Neue Materialien für den Computer der Zukunft

Neue Materialien könnten die Computertechnik revolutionieren. Forschende am Paul Scherrer Institut PSI haben durch Untersuchungen mithilfe der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS auf dem Weg dazu einen wichtigen Meilenstein erreicht.

Milan Radovic ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der SIS-Beamline (Spectroscopy of Interfaces and Surfaces) der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS. Er hat in Serbien an der Universität Belgrad studiert, wo er auch seine Forschungslaufbahn in der Abteilung für Atomphysik begonnen hat. Promoviert hat er an der Universität in Neapel. 2009 wurde Radovic eingeladen, eine gemeinsame Stelle an der EPFL Lausanne und am PSI anzutreten. Seit 2013 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am PSI.
© Paul Scherrer Institut PSI/Mahir Dzambegovic)
Milan Radovic und Eduardo Bonini Guedes (rechts) von der Forschungsgruppe Spektroskopie von Quantenmaterialien an der Strahllinie SIS der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS.
© Paul Scherrer Institut PSI/Mahir Dzambegovic
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Mikrochips bestehen aus Silizium und arbeiten nach dem physikalischen Prinzip des Halbleiters. Daran hat sich nichts geändert, seit in den amerikanischen Bell-Labs im Jahr 1947 der Transistor erfunden wurde. Immer wieder prophezeiten Forschende seither das Ende der Silizium-Ära – und lagen falsch. Die Silizium-Technik lebt, sie entwickelt sich rasant weiter. Gerade hat der IT-Konzern IBM den ersten Mikroprozessor vorgestellt, bei dem die Transistorstrukturen nur noch zwei Nanometer klein sind, so viel wie 20 Atome nebeneinandergelegt. Was kommt danach? Noch kleinere Strukturen? Vermutlich ja – zumindest für dieses Jahrzehnt.

Parallel dazu nehmen in den Forschungslaboren Ideen Gestalt an für eine neue Technologie, die alles auf den Kopf stellen könnte, was wir bisher über Mikroelektronik zu wissen glaubten. Eines der leuchtenden Beispiele dafür liefert das Team von Milan Radovic. Heute hat Milan Radovic vom Paul Scherrer Institut in Communication Physics ein aufsehenerregendes Forschungsergebnis zu transparenten Oxiden (TO) vorgestellt, das die Tür zu dieser neuen Technologie weit aufstossen könnte.

Neuartige Mikrochips

Radovic und seine Mitstreiter Muntaser Naamneh und Eduardo Guedes zusammen mit der Gruppe von Bharat Jalan von der University of Minnesota, USA, arbeiten nicht mit Silizium, sondern mit Oxiden aus Übergangsmetallen (TMO). Sie zeigen aussergewöhnliche und multifunktionale Phänomene wie Hochtemperatur-Supraleitung, kolossalen magnetoresistiven Effekt, Metall-Isolator-Übergang und vieles mehr. Was für den Laien zunächst verwirrend klingt, verspricht enorme Fortschritte für die Chip-Technologie der Zukunft.

In ihrer Arbeit zu der aktuellen Veröffentlichung konzentrieren sich die Forschenden auf Barium-Zinn-Oxid (BaSnO3), das optische Transparenz mit hoher elektrischer Leitfähigkeit verbindet.

Seit einiger Zeit versuchen Forschende, Oxiden aus Übergangsmetallen sowie speziell transparenten Oxiden wie BaSnO3 und SrSnO3 halbleiterähnliche Eigenschaften zu entlocken. Gegenüber Silizium hätte das bahnbrechende Vorteile für optoelektronische Elemente: Mit diesen transparenten und leitfähigen sogenannten Perowskiten wären Schaltelemente möglich, bei denen die elektronischen Eigenschaften direkt mit den optischen Eigenschaften gekoppelt sind. Dadurch wären Transistoren denkbar, die sich mit Licht schalten lassen.

