PSI-Forschende bohren im Hochgebirge durch jahrtausendealtes Gletschereis und analysieren im indischen Delhi die weltweit höchsten Feinstaubkonzentrationen. Sie tragen dazu bei, globale Fragen zum Klimawandel zu klären und die Luftverschmutzung einzudämmen.
«Ja, unsere Forschung ist sehr abenteuerlich», gibt Margit Schwikowski zu. Die PSI-Forscherin reist mit ihrem Team und einer Tonne Material zu hoch gelegenen Gletschern überall auf der Welt, um aus dem Eis Bohrkerne zu entnehmen. Das jahrhundertealte Gletschereis gibt Aufschluss darüber, was in der Vergangenheit auf der Erde passiert ist. 2018 verbrachte die Leiterin des Labors für Umweltchemie zwei Wochen auf dem 4100 Meter hoch gelegenen Belucha-Gletscher im Altai-Gebirge in Sibirien. «Wir waren sechs Personen aus der Schweiz – drei Frauen und drei Männer – sowie zwei Angehörige des russischen Rettungsdienstes», erzählt die Expeditionsleiterin.
Dem Team gelang es, mit seiner Bohrausrüstung bis ganz hinunter zum Felsbett vorzudringen und einen 160 Meter langen Eiskern zu entnehmen. Das Gletschereis stellt ein natürliches Archiv dar, da sich mit jedem Schneefall auch Schwebstaubpartikel ablagern. Je tiefer man bohrt, desto weiter blickt man in die Vergangenheit. «Ich vermute, dieser neue Eisbohrkern lässt uns bis zu 10 000 Jahre zurückblicken», sagt Schwikowski. «Gerade das tief liegende Eis ist durch den Druck und die Zeit sehr ausgedünnt – da liegen die Ablagerungen von Jahrhunderten wenige Zentimeter übereinander.»
Zur Altersbestimmung benutzen die Forschenden am PSI im Eis vorhandene, organische Schwebstaubpartikel und wenden darauf die sogenannte Radiokohlenstoffdatierung an, die sonst vor allem in der Archäologie und Paläontologie eingesetzt wird. Dabei kommen sie mit winzigen Mengen Kohlenstoff aus. «Wir haben diese Methode für die Eisdatierung entwickelt und sind nach wie vor weltweit die einzigen, die das können», sagt die Chemikerin stolz. «Deshalb erhalten wir Eisproben aus aller Welt.»
Bereits 2001 hatte die Forschungsgruppe auf dem Belucha-Gletscher einen kürzeren Eiskern entnommen, der immerhin 750 Jahre zurückreicht und eine Fülle von Resultaten lieferte. Anhand der Zusammensetzung der Wassermoleküle konnten die Forschenden den Zeitverlauf der regionalen Temperatur rekonstruieren. Sie zeigten – übereinstimmend mit globalen Studien zur Klimaerwärmung –, dass sich die Schwankungen in der vorindustriellen Zeit durch die unterschiedliche Sonnenaktivität erklären lassen, nicht aber der starke Temperaturanstieg nach 1850.
Silber für Katharina die Grosse
Neben den Klima-Informationen ermöglicht das Eis weitere historische Einblicke: So konnten die Forschenden im Eis des Belucha nachweisen, dass ab 1770 Schadstoffe durch die Silbergewinnung in die Atmosphäre gelangt waren. Zu jener Zeit regierte Katharina die Grosse über Russland. Das im sibirischen Altai-Gebiet gewonnene Silber diente zur Herstellung russischer Münzen.
