Forschende am Paul Scherrer Institut PSI haben erstmals das Enzym Styroloxidisomerase genau charakterisiert, mit dem sich umweltschonend wertvolle Chemikalien und Vorläufer für Medikamente herstellen lassen. Das Enzym könnte ein neues wichtiges Werkzeug für die Kreislaufwirtschaft und die grüne Chemie werden. Die Studie erscheint heute in dem Fachblatt Nature Chemistry.
Enzyme sind leistungsfähige Biomoleküle, mit denen man viele Substanzen unter naturnahen Bedingungen produzieren kann. Sie machen eine «grüne» Chemie möglich, welche die Umweltbelastung durch chemisch-synthetische Prozesse vermindert. Ein solches Werkzeug aus der Natur haben PSI-Forschende jetzt eingehend charakterisiert: das Enzym Styroloxidisomerase. Es ist das biologische Pendant zur Meinwald-Reaktion, einer wichtigen chemischen Reaktion in der organischen Chemie.
«Das Enzym wurde schon vor Jahrzehnten entdeckt und wird von Bakterien gebildet», sagt Richard Kammerer vom PSI-Labor für biomolekulare Forschung. Seine Kollegin Xiaodan Li fügt hinzu: «Da man aber nicht wusste, wie es funktioniert, war seine Einsatzfähigkeit bisher begrenzt.» Die beiden Forschenden und ihr Team haben Struktur und Funktionsweise des Enzyms entschlüsselt.
Einfacher Mechanismus für komplizierte Reaktion
Mikroorganismen besitzen viele ungewöhnliche Enzyme, mit denen sie beispielsweise Schadstoffe abbauen und diese als Nährstoffe nutzen können. Dazu gehört auch die Styroloxidisomerase. Zusammen mit zwei weiteren Enzymen ermöglicht sie es bestimmten Umweltbakterien, den Kohlenwasserstoff Styrol umzusetzen.
Die Styroloxidisomerase katalysiert dabei einen ganz spezifischen Reaktionsschritt: Sie spaltet im Styroloxid den dreigliedrigen Ring bestehend aus einem Sauerstoff- und zwei Kohlenstoffatomen, ein sogenanntes Epoxid. Dabei geht das Enzym so vor, dass immer nur ein einziges Produkt entsteht. Es kann auch eine Reihe zusätzlicher Substanzen umsetzen, wobei Produkte entstehen, die wichtige Vorläufer für medizinische Anwendungen sind.
Das Besondere ist, dass bei vielen chemischen Reaktionen sowohl Bild als auch Spiegelbild einer chemischen Verbindung entstehen können, die biologisch unter Umständen ganz anders wirken. Das Enzym lässt aber gezielt nur ein einziges der beiden Produkte entstehen. In der Chemie heisst diese Eigenschaft stereospezifisch – gerade bei Vorläufermolekülen für Medikamente ist sie extrem wichtig. «Das Enzym ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie die Natur auf einfache und geniale Art chemische Reaktionen möglich macht», sagt Xiaodan Li.
Vielseitig einsetzbar
Im Laufe ihrer Untersuchungen, die sie teilweise an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS durchführten, entdeckten die PSI-Forschenden das Geheimnis des Enzyms: eine eisenhaltige Gruppe in seinem Inneren, ähnlich dem eisenhaltigen Farbstoff in unseren roten Blutkörperchen. Diese Häm-Gruppe bindet das Ausgangsmolekül und macht die Reaktion dadurch so einfach und effizient. Weitere Untersuchungen wurden von der Gruppe von Volodymyr Korkhov, ebenfalls vom PSI-Labor für Biomolekularforschung und ausserordentlicher Professor am Department Biologie der ETH Zürich, unter Verwendung der Kryo-Elektronenmikroskopie durchgeführt.
Xiaodan Li und Richard Kammerer sind sich sicher, dass das Enzym in der chemischen und pharmazeutischen Industrie extrem nützlich sein wird. «Es ist das einzige bisher bekannte bakterielle Enzym, das die Meinwald-Reaktion katalysiert», betont Richard Kammerer. Mithilfe des Enzyms könnte die Industrie unter energiesparenden und umweltschonenden Bedingungen beispielsweise Vorläufer für Medikamente und wichtige Chemikalien herstellen.
«Das Enzym lässt sich potenziell so verändern, dass es eine ganze Reihe neuer Substanzen umsetzen kann», fügt Xiaodan Li hinzu. Zudem ist das Enzym sehr stabil und daher im grossen Massstab einsetzbar. «Es wird mit Sicherheit ein neues wichtiges Werkzeug für die Kreislaufwirtschaft und die grüne Chemie werden», sind die PSI-Forschenden überzeugt.
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Originalveröffentlichung
Structural basis of the Meinwald rearrangement catalyzed by styrene oxide isomerase
Basavraj Khanppnavar, Joel P.S. Choo, Peter-Leon Hagedoorn, Grigory Smolentsev, Saša Štefanić, Selvapravin Kumaran, Dirk Tischler, Fritz Winkler, Volodymyr M. Korkhov, Zhi Li, Richard A. Kammerer und Xiaodan Li
Nature Chemistry, 14.05.2024 (online)
DOI: 10.1038/s41557-024-01523-y
Über das PSI
Das Paul Scherrer Institut PSI entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Zukunftstechnologien, Energie und Klima, Health Innovation und Grundlagen der Natur. Die Ausbildung von jungen Menschen ist ein zentrales Anliegen des PSI. Deshalb sind etwa ein Viertel unserer Mitarbeitenden Postdoktorierende, Doktorierende oder Lernende. Insgesamt beschäftigt das PSI 2200 Mitarbeitende, das damit das grösste Forschungsinstitut der Schweiz ist. Das Jahresbudget beträgt rund CHF 420 Mio. Das PSI ist Teil des ETH-Bereichs, dem auch die ETH Zürich und die ETH Lausanne angehören sowie die Forschungsinstitute Eawag, Empa und WSL. (Stand 06/2023)