Wissen über Grenzschichten ist entscheidend

Alle Mikrochips sind aus Kombinationen unterschiedlicher Materialien aufgebaut. Für ihre Funktion ist es wichtig zu wissen, was sich in den dünnen Grenzschichten zwischen diesen Materialien abspielt. An ihrer Oberfläche haben manche Materialien nämlich völlig andere physikalische Eigenschaften als in ihrem Inneren. Tatsächlich können an den Grenzen von Materialien exotische Phasen der Materie entstehen – eine Erkenntnis, für die drei britische Physiker 2016 den Physik-Nobelpreis erhalten haben. Der jetzt veröffentlichte Beitrag beschreibt erhebliche Fortschritte im Verständnis der elektronischen Eigenschaften der Oberfläche von BaSnO3.

Dabei kam die winkelauflösende Photoemissions-Spektroskopie an einer Strahllinie der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS zum Einsatz, «um den zweidimensionalen elektronischen Zustand bei BaSnO3 aufzudecken, der neue Perspektiven für diese Materialklasse eröffnet», betont Eduardo Guedes.

Beste Voraussetzungen für Spektroskopie an der SLS

Dass dieses Resultat gerade am PSI gelungen ist, ist kein Zufall. Die Forschenden verfügen am PSI über ein Labor, das darauf spezialisiert ist, solche dünnen Filme herzustellen, zu modifizieren und vollständig zu untersuchen. Ausserdem bietet das PSI mit seiner SLS beste Voraussetzungen, um Stoffe mit hoher örtlicher und zeitlicher Auflösung zu durchleuchten. Solche spektroskopischen Methoden sind eine Spezialität des Schweizer Forschungszentrums. Weltweit existieren nur drei Orte, an denen alle diese Voraussetzungen gleichzeitig erfüllt sind. Ausserdem braucht es das geeignete Wissen und eine leistungsfähige Forschungsinfrastruktur. «Am PSI schaffen und vereinen wir das Verständnis mit den experimentellen Fähigkeiten», so Radovic. Die Forschenden wollen nun herausfinden, welche anderen Stoffe noch ähnliche Eigenschaften zeigen und potenzielle Kandidaten für optische Mikrochips der Zukunft sein könnten.

Die Silizium-Technologie gehöre damit aber nicht zum alten Eisen, betont Milan Radovic. Diese sei hoch entwickelt und leistungsfähig. «Aber Technologie auf Basis von Oxiden aus Übergangsmetallen ist leistungsfähiger und vielfältiger – ihre Zeit wird kommen.»

Text: Bernd Müller


Über das PSI

Das Paul Scherrer Institut PSI entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Materie und Material, Energie und Umwelt sowie Mensch und Gesundheit. Die Ausbildung von jungen Menschen ist ein zentrales Anliegen des PSI. Deshalb sind etwa ein Viertel unserer Mitarbeitenden Postdoktorierende, Doktorierende oder Lernende. Insgesamt beschäftigt das PSI 2200 Mitarbeitende, das damit das grösste Forschungsinstitut der Schweiz ist. Das Jahresbudget beträgt rund CHF 400 Mio. Das PSI ist Teil des ETH-Bereichs, dem auch die ETH Zürich und die ETH Lausanne angehören sowie die Forschungsinstitute Eawag, Empa und WSL. (Stand 05/2021)

Kontakt

Prof. Dr. Milan Radovic
Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS
Paul Scherrer Institut, Forschungsstrasse 111, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 55 65
E-Mail: milan.radovic@psi.ch

Originalveröffentlichung

Surface state at BaSnO3 evidenced by angle-resolved photoemission spectroscopy and ab initio calculations
Muntaser Naamneh, Eduardo B. Guedes,  Abhinav Prakash, Henrique M. M. Cardoso,

Ming Shi, Nicholas C. Plumb, Walber H. Brito, Bharat Jalan, Milan Radovic
Communication Physics, 07.12.2022
DOI: /10.1038/s42005-022-01091-y

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