Inzwischen ist das Eis der Bohrung von 2001 fast aufgebraucht und die Forschenden freuen sich auf das neue Material. Der acht Zentimeter dicke Eiskern wurde in je siebzig Zentimeter langen Stücken auf fünfzehn Isolierkisten verteilt. Per Helikopter, Kühllastwagen und Flugzeug kam das Eis in die Schweiz. «Dabei mussten wir aufpassen, dass ja nichts am Zoll hängenbleibt», erzählt Schwikowski von der kostbaren Fracht. «Für mich als Spurenanalytikerin ist Eis ein Supermaterial», schwärmt sie. «Doch jetzt verschwinden die Gletscher dramatisch und damit auch unser Forschungsobjekt.» Deshalb beteiligt sich Schwikowski an einer von der Unesco unterstützten Initiative mit dem Namen «Ice Memory». Eisbohrkerne von hochalpinen Gletschern aus aller Welt sollen in der Antarktis eingelagert und so für künftige Generationen erhalten werden.
Eisoberfläche im Röntgenlicht
Auch in der Forschungsgruppe für Oberflächenchemie – ebenfalls angesiedelt bei Schwikowski im Labor für Umweltchemie – bilden Eis und Schnee einen Forschungsgegenstand. Genauer geht es um die chemischen und physikalischen Eigenschaften der obersten Kristallschichten auf Eis. Mithilfe des Röntgenlichts der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS am PSI bestimmen die Forschenden die Struktur und Zusammensetzung in den obersten zehn Nanometer (millionstel Millimeter) von Eisoberflächen. Das Team will unter anderem herausfinden, wie sich Gase und Feinstaub im Eis einlagern, was wiederum für die Analyse von Eisbohrkernen relevant ist. Wichtig ist zudem, wie diese Stoffe das klimarelevante Rückstrahlvermögen der Schneeoberfläche und chemische Reaktionen in der Atmosphäre beeinflussen. «Unsere Ergebnisse fliessen in Datenbanken, welche die eigentliche Wissensbasis bilden, auf der die Klimamodelle beruhen», erklärt der Forschungsgruppenleiter Markus Ammann.
Aerosole beeinflussen das Klima
Welche Auswirkungen haben die Schwebstoffpartikel, auch Aerosole oder Feinstaub genannt, auf das Klima und unsere Gesundheit? Dies untersuchen auch die Forschenden am PSI-Labor für Atmosphärenchemie. «Aerosole beeinflussen auf verschiedene Arten das Klima», so Laborleiter Urs Baltensperger. Die Partikel haben viele verschiedene Ursprünge; sowohl Russpartikel aus der Verbrennung als auch Salzkristalle aus dem Meer zählen zu den Aerosolen. Es gibt feste und flüssige Aerosole und es gibt sie in vielen Grössen. Dementsprechend stossen sie verschiedene Prozesse in der Atmosphäre an: Manche absorbieren Sonnenlicht, erhitzen sich dadurch und tragen so zur Erwärmung der Atmosphäre bei. Andere streuen das Licht zurück ins All, haben also einen kühlenden Effekt. Zudem bilden sich an Aerosolpartikeln Wolkentröpfchen. «Je mehr Aerosole, desto mehr und weissere Wolken», sagt Baltensperger. Auch Wolken kühlen das Klima, da sie die Sonnenstrahlung abschirmen.
Um die Auswirkung der natürlichen Aerosole auf die Wolkenbildung ganz ohne die Effekte des menschengemachten Feinstaubs zu untersuchen, müssen Forschende an entsprechend abgelegene Orte reisen. «Komplett saubere Luft finden wir heute eigentlich nur noch in den Polarregionen», sagt Julia Schmale, Forschungsgruppenleiterin für Molekulare Cluster- und Partikelprozesse im Labor von Urs Baltensperger. Sie und ihre Mitarbeitenden nehmen daher an internationalen Expeditionen teil: Vor gut zwei Jahren umrundeten sie mit einem Eisbrecher den antarktischen Kontinent; das an der EPFL angesiedelte Swiss Polar Institute hatte diese Expedition organisiert. Im Sommer 2018 dagegen ging es für Schmale und einen Kollegen in die Arktis, wo sich etliche Forschungsgruppen ein Schiff als «schwimmendes Labor» teilten.
