Quanteneffekte in Supraleitern könnten der Halbleitertechnologie eine neue Wendung geben. Forschende des Paul Scherrer Instituts PSI und der Universität Cornell im US-Bundesstaat New York haben ein Verbundmaterial identifiziert, das Quantenbauelemente in die Halbleitertechnologie integrieren und damit elektronische Bauteile deutlich leistungsstärker machen könnte. Sie veröffentlichen ihre Ergebnisse heute im Fachblatt Science Advances.
Unsere derzeitige elektronische Infrastruktur basiert vor allem auf Halbleitern. Diese Materialklasse kam etwa in der Mitte des 20. Jahrhunderts auf und wurde seither immer weiter verbessert. Zu den derzeit wichtigsten Herausforderungen in der Halbleiterelektronik gehören weitere Verbesserungen, die die Bandbreite der Datenübertragung, die Energieeffizienz und die Informationssicherheit erhöhen würden. Quanteneffekte einzubeziehen wird hierbei wahrscheinlich einen Durchbruch bewirken.
Denkbar sind dabei vor allem Quanteneffekte, die in supraleitenden Materialien auftreten können. Supraleiter sind Stoffe, in denen der elektrische Widerstand verschwindet, sobald sie auf eine bestimmte Temperatur gekühlt werden. Dass sich in Supraleitern auch Quanteneffekt ausnutzen lassen, hat sich bereits in ersten Quantencomputern gezeigt.
Um mögliche Nachfolger für die heutige Halbleiterelektronik zu finden, untersuchen einige Forschende – darunter eine Gruppe an der Cornell Universität – sogenannte Heterostrukturen, also Strukturen aus zwei verschiedenartigen Materialien. Genauer gesagt geht es ihnen um Schichtsysteme aus supraleitenden und halbleitenden Materialien. «Es ist schon länger bekannt, dass man dafür Materialien mit sehr ähnlichen Kristallstrukturen auswählen muss, damit es an der Kontaktfläche nicht zu Spannungen im Kristallgitter kommt», erklärt John Wright, der an der Cornell Universität die Heterostrukturen für die neue Studie hergestellt hat.
Zwei in dieser Hinsicht passende Materialien sind der Supraleiter Niobnitrid (NbN) sowie der Halbleiter Galliumnitrid (GaN). Letzterer spielt schon jetzt eine wichtige Rolle in der Halbleiterelektronik und ist daher bereits gut erforscht. Bislang war jedoch unklar, wie genau sich die Elektronen an der Kontaktfläche dieser beiden Materialien verhalten – und ob womöglich die Elektronen aus dem Halbleiter die Supraleitung stören und damit die Quanteneffekte auslöschen.
«Als ich auf die Forschung der Gruppe in Cornell stiess, wusste ich: Hier am PSI können wir mit unseren spektroskopischen Methoden an der ADRESS-Strahllinie die Antwort auf diese grundlegende Frage finden», erklärt Vladimir Strocov, Forscher an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS des PSI.
So kam es zur Zusammenarbeit zwischen den beiden Gruppen. In ihren Experimenten fanden sie schliesslich heraus, dass die Elektronen in beiden Materialien «für sich» bleiben. Es finden keine unerwünschten Wechselwirkungen statt, die die Quanteneffekte behindern könnten.
Synchrotronlicht zeigt die elektronischen Strukturen
Die PSI-Forschenden nutzten eine an der ADRESS-Strahllinie der SLS etablierte Methode: Winkelaufgelöste Photoelektronenspektroskopie mittels weicher Röntgenstrahlung – auf Englisch abgekürzt SX-ARPES. «Mit dieser Methode können wir die kollektive Bewegung der Elektronen im Material sichtbar machen», erklärt Tianlun Yu, Postdoktorand im Team von Vladimir Strocov, der die Messungen an der NbN/GaN-Heterostruktur durchgeführt hat. Gemeinsam mit Wright ist Yu Erstautor der neuen Veröffentlichung.
Die SX-ARPES-Methode liefert eine Art Landkarte, deren räumliche Koordinaten in eine Richtung die Energie der Elektronen zeigt und in die andere Richtung so etwas wie ihre Geschwindigkeit; genauer gesagt ihren Impuls. «In dieser Darstellung zeigen sich die elektronischen Zustände als helle Bänder in der Landkarte», erläutert Yu. Das entscheidende Forschungsergebnis: An der Materialgrenze zwischen dem Niobnitrid NbN und dem Galliumnitrid GaN sind die jeweiligen «Bänder» klar voneinander getrennt. Daran konnten die Forschenden ablesen: Die Elektronen bleiben in ihrem ursprünglichen Material und interagieren auch nicht mit den Elektronen im Nachbarstoff.
«Die für uns wichtigste Schlussfolgerung ist, dass die Supraleitung im Niobnitrid ungestört bleibt, selbst wenn dieses Atom für Atom passend auf eine Schicht Galliumnitrid aufgesetzt wird», sagt Vladimir Strocov. «Damit konnten wir ein weiteres Puzzlestück liefern, das bestätigt: Dieses Schichtsystem könnte tatsächlich eine neue Form der Halbleiterelektronik hervorbringen, welche die Quanteneffekte in Supraleitern einbindet und nutzt.»
Über das PSI
Das Paul Scherrer Institut PSI entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Zukunftstechnologien, Energie und Klima, Health Innovation und Grundlagen der Natur. Die Ausbildung von jungen Menschen ist ein zentrales Anliegen des PSI. Deshalb sind etwa ein Viertel unserer Mitarbeitenden Postdoktorierende, Doktorierende oder Lernende. Insgesamt beschäftigt das PSI 2300 Mitarbeitende, das damit das grösste Forschungsinstitut der Schweiz ist. Das Jahresbudget beträgt rund CHF 460 Mio. Das PSI ist Teil des ETH-Bereichs, dem auch die ETH Zürich und die ETH Lausanne angehören sowie die Forschungsinstitute Eawag, Empa und WSL. (Stand 06/2024)
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Originalveröffentlichung
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Yu T, Wright J, Khalsa G, Pamuk B, Chang CS, Matveyev Y, et al.
Momentum-resolved electronic structure and band offsets in an epitaxial NbN/GaN superconductor/semiconductor heterojunction
Science Advances. 2021; 7(52): eabi5833 (8 pp.). https://doi.org/10.1126/sciadv.abi5833
DORA PSI