Es wird die grösste Polarexpedition der Geschichte: Am 20. September sticht der Eisbrecher «Polarstern» vom norwegischen Tromsø in Richtung Nordpol in See. Organisiert vom Alfred-Wegner-Institut (AWI) wird das Schiff rund 13 Monate in der Arktis verbringen. Die Expedition trägt den Namen MOSAiC, was kurz für «Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate» steht. An Bord befindet sich auch ein Forschungsprojekt des Paul Scherrer Instituts PSI zur Untersuchung der Atmosphärenchemie. Die PSI-Forscherin Julia Schmale erzählt, was es mit ihrer Forschung auf sich hat.
Frau Schmale, gehen Sie mit an Bord der «Polarstern»?
Ende September bin ich in Tromsø, wo der Eisbrecher ablegt. Mein Kollege Ivo Beck und ich richten unseren roten Schiffscontainer, der als Labor dient und voller Messgeräte ist, an Bord der Polarstern ein. Wir müssen sicherstellen, dass alle Personen, die im Laufe der Expedition für die Experimente zuständig sein werden, alle Geräte bedienen können. Ich werde zum Beispiel nicht von Anfang an mitfahren, sondern erst später. Keine einzige Forscherin und kein Forscher bleiben die gesamte Expeditionsdauer an Bord und übrigens auch niemand von der Schiffscrew. 13 Monate auf dem Schiff wären eine viel zu lange Zeit. Alle paar Monate werden also mit anderen Eisbrechern Forschende und Crewmitglieder zur Polarstern gefahren und die bisherigen wieder an Land zurückgebracht. So komme dann auch ich im Februar 2020 an Bord und werde bis April auf der Polarstern bleiben.
Das wird ja nicht das erste Mal sein, dass Sie und Ihre Forschungsgeräte an einer grossen Forschungsreise in die Polarregionen teilnehmen.
Richtig: Ab Dezember 2016 war ich an Bord des Forschungsschiffs «Akademik Treshnikov» bei der dreimonatigen Expedition rund um den antarktischen Kontinent dabei. Und im Sommer 2018 ging es mit dem Eisbrecher «Oden» in die Nordpolarregion. Bei beiden Forschungsreisen haben wir Erfahrungen gesammelt – sowohl praktische zu unseren Forschungsgeräten als auch wissenschaftliche zu den Prozessen in der polaren Atmosphäre.
Und die Expedition jetzt wird eine Fortführung Ihrer bisherigen Forschung?
Teilweise ja. Wir wollen wie bei den vergangenen beiden Expeditionen herausfinden, wie die Wolkenbildung in den Polarregionen geschieht und wie sich die Veränderungen durch den menschengemachten Klimawandel darauf auswirken. Veränderungen der Wolken wiederum beeinflussen den Klimawandel, denn Wolken können die Erde wärmen oder auch kühlen – je nachdem, wo sie sich wann befinden. Wolken wirken über dem Meereis eher wie eine wärmende Decke. Vor allem im Winter, wenn es dunkel bleibt und die Wolken keine Sonnenstrahlen abhalten können. Deshalb wollen wir untersuchen, inwiefern zusätzliche menschengemachte Feinstaubpartikel sich im hohen Norden auf die Wolkenbildung auswirken.
Aber auch vor der Industrialisierung gab es schon Wolken.
Selbstverständlich, denn es gibt viele natürliche Quellen von Partikeln: Sie steigen zum Beispiel aus dem Ozeanwasser und aus dem Eis auf. Konkret und neu wollen wir bei der jetzigen Expedition «MOSAiC» die Arktis im Wandel verstehen. Mit unserem Projekt wollen wir erstens herausfinden, wie sich diese natürlichen Partikel im Zuge des Klimawandels verändern: Ob sich um sie vielleicht eine dünne Extraschicht ablagert, die ihre chemische Wirkung verändert. Und zweitens schauen wir uns die menschengemachten Feinstaubpartikel in der Arktisluft an: Wir werden die ersten sein, die über weite Zeitspannen im Jahr und erstmals so weit im Norden messen, welche Konzentration von welchen Partikelsorten wann vorliegen.
