PSI-Forschende haben einen wichtigen Bestandteil im Auge aufgeklärt. Es handelt sich um ein Protein in den Stäbchenzellen der Netzhaut, die es uns ermöglichen, bei Dämmerlicht zu sehen. Das Protein sorgt als Ionenkanal in der Zellmembran dafür, dass das Sehsignal vom Auge ins Gehirn weitergeleitet wird; Menschen, bei denen das Molekül aufgrund einer Erbkrankheit nicht richtig funktioniert, erblinden. Die Forschenden haben die dreidimensionale Struktur des Proteins entziffert und so dabei mitgeholfen, den Weg für eine zukünftige Heilungsmethode zu ebnen. Die Studie erscheint in Nature Structural & Molecular Biology.
«Den Stäbchenzellen in unserem Auge verdanken wir es, dass wir die Sterne am Nachthimmel betrachten können», erklärt Jacopo Marino, Biologe im PSI-Labor für biomolekulare Forschung. «Diese Sinneszellen sind so lichtempfindlich, dass sie selbst ein paar Photonen detektieren, die uns von Orten weit weg im Weltall erreichen – wirklich erstaunlich.» Dass wir diese Lichtstrahlen dann am Ende als Seheindruck im Gehirn wahrnehmen, liegt unter anderem an dem sogenannten CNG-Ionenkanal, dessen dreidimensionale Struktur PSI-Forschende rund um Jacopo Marino jetzt entschlüsselt haben.
Der Ionenkanal besitzt die Aufgabe eines Pförtners, der regelt, ob und welche Teilchen ins Innere der Sinneszelle gelangen können. Er ist in die fettreiche Hülle – die Zellmembran – der Stäbchenzellen eingebettet. In der Dunkelheit ist der Ionenkanal und damit das Tor in die Zelle vollständig geöffnet. Trifft aber Licht auf das Auge, wird in den Stäbchenzellen eine Kaskade von Prozessen in Gang gesetzt. Das sorgt letztendlich dafür, dass sich das Tor schliesst und positiv geladene Teilchen wie Kalziumionen nicht mehr in die Zelle strömen können.
Dieses elektrochemische Signal setzt sich über Nervenzellen bis ins Sehzentrum des Gehirns fort, wo wir dann zum Beispiel einen Lichtblitz wahrnehmen. «Die Idee, die Struktur dieses wichtigen Ionenkanals aufzuklären, entstand vor fast 20 Jahren, als Gebhard Schertler und Benjamin Kaupp bereits an diesem Thema forschten», sagt Jacopo Marino. Beide sind Co-Autoren der Studie.
Ausdauer führte zum Ziel
In aufwendiger und langwieriger Arbeit isolierte die Doktorandin Diane Barret das Kanalprotein aus Kuhaugen, sprich aus Schlachtmaterial. «Das war eine sehr herausfordernde Aufgabe, denn das Protein ist sehr empfindlich und zersetzt sich schnell. Auch liegt es in nur sehr geringen Mengen in dem Ausgangsmaterial vor», sagt Barret. Es dauerte ganze zwei Jahre, um genügend Protein zu bekommen, das sich untersuchen liess.
«Wir beide waren zu stur, um aufzugeben», sagt Jacopo Marino und lacht. «Aber das hat sich am Ende bezahlt gemacht.»
Mit der Technik der Kryo-Elektronenmikroskopie ermittelten die Forschenden schliesslich die dreidimensionale Struktur des Ionenkanals. «Im Gegensatz zu anderen Arbeiten zur Struktur des Ionenkanals, die bereits existieren, haben wir das native Protein untersucht, so wie es im Auge vorliegt. Wir sind also viel näher an den realen Bedingungen, wie sie im Lebewesen existieren», sagt Diane Barret.
Die natürliche Struktur des Kanalproteins genau zu kennen, ist unter anderem wichtig, um Behandlungen für bisher nicht heilbare Erbkrankheiten zu entwickeln, gegen Retinitis pigmentosa etwa. Dabei sterben die Sehzellen nach und nach ab, die Menschen erblinden. Eine mögliche Ursache ist, dass der Körper das CNG-Kanalprotein aufgrund eines Fehlers im Erbgut nicht richtig herstellen kann. Der Ionenkanal schliesst sich daher bei Lichteinfall nicht vollständig, daher kommt das elektrochemische Gleichgewicht in der Zelle durcheinander, woraufhin die Zellen absterben.
«Findet man Moleküle, die derart auf das Protein einwirken, dass der Kanal sich vollständig schliesst, könnte man das Absterben der Zellen verhindern – und damit auch, dass die Menschen erblinden», erklärt Jacopo Marino. Jetzt, wo die genaue Struktur des Proteins bekannt ist, lässt sich gezielt nach solchen Molekülen suchen.
Zusätzliche Schranke
Das Protein setzt sich aus vier Teilen zusammen: dreimal die Untereinheit A, einmal die Untereinheit B. Nur in dieser Kombination bildet sich ein funktionsfähiger Ionenkanal. Die PSI-Forschenden zeigen in ihrer Studie, warum die B-Untereinheit offensichtlich eine so wichtige Rolle spielt: Ein Seitenarm des Proteins, eine einzige Aminosäure, ragt aus dem Rest des Proteins hervor, ähnlich einer Schranke an einem Pförtnertor. Dadurch wird der Durchgang im Kanal derart verkleinert, dass keine Ionen passieren können.
«So etwas hat niemand erwartet – wir waren total überrascht», sagt Diane Barret. Denn es existieren bereits andere Engstellen in der A-Untereinheit, Haupttore quasi, die man bisher für die einzigen gehalten hat. Interessanterweise findet sich die zusätzliche Schranke nicht nur im Protein des Kuhauges, sondern quer durch alle Tierarten, wie die Forschenden zeigten. Vom Krokodil über den Adler zum Menschen – alle Lebewesen, die den Ionenkanal in ihrem Auge ausbilden, haben an dieser Stelle des Proteins die gleiche, herausstehende Aminosäure. Da sie in der Evolution so konstant beibehalten wurde, muss sie für die Funktion des Kanals unabdingbar sein.
Über das PSI
Das Paul Scherrer Institut PSI entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Zukunftstechnologien, Energie und Klima, Health Innovation und Grundlagen der Natur. Die Ausbildung von jungen Menschen ist ein zentrales Anliegen des PSI. Deshalb sind etwa ein Viertel unserer Mitarbeitenden Postdoktorierende, Doktorierende oder Lernende. Insgesamt beschäftigt das PSI 2300 Mitarbeitende, das damit das grösste Forschungsinstitut der Schweiz ist. Das Jahresbudget beträgt rund CHF 460 Mio. Das PSI ist Teil des ETH-Bereichs, dem auch die ETH Zürich und die ETH Lausanne angehören sowie die Forschungsinstitute Eawag, Empa und WSL. (Stand 06/2024)
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Originalveröffentlichung
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Barret DCA, Schertler GFX, Benjamin Kaupp U, Marino J
The structure of the native CNGA1/CNGB1 CNG channel from bovine retinal rods
Nature Structural and Molecular Biology. 2022; 29(1): 32-39. https://doi.org/10.1038/s41594-021-00700-8
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