Geordneter Elektronenfluss im Isolator

Neuartiges Material zeigt Eigenschaften, die für Spintronik nötig sind

Was ein elektronisches Gerät tut, wird dadurch bestimmt, wie sich die Elektronen darin bewegen. Elektronen zu bewegen kostet aber Zeit und Energie, was den möglichen Technologien Grenzen setzt. Um diese Schwierigkeiten zu umgehen, wollen Forschende zunehmend den Spin der Elektronen – die Eigenschaft, die sie zu winzigen Magneten macht – nutzen. Das würde Geräte schneller und effizienter machen. Schon heute findet man diese „Spintronik“ genannte Technologie in Geräten wie Festplatten. Spintronik benötigt polarisierte elektrische Ströme, also solche, bei denen die Spins aller Elektronen in dieselbe Richtung weisen. Forschende des Paul Scherrer Instituts PSI, der ETH Lausanne EPFL und des Physikinstituts der Chinesischen Akademie der Wissenschaften haben nun gezeigt, dass das Material SmB6 alle Eigenschaften eines topologischen Isolators zeigt, also eines Materials, an dessen Oberfläche polarisierte Ströme fliessen können. Im Inneren, unterhalb der Oberfläche, ist das Material ein Isolator, in dem gar kein Strom fliessen kann. Dabei sind die polarisierten Ströme eine Folge der Isolatoreigenschaft im Inneren – beide Eigenschaften sind eng miteinander verbunden. Oberhalb einer bestimmten Temperatur, wenn das Material im Inneren leitend wird, verschwinden auch die polarisierten Ströme. SmB6 ist nicht der erste topologische Isolator, der entdeckt worden ist. Aber anders als in den übrigen Materialien beruht die Isolatoreigenschaft im Inneren auf dem sogenannten Kondo-Effekt, der sie sehr robust macht. Dieser Effekt führt dazu, dass an der Materialoberfläche nur polarisierte Ströme fliessen können und dass diese besondere Eigenschaft auch bei kleinen Unregelmässigkeiten in der Struktur oder Zusammensetzung des Materials erhalten bleibt. Die Eigenschaften des Materials sind an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS des Paul Scherrer Instituts PSI untersucht worden.

Die SIS-Strahllinie an der SLS, an der die Eigenschaften von SmB6 untersucht worden sind. Im Bild die PSI-Wissenschaftler Ming Shi, Nicholas Plumb und Nan Xu (von links nach rechts). Foto: Paul Scherrer Institut/Markus Fischer
Die SIS-Strahllinie an der SLS, an der die Eigenschaften von SmB6 untersucht worden sind. Im Bild die PSI-Wissenschaftler Nicholas Plumb und Nan Xu. Foto: Paul Scherrer Institut/Markus Fischer
Die SIS-Strahllinie an der SLS, an der die Eigenschaften von SmB6 untersucht worden sind. Im Bild der PSI-Wissenschaftler Ming Shi. Foto: Paul Scherrer Institut/Markus Fischer
Stromfluss in einem topologischen Isolator. Der Strom fliesst nur an der Oberfläche und ist immer Spin-polarisiert. Grafik: Paul Scherrer Institut/Mahir Dzambegovic
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Jedes Elektron hat einen Spin, eine Eigenschaft, die es zu einem winzigen Magneten macht. Und da der Spin in verschiedene Richtungen weisen kann, ist es möglich, dass er für Anwendungen in elektronischen Geräten nützlich ist. Schon heute werden Leseköpfe, die Daten aus Festplatten auslesen, aus Materialien hergestellt, die einen unterschiedlichen elektrischen Widerstand haben, je nachdem wie die Spins der Elektronen im Strom ausgerichtet sind. In Zukunft könnte es möglich werden, Daten in der Spinausrichtung von Elektronen zu speichern, wobei ein einzelnes Bit einigen wenigen Spins entsprechen würde. Voraussetzung für die Anwendung von Spintronik sind Spin-polarisierte Ströme, in denen die Spins aller Elektronen in die gleiche Richtung weisen. Im Jahr 2005 haben Wissenschaftler die Existenz einer neuen Klasse von Materialien vorausgesagt – der sogenannten topologischen Isolatoren. Eine der Eigenschaften der topologischen Isolatoren ist, dass sie zwar in ihrem Inneren keinen Strom leiten, an ihrer Oberfläche aber sehr wohl ein Strom fliessen kann. Dieser Strom ist aus fundamentalen Gründen Spin-polarisiert. Ein solches Material könnte also die polarisierten Ströme liefern, die für spintronische Geräte nötig sind.

