Roger Herger hat an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz (SLS) seine Diplomarbeit und seine Doktorarbeit über Röntgendiffraktion an komplexen Metalloxiden geschrieben. Ende Juni 2020 gründete der Materialwissenschaftler zusammen mit zwei Geschäftspartnern das Hightech-Startup maXerial. Ihr Ziel: Die Verknüpfung von industrieller Röntgentechnologie mit künstlicher Intelligenz. Wir zeichnen seinen Weg aus der Forschung zum Unternehmer nach und zeigen, wie sich Spitzentechnologie des PSI und laborbasierte Röntgentechnologie ideal ergänzen, um mittels datengetriebenen Materialentwicklungen die Herausforderungen der Schweizer Hightech-Industrie zu lösen.
An der Schwelle zum eigenen Unternehmen stand Roger Herger insgesamt drei Mal. Bereits während seiner Doktorarbeit an der Materials Science Beamline der SLS entstand der Gedanke, dass es einen Markt für materialwissenschaftliche Dienstleistungen für die Industrie geben müsse. Der Einsatz von neuen Materialien war zu faszinierend, als dass diese nicht in eine industrielle Anwendung überführt werden sollten. Die noch junge SLS bot ein hervorragendes Umfeld für Materialforschung. Gleichzeitig begann mit den hybriden Pixeldetektoren eine neue, daten-intensive Ära in der Detektion von Röntgenstrahlen und damit die einmalige Erfolgsgeschichte der Firma Dectris. Doch zuerst wollte Roger Herger Erfahrung im Business sammeln, bevor er sich den Schritt zum Unternehmer zutraute.
Sein Weg führte über Pharma R&D in die chemische Industrie, und damit auch weg aus dem Labor in die Welt des Managements. Er arbeitete auf internationalen Grossprojekten für die Pharmaindustrie und war operativer Stabschef bei einem mittelständischen Chemieunternehmen. Parallel zur Arbeit absolvierte er einen CAS zu den Grundlagen der Unternehmensführung. Ein wichtiger Faktor war, dass seine Rollen ihm erlaubten, das theoretische Wissen des CAS in der realen Industriepraxis anzuwenden. Sein Chef war zudem Vollblut-Unternehmer: Es gab also kein besseres Umfeld, um unternehmerisches Denken zu erlernen.
Mitte 2014 stand Roger Herger zum zweiten Mal an der Schwelle zur Selbständigkeit. Die Idee war da und auch deutlich mehr Wissen über die Industrie. Doch es fehlten noch zwei entscheidende Faktoren: zum einen realistische Varianten zur Finanzierung der Investitionen und zum anderen das Netzwerk in den entsprechenden Markt.
Mit dem Aufkommen von Industrie 4.0 schlossen sich derweil erste Kreise wieder: Die Digitalisierung und damit das Verarbeiten von grossen Datenmengen wurden wichtige Themen für die Industrie. Er stieg in die Automobilindustrie ein und hatte den Auftrag, die Digitalisierung der Labore voranzutreiben und eine schlagkräftige Truppe für die angewandte Forschung und Entwicklung aufzubauen. In der Rolle als Head of Research and Testing Technology bei thyssenkrupp Presta konnte er an der Schnittstelle von Technologie und Management arbeiten. Über die Zusammenarbeit mit ANAXAM wurde auch der Kreis zum PSI wieder geschlossen.
Inhaltlich beeinflussen mehrere Trends die industrielle Forschung im Bereich der Materialwissenschaften. Neben neuen Materialien werden beispielsweise auch Prozesse und Verfahren zur industriellen Herstellung von Hightech-Produkten stark beforscht. Daher muss die zugehörige Analytik sogenannt nicht-destruktiv erfolgen, damit ein Bauteil über den ganzen Produktionsprozess beobachtet werden kann. Ausserdem braucht es eine Analytik, die in der Lage ist, Material auf kleinsten Längenskalen zu analysieren. Beides führt dazu, dass Röntgentechnik in der Industrie vermehrt eingesetzt wird. Wo diese Laborquellen nicht ausreichen, helfen die Beschleuniger des PSI.
Mit dem Einsatz von bildgebenden Verfahren wie der Röntgencomputertomographie oder dem Einsatz von zweidimensionalen Detektoren bei Diffraktionsexperimenten explodieren die zu verarbeitenden Datensätze geradezu. Es braucht daher neue Methoden, um diese riesigen Datenmengen zu verarbeiten. Zusammen mit seinem Team hat Roger Herger in den letzten Jahren bewusst die Anwendung von Simulation, Data Science und der Künstlichen Intelligenz im Bereich der Materialentwicklung vorangetrieben. Hierfür hat er Forschungspartnerschaften u.a. mit dem PSI, der Empa und der ETHZ aufgebaut. Bei seiner Arbeit konnte er zudem auf die starke Unterstützung des Managements bei thyssenkrupp Presta zählen.
Für Schweizer Hightech-KMUs sind diese industriellen Trends ebenfalls sehr wichtig. Im Vergleich zu Grosskonzernen werden sie teilweise nur bedingt Ressourcen haben, um in-house Röntgenanalytik aufzubauen und damit datengetriebene Materialentwicklungen betreiben zu können – die Idee zu maXerial war geboren. Und dieses Mal passte auch das Umfeld: Zusammen mit Roger Herger glauben Patrick Bleiziffer (Simulation und KI) und Thorsten Wiege (Werkstoffe und deren Mechanik) an die Idee, dass datengetriebene Materialentwicklungen einen wichtigen Bestandteil für die Innovationskraft der Hightech-Industrie darstellen werden.