Die Verwendung des Lichts von Freie-Elektronen-Röntgenlasern (XFEL) zur Untersuchung von Proteinstrukturen bietet Pharmaunternehmen erhebliche Vorteile, doch der Durchsatz bei solchen Untersuchungen stellt ein Hindernis dar. Die Experimentierstation Cristallina am SwissFEL, die kürzlich ihre erste Ausschreibung für Nutzer aus der Strukturbiologie bekannt gab, verspricht, dies zu ändern. Im Interview erklärt John Beale, der bei Cristallina für die makromolekulare Kristallografie zuständig ist, wie das geschehen soll.
John Beale studierte Biochemie am Imperial College London und promovierte an der Universität Oxford. Anschliessend arbeitete er am britischen Synchrotron Diamond Light Source, wo er Techniken der seriellen Kristallografie entwickelte. Ein Marie-Skłodowska-Curie-Stipendium brachte John Beale 2019 ans PSI, wo er seine Untersuchungen fortsetzte. Seit 2020 ist er Strahllinienwissenschaftler für serielle Femtosekunden-Kristallografie (SFX) an der Cristallina und für das Cristallina-MX-Projekt verantwortlich.
Herr Beale, lassen Sie uns zunächst einige Begriffe klären. Cristallina ist die dritte Experimentierstation des SwissFEL-Zweiges für harte Röntgenstrahlung. Sie leiten ein Projekt namens Cristallina-MX. Worum geht es dabei?
John Beale: Unser Ziel bei Cristallina-MX ist es, makromolekulare Kristallografie an einem Freie-Elektronen-Röntgenlaser bei erhöhtem Durchsatz durchzuführen. Dadurch wird es für die Industrie einfacher, diese Röntgenquelle zu nutzen. Freie-Elektronen-Röntgenlaser haben ein erhebliches Potenzial für die Entdeckung neuer Wirkstoffe, das derzeit aber durch mangelnde Effizienz bei der Datenerfassung und beim Durchsatz behindert wird.
Warum?
Freie-Elektronen-Röntgenlaser wie der SwissFEL sind ganz besondere Anlagen – weltweit stehen Nutzern nur fünf solcher Einrichtungen zur Verfügung. Aufgrund ihres linearen Aufbaus gibt es an jeder Anlage nur eine begrenzte Anzahl von Experimentierstationen. Am SwissFEL haben wir lediglich zwei Strahllinien, an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS sind es dagegen beispielsweise sechzehn. Da ein Experiment in der Regel drei bis fünf Tage dauert, sind die Strahlzeiten an einem Freie-Elektronen-Röntgenlaser verständlicherweise hart umkämpft. Zudem sind diese Strahlzeiten sehr komplex und bedürfen einer langwierigen Optimierung durch Spezialisten.
Für die Industrie ist Zeit Geld. Industrielle Nutzer brauchen einen höheren Durchsatz und automatisierte Abläufe. Sie müssen ihre Experimente innerhalb weniger Stunden durchführen, nicht im Laufe einer Woche. Wenn wir das ermöglichen, wird ein grösserer Nutzerkreis von der höheren Brillanz eines Freie-Elektronen-Röntgenlasers profitieren – auch neue akademische Nutzer.
Was haben Pharmaunternehmen davon, makromolekulare Kristallografie an einem Freie-Elektronen-Röntgenlaser durchzuführen?
Lassen Sie mich zunächst ein paar Hintergründe erläutern.
Bei einem Freie-Elektronen-Röntgenlaser werden die Proteinkristalle fast augenblicklich zerstört, wenn das Licht auf sie trifft. Davor bleiben uns etwa zehn Femtosekunden, in denen wir ein Beugungsmuster aufzeichnen können – wir nennen das „Diffraction before Destruction“ (Beugung vor der Zerstörung). Diese Zeit reicht nicht aus, um einen Kristall zu rotieren und mehrere Beugungsmuster aufzunehmen, wie bei einer Synchrotronquelle. Stattdessen sammeln wir die Beugungsmuster von Tausenden verschiedener, zufällig angeordneter Proteinkristalle und setzen sie zusammen, um ihre Struktur zu berechnen. Wir nennen das serielle Femtosekunden-Kristallografie.
Für Pharmaunternehmen verspricht die serielle Femtosekunden-Kristallografie drei wesentliche Vorteile.
Erstens können auch Proteine untersucht werden, die in der Regel nur zu kleinen, schwach diffraktiven Kristallen heranwachsen und eine höhere Brillanz benötigen, als sie mit Synchrotronquellen erreicht werden kann. Die offensichtlichste Gruppe sind hier die Membranproteine, welche sich bekanntermassen nur schwer kristallisieren lassen, dabei aber ein gewaltiges Reservoir an potenziellen Zielstrukturen für Wirkstoffe darstellen. Bei 60 Prozent der aktuellen Zielstrukturen handelt es sich wohl um Membranproteine.
