Mit Licht neues Material erzeugt

PSI-Forscher sammeln Erfahrungen für SwissFEL-Experimente

Forschende des Paul Scherrer Instituts haben mithilfe kurzer Lichtblitze aus einem Laser die Eigenschaften eines Materials kurzzeitig so deutlich verändert, dass gewissermassen ein neues Material entstanden ist. Um die Veränderungen zu beobachten, haben sie wiederum sehr kurze Blitze aus Röntgenlicht verwendet, die im Röntgenlaser LCLS in Kalifornien erzeugt wurden. Mit diesen Röntgenblitzen haben sie das Material durchleuchtet und so Einblicke gewonnen, die helfen könnten, Materialien für effizientere elektronische Geräte zu entwickeln. In Zukunft werden am PSI ähnliche Experimente möglich sein wie am LCLS, denn Ende 2016 wird hier der Röntgenlaser SwissFEL in Betrieb gehen. Für die PSI-Forschenden bieten die Untersuchungen in den USA die Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln, die sie beim Aufbau der Experimentierplätze am SwissFEL einbringen können.

Bislang gibt es weltweit nur zwei derartige Röntgenlaser. Wer dort Experimente durchführen will, muss sich bewerben und gegen viele Forschende aus der ganzen Welt durchsetzen. Forschende vom PSI haben schon vielfach Experimente an beiden Anlagen gemacht – zugute kommt ihnen die Erfahrung, die sie an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS des PSI gesammelt haben. Zwar ist die SLS kein Röntgenlaser, man kann aber auch hier sehr kurze Blitze aus Röntgenlicht erzeugen, die jedoch deutlich schwächer sind. So kann man Experimente durchführen, die ähnlich sind wie an einem Röntgenlaser.

In der 'Laserhütte' des FEMTO-Experiments, an dem schon heute am PSI mit kurzen Röntgenpulsen experimentiert wird. Im Bild die Forscher Paul Beaud (links) und Urs Staub. Foto: Paul Scherrer Institut/Mahir Dzambegovic
Prinzip des beschriebenen Experiments. Anfangs treten die Manganatome in drei verschiedenen Zuständen auf, die verschiedenen Elektronenzuständen - Orbitalen - entsprechen (kugelförmig - gelb dargestellt - oder hantelförmig mit zwei verschiedenen Ausrichtungen - in grün). Ein Laserpuls ('pump') regt die Elektronen an. Ein Röntgenlaserpuls ('probe') untersucht die jeweiligen Zustände.
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Materialien können deutlich unterschiedliche Eigenschaften haben. Zum Beispiel leiten die einen elektrischen Strom gut, während andere isolierend sind, die einen sind magnetisch, andere nicht. Diese Eigenschaften werden davon bestimmt, wie sich die Teilchen verhalten, aus denen das Material aufgebaut ist – unter anderem davon, wie Elektronen im Inneren des Materials angeordnet sind und ob sie sich bewegen können. Ändert man die Bewegungsfreiheit der Elektronen, kann man auch die Eigenschaften des Materials ändern. In Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der ETH Zürich, der Universität Tokio und des Forschungslabors SLAC in Stanford (Kalifornien), haben Forschende des PSI in einem Experiment an dem Material Pr0.5Ca0.5MnO3 den Elektronen mithilfe eines sehr kurzen Laserpulses zusätzliche Energie zugeführt. Während die Elektronen vorher alle fest an spezifische Atome gebunden waren, konnten sie nachher von Atom zu Atom hüpfen. Das Material wurde dadurch gewissermassen von einem Isolator zu einem Metall. „Wir haben damit praktisch ein neues Material geschaffen, das so in der Natur nicht vorkommt“, erklärt Urs Staub, Physiker am PSI. „Dieses Material, also dieser neue Zustand, existiert nur während einer sehr, sehr kurzen Zeit. Die Zeit reicht aber aus, um seine Eigenschaften zu erforschen.“

Kurze Belichtungszeit am Röntgenlaser

Untersucht wurde der neue Zustand am Röntgenlaser LCLS, der von SLAC in Kalifornien betrieben wird. Die Anlage erzeugt sehr kurze und intensive Blitze aus Röntgenlicht, mit denen man die Vorgänge im Inneren des Materials sichtbar machen kann. Da sich der Zustand schnell verändert, ist es wichtig, dass die Blitze kurz sind, sodass die Bilder nicht „verwackeln“. Die Forschenden haben das Experiment viele Male wiederholt und dabei den Zeitabstand zwischen dem Laser- und Röntgenpuls variiert. So konnten sie bestimmen, wie sich der innere Zustand des Materials auf einer ultraschnellen Zeitskala verändert.

