Forschende am PSI haben erstmals eine sogenannte achromatische Linse für Röntgenlicht entwickelt. Damit lassen sich die Röntgenstrahlen auch dann gut auf einen einzigen Punkt fokussieren, wenn sie eine gewisse Bandbreite an Wellenlängen haben. Die neue Linse wird die Erforschung von Nanostrukturen mittels Röntgenstrahlen deutlich erleichtern, schreiben die Forschenden im Fachblatt Nature Communications.
Scharfe Bilder in der Fotografie und in optischen Mikroskopen sind nur möglich dank sogenannter achromatischer Linsen. Diese sorgen dafür, dass verschiedene Lichtfarben – also Licht verschiedener Wellenlängen – den gleichen Fokuspunkt haben. Analog gab es für Röntgenlicht bislang keine achromatischen Linsen, sodass scharfe Röntgenmikroskopie nur mit «einfarbigem» Röntgenlicht möglich war. Dies bedeutet in der Praxis, dass aus dem Röntgenlicht alle anderen Wellenlängen zunächst herausgefiltert werden müssen, also nur ein kleiner Teil des Lichts effektiv genutzt werden kann und dadurch die Effizienz der Bildaufnahme leidet.
Ein Team von Forschenden am PSI hat dieses Problem nun gelöst: Ihnen gelang die Entwicklung einer achromatischen Röntgenlinse. Profitieren wird davon unter anderem die industrielle Forschung und Entwicklung beispielsweise von Mikrochips, Batterien und die Materialforschung. Denn mit Röntgenlicht lassen sich viel kleinere Strukturen abbilden als mit sichtbarem Licht.
Komplexer als im sichtbaren Bereich
Dass erst jetzt eine achromatische Linse für Röntgenlicht entwickelt werden konnte, mag zunächst erstaunen. Denn achromatische Linsen für sichtbares Licht gibt es bereits seit über 200 Jahren. Diese sind üblicherweise aus zwei Materialien zusammengesetzt. Das Licht gelangt erst durch das eine Material und spaltet sich dabei in seine Spektralfarben auf – wie man es von einem klassischen Glasprisma kennt. Danach wird es durch ein zweites Material geführt, das diesen Effekt wieder umkehrt. «Dispersion» ist der physikalische Begriff für das Auseinander- oder eben Zusammenlaufen verschiedener Lichtwellenlängen.
«Dieses einfache Prinzip, das im sichtbaren Bereich angewandt wird, funktioniert aber im Röntgenbereich nicht», erklärt der Physiker Christian David, Leiter der Forschungsgruppe für Röntgenoptik und Anwendungen am Labor für Mikro- und Nanotechnologie des PSI. «Für Röntgenlicht existieren keine Materialien, die sich in den optischen Eigenschaften über breite Wellenlängenbereiche so stark unterscheiden, dass das eine Material den Effekt des anderen wieder aufheben könnte. Man könnte auch sagen: Im Röntgenbereich ist die Dispersion der Materialien zu ähnlich.»
Zwei Prinzipien statt zwei Materialien
Statt die Lösung also in der Kombination zweier Materialien zu suchen, kombinierten die Forschenden zwei verschiedene optische Prinzipien. «Der Clou war, zu erkennen, dass wir unserer diffraktiven Linse eine zweite Linse voranstellen können, die eine refraktive Wirkung hat», so Adam Kubec, Erstautor der neuen Studie. Kubec war bis vor Kurzem Forscher in der Gruppe von Christian David und ist nun Mitarbeiter von XRnanotech, einem Spin-off, das aus der Röntgenoptik-Forschung des PSI hervorgegangen ist.
«Das PSI ist bereits seit vielen Jahren weltweit ganz vorne dabei, wenn es um die Herstellung von Röntgenlinsen geht», so David. «Wir versorgen viele Röntgenmikroskope an Synchrotronlichtquellen weltweit mit speziellen Linsen, sogenannten Fresnel-Zonenplatten.» Für die Herstellung von diffraktiven Linsen nutzt die Forschungsgruppe um David etablierte Verfahren der Nanolithografie. Doch für den zweiten Teil der achromatischen Linse, die refraktive Struktur, war eine neue Methode nötig, die erst seit Kurzem verfügbar ist: 3-D-Druck im Mikrometerbereich. Damit realisierte Kubec schliesslich eine Form, die entfernt an eine winzige Rakete erinnert.