Und die anderen Gründe? Lassen Sie mich raten: Es hat etwas mit der Vorsilbe „Femto“ in der seriellen Femtosekunden-Kristallografie zu tun?
Stimmt genau. Zeitaufgelöste Messungen. Mit Synchrotronen erreicht man nicht die gleichen ultrakurzen zeitlichen Massstäbe wie bei einem Freie-Elektronen-Röntgenlaser. Damit können wir die Dynamik von Proteinstrukturen und ihre molekularen Mechanismen mit nahezu atomarer Auflösung untersuchen.
Und der dritte Grund?
Mit einem Freie-Elektronen-Röntgenlaser können wir Strukturen tatsächlich ganz ohne Strahlenschäden erfassen. Das heisst, wir können Proteine untersuchen, die nicht extrem gekühlt wurden, sondern sich in einem quasi physiologischen Zustand befinden. So ist es zum Beispiel möglich, Proteine mit Metallionen zu untersuchen. Diese lassen sich mit einem Synchrotron nur schwer abbilden, mit dem Freie-Elektronen-Röntgenlaser können wir sie dagegen im nicht reduzierten Zustand untersuchen. Durch den Metall-Cofaktor sind diese Proteine mitunter recht heterogen in Bezug auf ihre Bindungspartner. Das macht es schwierig, sie gezielt zu hemmen, weshalb sie normalerweise nicht Gegenstand der Arzneimittelforschung sind. Wenn es uns gelingt, diese Proteine in ihrer nicht-reduzierten Form einzufangen, kann ihre Eignung als Wirkstoff-Targets möglicherweise besser untersucht werden.
Wie wollen Sie also bei Cristallina-MX den Durchsatz erhöhen?
Letztendlich kommt es auf die Probenzufuhr an. Lassen Sie mich erklären, warum. Bei der seriellen Femtosekunden-Kristallografie müssen die Kristalle kontinuierlich zugeführt werden. Das geschieht in der Regel mithilfe eines Flüssigkeitsstrahls. Eine Flüssigkeit, welche viele kleine Proteinkristalle enthält, wird durch den Röntgenstrahl geschickt. Auf diese Weise wird jede Menge fantastischer wissenschaftlicher Forschung betrieben, aber das Verfahren benötigt grosse Probenmengen und lässt sich schwer automatisieren.
Das machen wir nicht. Wir verwenden unbewegliche, auf einem Träger fixierte Kristalle. Zusammen mit dem Labor für Röntgen-Nanowissenschaften und -Technologien am PSI haben wir für Nicht-Membranproteine einen festen Träger mit 26 000 winzigen Öffnungen hergestellt. Darauf kann ein heterogenes Stoffgemisch aus einer Flüssigkeit und darin fein verteilten Eiweisskristallen aufgetragen werden. Die Vertiefungen können wir dann ultraschnell nacheinander abtasten und von jeder ein Beugungsmuster aufnehmen. Für Membranproteine in viskosen Medien verwenden wir ein Träger, der vom Max-Planck-Institut in Heidelberg entwickelt wurde.
Diese haben den gleichen Effekt wie ein Flüssigkeitsstrahl, benötigen aber geringere Probenmengen und haben eine höhere Trefferquote. Ausserdem lassen sie sich besser automatisieren. Insgesamt können wir also viel schneller vorgehen.
Wie viel schneller genau?
Das Scannen eines Probenträgers kann in wenigen Minuten erfolgen. Wichtig ist eine hohe Trefferquote und dass in dieser Zeit möglichst viele Daten gesammelt werden. Nach dem Scannen müssen die Probenträger ausgetauscht werden, was den Durchsatz begrenzt. Deshalb haben wir einen Roboter installiert, der diese Aufgabe übernimmt. Letztendlich wollen wir den gesamten Prozess vollständig automatisieren.
Mit all diesen Mitteln hoffen wir, während der Strahlzeit neben unseren akademischen Nutzern auch mindestens zwei bis drei Industriekunden pro Tag Analysen mittels serieller Femtosekunden-Kristallografie mit sehr hohem Durchsatz anbieten zu können. Wir möchten, dass dies eine wichtige Ressource für Pharmaunternehmen wird.
Interview: Paul Scherrer Institut PSI/Miriam Arrell
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Dr. John Henry Beale
Strahllinienwissenschaftler für serielle Kristallografie
Paul Scherrer Institut PSI