Was weiss man schon über die arktische Atmosphäre – und welche Annahmen werden Sie nun überprüfen können?
Wir vermuten, dass die arktische Luft im Winter verschmutzter ist als im Sommer. Denn wir wissen schon länger, dass im Winter die Luft über der Nordhalbkugel wie eine Käseglocke hängt, die sich bis in die Breiten der Schweiz erstrecken kann. Unter dieser Glocke werden menschengemachte Partikel zum Nordpol transportiert. Die Atmosphärenchemie im arktischen Winter kennen wir allerdings noch kaum. Zwar machen wir auch hier am PSI in der Smogkammer des Labors für Atmosphärenchemie Versuche. Aber im Labor eine Atmosphäre bei minus 40 Grad Celsius nachzustellen ist alles andere als simpel. Und wir müssten auch erst einmal die richtige Zusammensetzung sowohl der Gase als auch der Aerosolpartikel vor Ort messen, um all das realistisch im Labor nachbilden zu können.
Mal ganz praktisch: Hilft Ihnen die Erfahrung der letzten Expeditionen jetzt beim Packen?
Auf jeden Fall. Wir haben lange Checklisten für jedes Instrument, damit wir nichts vergessen. Da die Instrumente 13 Monate im Dauerbetrieb sein werden und verschiedene Personen sie bedienen und warten werden, muss alles schriftlich festgehalten werden. Bei einer so langen Expedition wird ganz sicher nicht immer alles glattgehen. Dinge werden geflickt werden müssen und wir sind darauf vorbereitet. Neben allen infrage kommenden Ersatzteilen packen wir daher auch Dinge wie Kabelbinder, Gaffer-Klebeband und Spanngurte in unser Containerlabor: Damit man zur Not beim Reparieren auch improvisieren kann.
Und das private Gepäck? Was passiert, falls Sie Ihre Zahnbürste vergessen?
Für längere Aufenthalte auch in entlegene Gebiete zu packen, bereitet mir kein Kopfzerbrechen, darin habe ich inzwischen Übung. Und falls jemand seine Zahnbürste oder Ähnliches vergessen sollte: Es gibt einen kleinen Laden an Bord der Polarstern.
Sie sind Forscherin und nicht Politikerin – Bemerken Sie, dass Ihre Forschungsergebnisse die Meinungsbildung in Politik und Gesellschaft beeinflussen?
Auf jeden Fall: Aktuell arbeite ich zum Beispiel am AMAP-Bericht mit: Dem «Arctic Monitoring and Assessment Programme». Hier geht es um sogenannte kurzlebige Klimatreiber in der Arktis – und dazu gehört der Feinstaub. Erscheinen wird der nächste AMAP-Sachstandsbericht im Jahr 2021.
Wir haben auch den Bericht des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) im Blick. Zum Beispiel können die Forschungsergebnisse von der Antarktisumfahrung in die nächste Ausgabe des IPCC aufgenommen werden. Auch jetzt bei MOSAiC werden wir hoffentlich Ergebnisse produzieren, die in einem zukünftigen Bericht berücksichtigt werden.
Über den IPCC-Bericht und über AMAP bekommen politische Entscheidungsträger die Informationen an die Hand, die sie brauchen. Und auch während die Berichte verfasst und gelesen werden, drehen sich die Rädchen der Wissenschaft immer weiter.
Interview: Paul Scherrer Institut/Laura Hennemann
Weiterführende Informationen
- Webseite der MOSAiC-Expedition
- Ein schwimmendes Labor – Infografik zur Expedition mit dem Forschungsschiff «Oden» im Jahr 2018»
- An frischer Luft und im Smog – Text vom 13. Juni 2019 über die Umweltforschung am PSI
- Die Freiluft-Forscherin – Porträt Julia Schmale vom 14. Dezember 2016
Kontakt/Ansprechpartner
Dr. Julia Schmale
Leiterin der Forschungsgruppe für Molekulare Cluster- und Partikelprozesse
Paul Scherrer Institut, Forschungsstrasse 111, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 49 67, E-Mail: julia.schmale@psi.ch