Zuverlässig polarisiert

Nach der theoretischen Voraussage der topologischen Isolatoren haben Forschende begonnen, intensiv nach Materialien zu suchen, die zu dieser Klasse gehören. Dabei wurden zahlreiche wesentliche Experimente an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS des Paul Scherrer Instituts PSI durchgeführt. Nun hat ein Forschungsteam des PSI, der ETH Lausanne EPFL und des Physikinstituts der Chinesischen Akademie der Wissenschaften gezeigt, dass die Verbindung SmB6 (Samariumhexaborid) ein toplogischer Isolator ist. Es ist nicht das erste Beispiel für ein solches Material, aber die Isolatoreigenschaft im Inneren beruht auf einem anderen Effekt als in anderen topologischen Isolatoren: dem Kondo-Effekt. Dieser Effekt macht die Eigenschaften des Materials sehr robust. Damit unterscheidet es sich von den übrigen topologischen Isolatoren, deren Inneres leitend wird, sobald man ihre Struktur oder Zusammensetzung ein wenig ändert. Diese Robustheit ist wichtig für Anwendungen solcher Materialien in der Spintronik. Dennoch wird SmB6 vermutlich nicht für die Anwendungen geeignet sein. „Dieses Material wird man voraussichtlich nicht nutzen können, weil es die interessanten Eigenschaften erst bei sehr niedrigen Temperaturen zeigt“, erklärt Ming Shi, der verantwortliche PSI-Wissenschaftler, „aber unsere Experimente zeigen, dass es solche Materialien tatsächlich gibt.“ „Gleichzeitig sind die robusten Eigenschaften von SmB6 grundsätzlich interessant. Sie werden die Grundlage für die Erforschung zahlreicher neuartiger Phänomene bilden“, betont Hugo Dil, Wissenschaftler an der EPFL. Nan Xu, Postdoktorand am PSI freut sich: „Wir arbeiten konstant an solchen neuartigen Materialien und versuchen in ihnen weitere exotische Phänomene – wie zum Beispiel die Supraleitung – anzuregen und so neuartige Materialzustände zu erzeugen, die man beispielsweise in Quantencomputern einsetzen könnte.“

Herausgeschleuderte Elektronen zeigen, was im Material geschieht

Die Forschenden haben das Material mithilfe von Synchrotronlicht aus der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS – einer Beschleunigeranlage mit einem Umfang von 288 Metern – untersucht. Synchrotronlicht ist eine besondere Form von Röntgenlicht. Einer der Vorteile von Synchrotronlicht liegt darin, dass man seine Eigenschaften genau an die Bedürfnisse des einzelnen Experiments anpassen kann. In den Experimenten wie denen zum Verhalten von SmB6 beleuchten die Forschenden die untersuchte Materialprobe mit Synchrotronlicht. Die Energie des Lichts wird auf Elektronen übertragen, die daraufhin aus der Probe herausgeschleudert werden. Ein Detektor misst dann die Eigenschaften der herausgeschleuderten Elektronen. Das Messergebnis erlaubt es den Forschenden zu bestimmen, wie sich die Elektronen im Inneren des Materials verhalten haben. „Eine besondere Anlage, die nur am PSI verfügbar ist, war für die Messung der Elektronenspins nötig“, erklärt Ming Shi. „Wir mussten auch sicherstellen, dass die Elektronenspins, die wir gemessen haben, wirklich eine innere Eigenschaft des Materials widergespiegelt haben und nicht einfach auf den Einfluss des Lichts zurückzuführen waren. Daher haben wir das Experiment mit verschieden polarisiertem Licht wiederholt und gezeigt, dass die Ergebnisse in allen Fällen mit den Voraussagen für einen topologischen Isolator übereingestimmt haben.“

Text: Paul Scherrer Institut/Paul Piwnicki


Über das PSI

Das Paul Scherrer Institut PSI entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Materie und Material, Energie und Umwelt sowie Mensch und Gesundheit. Die Ausbildung von jungen Menschen ist ein zentrales Anliegen des PSI. Deshalb sind etwa ein Viertel unserer Mitarbeitenden Postdoktorierende, Doktorierende oder Lernende. Insgesamt beschäftigt das PSI 1900 Mitarbeitende, das damit das grösste Forschungsinstitut der Schweiz ist. Das Jahresbudget beträgt rund CHF 350 Mio.

Weiterführende Informationen
SIS-Strahlinie an der SLS http://www.psi.ch/sls/sis/
Forschungsgruppe Spektroskopie neuartiger Materialien am PSI http://www.psi.ch/specnovmat/spectroscopy-of-novel-materials-group
Spin Orbit Interaction Spectroscopy an der EPFL http://sois.epfl.ch/
Kontakt / Ansprechpartner
Prof. Dr. Ming Shi, Labor für Synchrotronstrahlung – Kondensierte Materie, Paul Scherrer Institut, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 23 93; E-Mail: ming.shi@psi.ch

Prof. Dr. Hugo Dil, Institute of Condensed Matter Physics (ICMP), Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL), 1015 Lausanne, Schweiz
Telefon: +41 21 693 53 76, E-Mail: hugo.dil@epfl.ch

Dr. Nan Xu, Labor für Synchrotronstrahlung – Kondensierte Materie, Paul Scherrer Institut, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 51 41; E-Mail: nan.xu@psi.ch

Dr. Nicholas Plumb, Labor für Synchrotronstrahlung – Kondensierte Materie, Paul Scherrer Institut, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 30 87; E-Mail: nicholas.plumb@psi.ch
Originalveröffentlichung
Direct observation of the spin texture in strongly correlated SmB6 and experimental realization of the first topological Kondo insulator
N. Xu, P.K. Biswas, J.H. Dil, R.S. Dhaka, G. Landolt, S. Muff, C.E. Matt, X. Shi, N.C. Plumb, M. Radovic, E. Pomjakushina, K. Conder, A. Amato, S.V. Borisenko, R. Yu, H.-M. Weng, Z. Fang, X. Dai, J. Mesot, H. Ding & M. Shi
Nature Communications 30 July 2014 DOI: 10.1038/ncomms5566