Ein Kompass, der nach Westen zeigt

Forschende des Paul Scherrer Instituts PSI und der ETH Zürich haben ein besonderes Phänomen des Magnetismus im Nanobereich entdeckt. Es ermöglicht, Magnete in ungewöhnlichen Konfigurationen zusammenzustellen. Damit könnte man Computerspeicher und -schalter bauen, um die Leistungsfähigkeit von Mikroprozessoren zu steigern. Die Ergebnisse der Arbeit wurden jetzt in der Zeitschrift Science veröffentlicht.

Zhaochu Luo, Hauptautor der Studie, vor einer sogenannten Sputter-Depositions-Apparatur. In der Vorrichtung werden die Schichten aus Platin, Kobalt und Aluminiumoxid erzeugt. Jede Schicht ist nur wenige Nanometer dünn. (Foto: Paul Scherrer Institut/Mahir Dzambegovic)
Wenn sich eine Gruppe von Kobaltatomen nach Norden oder Süden ausrichtet (rot), orientieren sich die benachbarten Kobaltatome nach Westen oder Osten (blau). Die Orientierung der benachbarten Atome liegt auf einer Ebene. Diese Wechselwirkung erfordert eine Beschichtung der Kobaltschicht mit einer Platin- (unten, beige) und Aluminiumoxidschicht (oben, hier nicht dargestellt). (Illustration: Paul Scherrer Institut/Zhaochu Luo)

Magnete zeichnen sich dadurch aus, dass sie einen Nordpol und einen Südpol haben. Werden zwei Magnete nahe aneinandergehalten, ziehen sich deren entgegengesetzte Pole an und die gleichen stossen sich ab. Deshalb richten sich magnetische Nadeln, wie sie beispielsweise in einem Kompass vorkommen, im Erdmagnetfeld so aus, dass damit die Kardinalrichtungen Nord und Süd und daraus abgeleitet Ost und West bestimmt werden können. In der Welt, die wir jeden Tag mit unseren Sinnen erleben, ist diese Regel richtig. Wenn man jedoch die makroskopische Welt verlässt und in die Tiefen viel kleinerer Dimensionen eintaucht, ändert sich das. Forschende des Paul Scherrer Instituts PSI und der ETH Zürich haben nun eine ganz besondere magnetische Wechselwirkung auf der Ebene nanoskopischer Strukturen aus wenigen Atomschichten entdeckt.

Die Atome wirken dort wie winzige Kompassnadeln und entfalten ihre Wirkung über äusserst kurze Entfernungen im Nanometerbereich, also einige millionstel Millimeter. Deshalb sprechen die Forschenden auch von Nanomagneten.

Das Phänomen, das die Forschenden des PSI nun beobachten konnten, basiert auf einer Wechselwirkung, die die beiden Physiker Igor Dzyaloshinskii und Toru Mariya vor mehr als 60 Jahren vorhergesagt haben. Das war unser Ausgangspunkt, sagt Zhaochu Luo, Physiker am PSI und an der ETH Zürich.

Nord-West- und Süd-Ost-Kopplung von Atomen

Bei dieser Wechselwirkung richten sich die Atomkompassnadeln nicht nur in Nord-Süd-Richtung, sondern auch in Ost-West-Richtung aus. Wohin sie zeigen, hängt davon ab, wie sich die Atome in ihrer Nachbarschaft orientieren, sagt Zhaochu Luo, Erstautor der Studie. Wenn beispielsweise eine Gruppe von Atomen nach Norden zeigt, weist die benachbarte Gruppe immer nach Westen. Wenn eine Gruppe von Atomen nach Süden zeigt, dann orientieren sich die benachbarten Atome nach Osten.

Diese Orientierungen können durch Magnetfelder oder elektrische Ströme umgekehrt werden, das heisst von Nord nach Süd und umgekehrt. Die benachbarten Atomgruppen orientieren sich dann entsprechend neu, entweder von West nach Ost oder umgekehrt.

Die Kopplung von Nord-West- und Süd-Ost-Orientierung entdeckten die Forschenden mithilfe einer nur 1,6 Nanometer dünnen Lage aus Kobaltatomen, die zwischen einer Platinschicht auf der einen und einer Aluminiumoxid-Schicht auf der anderen Seite eingeschlossen war. Alleine die Herstellung dieser speziellen Schichtung für unsere Experimente dauerte etwa ein halbes Jahr, so Zhaochu Luo, der am PSI in der Forschungsgruppe Mesoskopische Systeme von Laura Heyderman arbeitet, die auch Professorin an der ETH Zürich ist.

Aussergewöhnlich dabei ist, dass sich diese Wechselwirkung lateral, also seitlich in einer Ebene abspielt. Bislang konnten vergleichbare Kopplungen zwischen Nanomagneten nur vertikal, also bei übereinander angeordneten Atomgruppen festgestellt werden.