Neben den Auswirkungen der Aerosole untersuchen andere Forschende in Baltenspergers Labor auch die Herkunft der Schwebeteilchen. Etwa die Hälfte stammt von sogenannten primären Quellen, sei es von Verbrennungsmotoren oder aus der Natur. Russ, Pneuabrieb, Mineralstaub oder Meersalz gehören dazu. Die andere Hälfte wird erst in der Atmosphäre gebildet, indem bestimmte Gase chemische Verbindungen eingehen. In diesem Zusammenhang sorgten 2016 drei Publikationen, an denen Baltenspergers Arbeitsgruppe wesentlich beteiligt war, für Aufsehen: Die Forschenden zeigten, dass zu einem erheblichen Teil auch organische Verbindungen aus der Natur neue Aerosole in der Atmosphäre entstehen lassen. «Wir haben herausgefunden, dass die Duftstoffe, die aus Wäldern aufsteigen, unter anderem mit dem Ozon in der Luft reagieren und so neue Aerosole bilden», erklärt Baltensperger. Die Versuche wurden in der speziell konstruierten, sogenannten CLOUD-Kammer am CERN in Genf durchgeführt. Messungen auf dem Jungfraujoch bestätigten, dass dieser Prozess ebenso in der Natur stattfindet. «Seither ist klar: Dieser Beitrag muss in den Klimamodellen berücksichtigt werden», sagt Baltensperger.
Doch nicht nur für das Klima spielen Aerosole eine wichtige Rolle – Feinstaub hat auch beträchtliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. Jährlich sterben weltweit sieben Millionen Menschen vorzeitig an den Folgen verschmutzter Luft. Deshalb untersuchen André Prévôt und seine Forschungsgruppe zurzeit die Luftqualität im indischen Delhi. Dort messen sie zwanzig bis dreissig Mal höhere Konzentrationen von Schadstoffen als in der Schweiz – vornehmlich aus menschlichen Quellen. Mit ihren Geräten und Analysen können Prévôt und sein Team aufdecken, welche Quellen und Prozesse wie viel Feinstaub produzieren und welche Massnahmen daher die Situation verbessern können.
Chinesischer Ofen in der Smogkammer
«Wir haben die Verantwortung, unser Wissen zur Verbesserung der Lebensqualität auf der ganzen Erde einzusetzen, und ich würde ein grosses, persönliches Ziel erreichen, wenn unsere Resultate dazu beitragen könnten, die Luftqualität in Indien zu verbessern», sagt Prévôt. In China ist dies bereits gelungen. Die PSI-Forschenden konnten zeigen, dass der Smog in Peking zu einem wesentlichen Teil aus sekundär gebildetem Feinstaub besteht, zu dem auch weit entfernte Quellen beitragen. Neben Messungen vor Ort führte die Gruppe dazu auch Experimente in der Smogkammer am PSI durch. «Wir importierten einen chinesischen Ofen samt Kohle und untersuchten, was mit den Abgasen in der Atmosphäre passiert», erklärt der Atmosphärenwissenschaftler. Diese Erkenntnisse trugen dazu bei, dass die Regierung in Peking Kohleheizungen in der Stadt verbot und viele Betriebe im Umkreis von fünfhundert Kilometer schloss. Dies führte zu einem Rückgang der Schadstoffkonzentrationen von bis zu fünfundzwanzig Prozent in nur fünf Jahren.
Für ihre Smogmessungen bauten die Forschenden ein mobiles Labor, in dem sie die Zusammensetzung des Feinstaubs vor Ort analysieren können. Inzwischen haben sie ein neues Gerät entwickelt, mit dem sich unter anderem Reaktionen verfolgen lassen, die in den Feinstaubteilchen ablaufen und Auswirkungen auf die Gesundheit haben können. «Dies eröffnet uns ein komplexes Forschungsfeld mit neuen, hochrelevanten Fragestellungen», sagt Urs Baltensperger. «Das macht Spass und ist für uns Forschende sehr befriedigend.»
Text: Barbara Vonarburg