Kommerzielle Anwendungen in Aussicht
Die neu entwickelte Linse ermöglicht den Sprung von der Forschungsanwendung zu einer Röntgenmikroskopie im kommerziellen Einsatz, beispielsweise in der Industrie. «Synchrotronquellen erzeugen Röntgenlicht von so hoher Intensität, dass man es sich leisten kann, alle Wellenlängen bis auf eine aus dem Strahl herauszufiltern: Es bleibt trotzdem noch genug Licht, um ein Bild zu machen», so Kubec. Doch Synchrotrons sind Grossforschungsanlagen. Bislang erhalten Mitarbeitende aus der industriellen Forschung und Entwicklung sogenannte Strahlzeit an Forschungs-Synchrotrons, darunter auch an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS am PSI. Und diese Strahlzeit ist rar, kostbar und braucht eine langfristige Planung. «Die Industrie wünscht sich in ihren Entwicklungsprozessen eine schnellere Antwortzeit», sagt Kubec. «Unsere achromatische Röntgenlinse wird dabei enorm helfen: Sie wird kompakte Röntgenmikroskopie ermöglichen, die Industrieunternehmen auf ihrem eigenen Areal betreiben können.»
Gemeinsam mit XRnanotech plant das PSI, die neue Linse zu vermarkten. Entsprechenden Kontakt zu Firmen, die Röntgenmikroskope im Labormassstab bauen, hätten sie bereits, bestätigt Kubec.
Test im Röntgenstrahl der SLS
Um ihre achromatische Röntgenlinse zu charakterisieren, nutzten die Forschenden eine Röntgenstrahllinie an der SLS. Dort wird unter anderem eine hoch entwickelte Röntgenmikroskopiemethode namens Ptychografie genutzt. «Normalerweise wird damit eine unbekannte Probe untersucht», sagt Zweitautorin Marie-Christine Zdora, Physikerin in der Forschungsgruppe von Christian David und Expertin für Röntgenbildgebung. «Wir dagegen haben die Ptychografie genutzt, um den Röntgenstrahl und somit unsere achromatische Linse zu charakterisieren.» So konnten die Forschenden genau ermitteln, wo sich der Fokus der Röntgenstrahlen bei verschiedenen Wellenlängen befand.
Zusätzlich testeten sie die neue Linse mit einer Methode, bei der die Probe in kleinen Rasterschritten durch den Fokus des Röntgenstrahls bewegt wird. Ändert man die Wellenlänge der Röntgenstrahlen, erscheinen die Bilder mit einer konventionellen Röntgenlinse stark verschwommen, nicht jedoch mit der neuen achromatischen Linse. «Als wir dann über einen breiten Bereich an Wellenlängen ein scharfes Bild der Testprobe erhielten, wussten wir, dass unsere Linse funktioniert», freut sich Zdora.
David ergänzt: «Dass wir diese achromatische Röntgenlinse am PSI entwickeln konnten und schon bald mit XRnanotech auf den Markt bringen werden, zeigt, dass hier Forschung gemacht wird, die in die Anwendung kommt – und zwar zeitnah.»
Über das PSI
Das Paul Scherrer Institut PSI entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Zukunftstechnologien, Energie und Klima, Health Innovation und Grundlagen der Natur. Die Ausbildung von jungen Menschen ist ein zentrales Anliegen des PSI. Deshalb sind etwa ein Viertel unserer Mitarbeitenden Postdoktorierende, Doktorierende oder Lernende. Insgesamt beschäftigt das PSI 2300 Mitarbeitende, das damit das grösste Forschungsinstitut der Schweiz ist. Das Jahresbudget beträgt rund CHF 460 Mio. Das PSI ist Teil des ETH-Bereichs, dem auch die ETH Zürich und die ETH Lausanne angehören sowie die Forschungsinstitute Eawag, Empa und WSL. (Stand 06/2024)
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Originalveröffentlichung
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Kubec A, Zdora M-C, Sanli UT, Diaz A, Vila-Comamala J, David C
An achromatic X-ray lens
Nature Communications. 2022; 13: 1305 (7 pp.). https://doi.org/10.1038/s41467-022-28902-8
DORA PSI