Materialien verstehen

Das untersuchte Material hat einen ähnlichen Aufbau wie Materialien, die für elektronische Geräte von Bedeutung sein könnten, weil sie etwa den sogenannten kolossalen Magnetowiderstand zeigen. Dieser Effekt führt dazu, dass sich der elektrische Widerstand des Materials stark ändert, wenn man es in die Nähe eines Magneten bringt. Das könnte zum Beispiel für das Auslesen von Daten aus magnetischen Speichern wichtig sein. „Das Ergebnis hilft uns, grundsätzlich zu verstehen, wie sich solche Materialien verhalten“, erklärt Paul Beaud, Physiker am PSI, der zusammen mit Staub das Experiment geleitet hat. „Damit kann man die Eigenschaften eines Materials gezielt verändern und somit neue Materialien entwickeln.“

PSI-Forscher für das Grossforschungsprojekt SwissFEL vorbereitet

Forschende des PSI haben schon zahlreiche Experimente an den Röntgenlasern LCLS in den USA und SACLA in Japan durchgeführt. Wie die Grossanlagen des PSI stehen auch diese Anlagen externen Forschern offen, die dort Zeit für Experimente beantragen können. Die Konkurrenz ist gross – ausgewählt werden die interessantesten und erfolgversprechendsten Projekte. „Man vertraut uns, weil wir ähnliche Experimente schon seit geraumer Zeit an der SLS erfolgreich durchgeführt haben“, betont Staub. Die Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS des PSI ist zwar kein Röntgenlaser, bringt aber auch intensives Röntgenlicht hervor, aus dem man mit besonderen Tricks sehr kurze Blitze erzeugen und so Experimente durchführen kann, die vom Prinzip her ähnlich sind wie diejenigen am Röntgenlaser. Dennoch bietet ein Röntgenlaser für bestimmte Experimente ganz neue Möglichkeiten. Er erlaubt, Vorgänge zu untersuchen, die bisherigen Methoden nicht zugänglich sind, vor allem weil das Licht des Röntgenlasers sehr viel intensiver und kürzer ist. Daher baut das PSI zurzeit einen eigenen Röntgenlaser, den SwissFEL, der Ende 2016 in Betrieb gehen wird. Beaud und sein Kollege Gerhard Ingold, die bereits die ultrakurze Röntgenquelle an der SLS gebaut und betrieben haben, sind nun dabei, einen Messplatz zur Untersuchung von schnellen Prozessen in der Festkörperphysik zu entwickeln. „Für dieses Vorhaben ist die in den USA und in Japan gewonnene Erfahrung von unschätzbarem Wert“, so Beaud.

Text: Paul Scherrer Institut/Paul Piwnicki


Über das PSI

Das Paul Scherrer Institut PSI entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Materie und Material, Energie und Umwelt sowie Mensch und Gesundheit. Die Ausbildung von jungen Menschen ist ein zentrales Anliegen des PSI. Deshalb sind etwa ein Viertel unserer Mitarbeitenden Postdoktorierende, Doktorierende oder Lernende. Insgesamt beschäftigt das PSI 1900 Mitarbeitende, das damit das grösste Forschungsinstitut der Schweiz ist. Das Jahresbudget beträgt rund CHF 350 Mio.

