Am Paul Scherrer Institut PSI wurde heute ein 67-jähriger Patient mit Protonen, also positiv geladenen Teilchen, gegen Speiseröhrenkrebs bestrahlt. Es ist das erste Mal, dass in der Schweiz diese Bestrahlungsart an der Speiseröhre zum Einsatz kommt. Die fünfwöchige Behandlung erfolgt im Rahmen einer europäischen klinischen Studie, an der das PSI und das Universitätsspital Zürich gemeinsam teilnehmen. Ärzte und Ärztinnen erforschen, ob sich die Protonentherapie zur Behandlung dieser Krebsart eignet: Damit lassen sich möglicherweise Lungenkomplikationen verringern, die bei der klassischen Bestrahlung häufig auftreten.
«Im Rahmen einer europäischen Phase-III-Studie haben wir heute den ersten Patienten mit Speiseröhrenkrebs mit Protonentherapie behandelt», sagt Damien Weber, Chefarzt und Leiter des Protonentherapiezentrums am PSI. «Der 67-jährige Patient hat am Übergang der Speiseröhre zum Magen einen Siewert-Typ-II-Tumor, der nach unserer Behandlung operiert werden kann.» Das PSI bestrahlt seit 1996 erfolgreich Patientinnen und Patienten mit Tumoren im Hals- und Kopfbereich sowie am Körperstamm; bei Speiseröhrenkrebs kam dieses Verfahren landesweit bisher noch nie zum Einsatz. «Wir freuen uns, den Patientinnen und Patienten in der Schweiz jetzt im Rahmen einer klinischen Studie diese Art der Behandlung anbieten zu können», sagt Matthias Guckenberger, Direktor der Klinik für Radio-Onkologie am Universitätsspital Zürich (USZ).
Das USZ und das PSI nutzen ihre seit vielen Jahren etablierte Zusammenarbeit bei der Behandlung von Krebspatientinnen und ‑patienten und untersuchen jetzt gemeinsam, ob Protonen für die Bestrahlung des Speiseröhrenkrebs Vorteile bringen. Das geschieht im Rahmen der europaweiten Studie PROTECT (PROton versus photon Therapy for Esophageal Cancer: a Trimodality Strategy, auf Deutsch: Protonen- versus Photonentherapie für Speiseröhrenkrebs: eine trimodale Strategie): Sie vergleicht die Nebenwirkungen herkömmlicher Strahlentherapie mit jenen der Protonentherapie bei der Bestrahlung von Speiseröhrenkrebs.
Seltene Krebsart mit komplexer Therapie
Etwa 600 Menschen in der Schweiz erkranken jedes Jahr an Speiseröhrenkrebs, dem Ösophaguskarzinom, drei Viertel davon sind Männer. Damit ist es eine relativ seltene Krebsart, weltweit aber noch immer die achthäufigste.
Die Behandlung besteht in den meisten Fällen aus einer kombinierten Chemo- und Strahlentherapie, gefolgt von einer Operation, bei der der restliche Tumor und die umgebenden Lymphknoten entfernt werden. Da zusammen mit dem Tumor auch Abschnitte der Speiseröhre entnommen werden müssen, werden deren verbleibende gesunde Teile anschliessend mit dem Magen verbunden.
Unglücklicherweise kann es bei der Bestrahlung des Speiseröhrenkrebses in unterschiedlichem Grade zu Komplikationen bei den umliegenden Organen kommen. Vor allem bei der Lunge: Das empfindliche Organ schmiegt sich im Brustkorb eng an die Speiseröhre an und wird daher bei einer Bestrahlung oft in Mitleidenschaft gezogen. Manche Patientinnen und Patienten leiden danach beispielsweise an einer Lungenentzündung oder anderen Problematiken, was die anschliessende lebenswichtige Operation oder die spätere Heilung erschwert.
Die Protonentherapie könnte eine Lösung sein. «Wir vermuten, dass es mit einer Protonentherapie weniger häufig zu Lungenkomplikationen kommt», sagt Damien Weber. «Ob das stimmt, wollen wir jetzt überprüfen – zum Wohle der Patientinnen und Patienten.»
