen, was an den Maschinen wie austariert werden musste.
Durch Aufträge wie diese kommen die Mitarbeitenden von SwissNeutronics in den Austausch mit anderen lokalen und Schweizer Firmen. Wir bestellen auch unsere Rohstoffe und Bauteile, wann immer es geht, bei Firmen in der unmittelbaren Umgebung
, so Schanzer. Andersherum jedoch kann ihnen im Inland nur einer die Neutronenleiter abkaufen: das PSI.
Das Swiss
im Namen verpflichtet
Die Nähe zum PSI ist für SwissNeutronics vor allem wichtig, weil die Qualitätsüberprüfung weiterhin an der hiesigen Neutronenquelle SINQ stattfindet. Einer der Messplätze, Narziss
, ist nur für Testzwecke eingerichtet. Hier hat SwissNeutronics einen pauschalen Anteil der verfügbaren Experimentierzeit gebucht. An Narziss messen wir 20 Prozent der Bauteile durch, die nachher im Endprodukt an den Kunden geliefert werden – das ist unser Anspruch in Punkto Qualitätskontrolle
, erklärt Schanzer.
Qualität ist das Stichwort, auf das es hier immer und immer wieder ankommt. Was ich als Kind über Schweizer Präzision gehört habe, finde ich hier wieder: Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und Qualität
, erklärt Schanzer, der ursprünglich aus Bayern kommt. SwissNeutronics hat weltweit zwei Konkurrenten: eine Firma im deutschen Heidelberg, eine in Budapest. Die Schweiz ist ganz klar kein Niedriglohnland
, fährt Schanzer fort. Trotzdem können wir uns international behaupten. Dabei hilft uns das ‹Swiss› im Namen durchaus. Und verpflichtet uns, unsere Schweizer Qualitäten immer aufrecht zu halten.
Text: Paul Scherrer Institut/Laura Hennemann