Kontakt / Ansprechpartner
Dr. Paul Beaud; Forschungsgruppe FEMTO
Paul Scherrer Institut; 5232 Villigen PSI; Schweiz
Telefon: +41 56 310 41 21; E-Mail: paul.beaud@psi.ch

Dr. Urs Staub; Forschungsgruppe Mikroskopie und Magnetismus;
Paul Scherrer Institut; 5232 Villigen PSI; Schweiz
Telefon: +41 56 310 44 94; E-Mail: urs.staub@psi.ch
Originalveröffentlichung
A time-dependent order parameter for ultrafast photoinduced phase transitions
P. Beaud et al.
Nature Materials; doi:10.1038/nmat4046 (published online 3 August 2014)



Detaillierte Darstellung für die besonders Interessierten

Das untersuchte Material Pr0.5Ca0.5MnO3 (PCMO) hat eine Perowskit-Struktur und gehört zu einer grösseren Klasse von Materialien, zu denen auch solche gehören, in denen der kolossale Magnetowiderstand beobachtet werden kann. Gemeinsam ist den Materialien dieser Klasse, dass ihre Eigenschaften durch eine Wechselwirkung zwischen mehreren Freiheitsgraden entstehen.

In dem untersuchten Material zum Beispiel gibt es eine Kopplung zwischen der Ladungsordnung und der Gitterstruktur, also der Anordnung der Atome. Im Grundzustand des Materials treten die Mangan-Ionen (Mn) in drei verschiedenen Formen auf – je nachdem, wie sich die zugehörigen Elektronen verhalten. Die Hälfte der Ionen hat eine Ladung von 4+, wobei die räumliche Verteilung der äussersten Elektronen fast kugelförmig ist, die andere Hälfte der Ionen sind im 3+-Zustand, in dem sich das zusätzliche Elektron in einem länglichen Orbital aufhält. Dieses kann in zwei verschiedene Richtungen zeigen. Die 4+-und 3+-Mangan-Ionen sind regelmässig über die Struktur verteilt und bilden jeweils ein Übergitter mit doppeltem und vierfachem Gitterabstand der Perowskit-Struktur. Gleichzeitig ist das Gesamtgitter gegenüber einer Idealstruktur leicht verzerrt – eine Folge der Kopplung zwischen Ladungsordnung und Gitterstruktur.

Beleuchtet man das Material mit einem hinreichend starken Laserpuls (Fachleute nennen diesen Puls „Pump“), werden die äusseren Elektronen in den Orbitalen der Mangan-Ionen angeregt, sodass sie sich zwischen den Atomen bewegen können. Dadurch verschwindet die regelmässige Anordnung der unterschiedlichen Mangan-Ionen, die ja von den äusseren Orbitalen stammte. Dieser Phasenübergang geht mit einer Änderung der Ordnung des atomaren Gitters einher: Mit einer leichten Verzögerung verschwindet auch die Verzerrung des Atomgitters.

Diese Veränderungen, die in Bruchteilen einer Pikosekunde geschehen, konnten die Forschenden mithilfe von extrem kurzen Pulsen aus dem Röntgenlaser LCLS beobachten (diese Pulse heissen „Probe“). Mit diesen Pulsen haben sie an diesen Materialien Streuexperimente durchgeführt. Dabei liefern die zusätzlichen Gitter aufgrund der unterschiedlichen Gitterabstände zusätzliche Streureflexe. Diese Reflexe verschwinden, sobald auch die Ladungsordnung, die durch die unterschiedlichen Orbitale gebildet wird, verschwindet. Da die Probe-Röntgenpulse extrem kurz sind, konnten die Forschenden die Stärke der Reflexe für verschiedene Zeitabstände zwischen Pump und Probe bestimmen und so beobachten, wie sich die Ladungsordnung mit der Zeit auflöst. Durch Beobachtung anderer Reflexe kann man verfolgen, wie auch die Verzerrung der Struktur verschwindet. „Nur mit Röntgenlicht können zugleich die elektronische und atomare Ordnung und deren Dynamik auf einer ultraschnellen Zeitskala gemessen werden“, betont Staub.

Das Experiment hilft, die Vorgänge in der gesamten Materialklasse zu verstehen. Beaud: „Aufgrund unseres Experiments konnten wir ein theoretisches Konzept entwickeln, das die dynamische Wechselwirkung zwischen den Elektronen und dem atomaren Gitter im Nichtgleichgewicht gut beschreibt. Wir glauben, dass es auf eine ganze Klasse von Problemen anwendbar ist.“