Sowohl Protonen als auch Röntgenstrahlung (Photonen), die bei der klassischen Krebsbestrahlung eingesetzt werden, schädigen die Erbsubstanz in den Tumorzellen und töten sie damit ab. Die Röntgenstrahlen lassen sich zwar heutzutage sehr präzise auf den Tumor fokussieren, aber sie belasten in geringem Ausmass dennoch auch das umgebende, gesunde Gewebe und können es schädigen. Protonen sind im Gegensatz zu Röntgenstrahlen Teilchen mit Masse und Ladung, und ihre Eindringtiefe ins Gewebe ist physikalisch ganz genau vorbestimmt. Protonen verlieren auf dem Weg zum Tumor nur wenig Energie und geben den grössten Teil im Tumor ab – sie bleiben dort stecken. Gesundes Gewebe vor und hinter dem Tumor wird daher grösstenteils geschont. Dadurch, so hoffen die Ärztinnen und Ärzte, sollte es nach einer Bestrahlung weniger Komplikationen an der Lunge geben.
Europaweite Studie
19 Forschungspartner aus ganz Europa, darunter Universitäten, Spitäler und Forschungszentren, haben sich für die Studie PROTECT zusammengeschlossen. «Dadurch, dass wir zusammenarbeiten, können wir in die Studie mehrere Hundert Teilnehmende einbeziehen und unsere Studienergebnisse haben eine stärkere Aussagekraft», sagt Radio-Onkologe Dominic Leiser, Verantwortlicher für klinische Studien am PSI. Die Studienleitung liegt bei der Universität Aarhus in Dänemark; das PSI hat die Studie auf europäischer Ebene mit initiiert.
Insgesamt sollen in der Studie knapp 400 Patientinnen und Patienten mit nicht-metastasiertem Speiseröhrenkrebs behandelt werden, etwa zwanzig davon in der Schweiz. Alle Studienteilnehmenden erhalten zunächst eine kombinierte Strahlen- und Chemotherapie, sechs bis zwölf Wochen danach werden sie operiert. Rund die Hälfte der Personen werden am USZ mit Röntgenstrahlen bestrahlt, die Übrigen am PSI mit Protonen; die Einteilung erfolgt per Zufallsprinzip. So lässt sich der Behandlungserfolg von Protonentherapie und herkömmlicher Bestrahlung direkt vergleichen. Am USZ finden neben der Bestrahlung mit Röntgenstrahlung auch für alle Studienteilnehmenden die Chemotherapie und die anschliessende Operation statt.
«Wir setzen alle drei Säulen der Krebstherapie ein, um bei dieser Krebsart die beste Behandlung zu gewährleisten», sagt Panagiotis Balermpas, Studienleiter und leitender Arzt an der Klinik für Radio-Onkologie am USZ. «Und egal, ob die Patientinnen und Patienten Photonen- oder Protonentherapie erhalten: Sie werden im Rahmen dieser Studie in jedem Fall exzellent behandelt.»
Teilnehmende werden kontinuierlich gesucht und auf ihre Eignung, an der Studie teilzunehmen, gescreent. Die Studie schliesst auch Menschen mit Tumoren am Übergang zwischen Magen und Speiseröhre ein (gastroösophagealer Übergang).
«Bestätigt sich die Hoffnung, dass die Protonentherapie bei der Behandlung des Speiseröhrenkrebs Vorteile bringt, könnte diese Krebsart auf die Indikationsliste des Bundesamts für Gesundheit gesetzt werden», sagt Damien Weber. «Dann würden Krankenversicherungen in Zukunft die Kosten für eine Protonentherapie bei Speiseröhrenkrebs übernehmen.» Und Matthias Guckenberger fügt hinzu: «Wir haben hier die grosse Chance, den nächsten Schritt in der Behandlung des Ösophaguskarzinoms zu gehen und eine bessere Therapie möglich zu machen.»
Erkrankte können sich für weitere Informationen bei den Studienärzten am USZ oder PSI melden.
Am USZ: Telefon: +41 44 255 29 34; E-Mail: radioonkologie@usz.ch
Am PSI: Telefon: +41 56 310 35 24, E-Mail: protonentherapie@psi.ch
Über das PSI
Das Paul Scherrer Institut PSI entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Zukunftstechnologien, Energie und Klima, Health Innovation und Grundlagen der Natur. Die Ausbildung von jungen Menschen ist ein zentrales Anliegen des PSI. Deshalb sind etwa ein Viertel unserer Mitarbeitenden Postdoktorierende, Doktorierende oder Lernende. Insgesamt beschäftigt das PSI 2200 Mitarbeitende, das damit das grösste Forschungsinstitut der Schweiz ist. Das Jahresbudget beträgt rund CHF 420 Mio. Das PSI ist Teil des ETH-Bereichs, dem auch die ETH Zürich und die ETH Lausanne angehören sowie die Forschungsinstitute Eawag, Empa und WSL. (Stand 06/2023)
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Weiterführende Informationen
- Krebs in der Schweiz: wichtige Zahlen (krebsliga.ch)
- Webseite von PROTECT (auf Englisch)