Das gemeinsam von PSI- und ETH-Forschenden beobachtete Phänomen ermöglicht die Entwicklung magnetischer Netzwerke in einer Ebene. Damit lassen sich unter anderem sogenannte synthetische Antiferromagnete herstellen. In diesen Antiferromagneten zeigen Atomgruppen in regelmässigen Abständen entweder nach Norden oder nach Süden. Die Anzahl der gegenläufig orientierten Nanomagnete ist etwa gleich, sodass sie sich in der Summe gegenseitig neutralisieren. Deshalb wirken Antiferromagnete auf den ersten Blick nicht wie Magnete – zum Beispiel haften sie nicht an einer Kühlschranktür.

Die benachbarten Atome, die entweder nach Westen oder nach Osten ausgerichtet sind, wirken als Abstandhalter zwischen den Magneten, die nach Norden oder Süden zeigen und jeweils nur wenige Nanometer gross sind. Dadurch ist es beispielsweise möglich, neue, effizientere Computerspeicher und -schalter zu bauen, was wiederum die Leistungsfähigkeit von Mikroprozessoren erhöht.

Logische Gatter für Computer

Die einzelnen Nanomagnete, die entweder nach Norden oder nach Süden gerichtet sind, eignen sich zum Bau von sogenannten Logikgattern. Ein solches Gatter ist ein Baustein in einem Computer und funktioniert als eine Art Schalter. Signale gehen in diese Gatter hinein und werden dann zu einem Ausgangssignal verarbeitet. In einem Computer sind viele dieser Gatter vernetzt, um Operationen durchzuführen. Ein solcher Computerbaustein kann auch mithilfe von Nanomagneten konstruiert werden, die nach Norden oder Süden zeigen. Diese sind vergleichbar mit den heute üblichen Prozessoren, deren Transistoren die Signale in binärer Form verarbeiten, also alle Signale als Null oder Eins interpretieren. Nanomagnete, die entweder nach Norden oder nach Süden ausgerichtet sind, können dies ebenfalls leisten. Das könnte Mikroprozessoren kompakter und effizienter machen.

Laut Pietro Gambardella, der diese Studie zusammen mit Laura Heyderman geleitet hat, bietet die Arbeit eine Plattform, um Anordnungen von vernetzten Nanomagneten zu entwerfen und eine vollelektrische Steuerung von planaren logischen Gattern und Speichervorrichtungen zu erzielen, wie die Forschenden heute im Wissenschaftsmagazin Science schreiben.

Neben dem Einsatz laborbasierter Methoden erzielten die Forschenden ihre Ergebnisse mittels Röntgen- Photoemissionselektronenmikroskopie an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS des PSI.

Text: Paul Scherrer Institut/Sebastian Jutzi


Über das PSI

Das Paul Scherrer Institut PSI entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Materie und Material, Energie und Umwelt sowie Mensch und Gesundheit. Die Ausbildung von jungen Menschen ist ein zentrales Anliegen des PSI. Deshalb sind etwa ein Viertel unserer Mitarbeitenden Postdoktorierende, Doktorierende oder Lernende. Insgesamt beschäftigt das PSI 2100 Mitarbeitende, das damit das grösste Forschungsinstitut der Schweiz ist. Das Jahresbudget beträgt rund CHF 390 Mio. Das PSI ist Teil des ETH-Bereichs, dem auch die ETH Zürich und die ETH Lausanne angehören sowie die Forschungsinstitute Eawag, Empa und WSL.

(Stand 05/2018)

Kontakt/Ansprechpartner

Dr. Luo Zhaochu
Forschungsgruppe Mesoskopische Systeme
Paul Scherrer Institut, Forschungsstrasse 111, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 54 94, E-Mail: zhaochu.luo@psi.ch [Englisch, Chinesisch]

Prof. Dr. Laura Heyderman
Forschungsgruppe Mesoskopische Systeme
Paul Scherrer Institut, Forschungsstrasse 111, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 26 13, E-Mail: laura.heyderman@psi.ch [Englisch, Deutsch, Französisch]

Prof. Dr. Pietro Gambardella
Materialwissenschaften, Magnetismus und Grenzflächenphysik
ETH Zürich, Hönggerbergring 64, 8093 Zürich, Schweiz
Telefon: +41 44 633 07 56, E-Mail: pietro.gambardella@mat.ethz.ch [Englisch, Deutsch, Französisch, Spanisch, Italienisch]

Originalveröffentlichung

Chirally coupled nanomagnets
Z. Luo, T. Phuong Dao, A. Hrabec, J. Vijayakumar, A. Kleibert, M. Baumgartner, E. Kirk, J. Cui, T. Savchenko, G. Krishnaswamy, L. J. Heyderman, and P. Gambardella
Science 29. März 2019
DOI: 10.1126/science.aau7913