Schweiz beteiligt sich an Neutronenquelle der Zukunft

Unterzeichung aus Anlass eines Treffens am Paul Scherrer Institut.

Mauro Dell'Ambrogio, Staatssekretär für Bildung und Forschung unterzeichnete heute die Absichtserklärung der Schweiz, sich an der neuen europäischen Neutronenquelle ESS (European Spallation Source) zu beteiligen. Darin bekennt sich die Schweiz zu dem Ziel, die ESS in Lund (Südschweden) zu bauen und verpflichtet sich, am Konzept mitzuarbeiten, in dem der endgültige Plan für die Anlage festgelegt wird. Kurz nach Fertigstellung des Konzepts im Frühjahr 2013 soll die Entscheidung für den Bau der ESS fallen. Die Schweizer Beiträge zur Entwicklung der Anlage werden durch das Paul Scherrer Institut, das langjährige Erfahrung in der Forschung mit Neutronen hat, sowie durch Schweizer Universitäten und die Schweizer Industrie erbracht.

Mit Hilfe von Neutronen können Forschende Einblicke in verschiedene Materialien oder biologische Strukturen gewinnen und so Grundlagen für neue technische Geräte oder Medikamente schaffen. Für Schweizer Forschende wird die ESS vor allem die Möglichkeit eröffnen, Experimente durchzuführen, die am PSI nicht möglich sind und so die Schweizer Neutronenquelle ergänzen. Sie soll 2019 die ersten Neutronen produzieren und 2025 voll betriebsbereit sein. Insgesamt sind 17 europäische Länder an dem Projekt beteiligt. Die Gesamtkosten betragen 1,5 Milliarden Euro (in Preisen von 2008).

Visualisierung der ESS in Lund, Quelle: ESS AB, http://ess-scandinavia.eu

Neutronen treten in der Natur als Bestandteile fast aller Atomkerne auf und sind damit Teil von praktisch der gesamten uns umgebenden Materie. Für Forschende in Physik, Chemie, Biologie oder Materialwissenschaften sind Neutronen aber auch wertvolle Werkzeuge, mit denen sie Einblicke in Vorgänge im Inneren von Materialien oder biologischen Strukturen gewinnen können, die anderen Methoden nicht zugänglich sind. Zum Beispiel kann man, indem man die Untersuchungsobjekte mit Neutronen „durchleuchtet“, magnetische Strukturen in Materialien, die Bewegung von Wasserstoff in biologischen Membranen oder die Abläufe im Inneren eines laufenden Motors sichtbar machen. So tragen Neutronen zu unserem Wissen über die Natur und zu neuen Entwicklungen in Technik und Medizin bei.

Da es in der Natur nur wenige einzelne Neutronen gibt, müssen sie für die Experimente aus Atomkernen herausgeschlagen werden. An der ESS wird das genauso wie in der Neutronenquelle SINQ des PSI in einer Spallationsquelle geschehen. In einer solchen Neutronenquelle wird in einem Teilchenbeschleuniger ein Strahl schneller Protonen erzeugt und auf einen Block aus Metall – das Target . gerichtet. Die Protonen kollidieren mit den Kernen der Atome im Targetmaterial. Dabei wird ein Teil der Neutronen frei und für die Experimente verfügbar.

Vorteil für Schweizer Forschende: Europäische und Schweizer Neutronenquelle ergänzen sich

Auch wenn das Prinzip das gleiche ist, werden sich die ESS und die Schweizer Quelle SINQ an einem fundamentalen Punkt unterscheiden: die SINQ liefert einen kontinuierlichen Neutronenstrom, an der ESS werden die Neutronen in Paketen kommen - die ESS wird eine gepulste Quelle sein. Das ist nicht nur ein technisches Detail, sondern bedeutet auch, dass an den beiden Quellen jeweils unterschiedliche Experimente besonders gut durchgeführt werden können. So werden Untersuchungen an beiden Anlagen oftmals Informationen über unterschiedliche Aspekte eines Materials liefern. Von dieser Komplementarität werden Schweizer Forschende profitieren, denen die ESS für ihre Experimente offenstehen wird.

Entwicklungen aus dem PSI und der Schweizer Industrie

Der Schweizer Beitrag zur ESS wird durch das PSI in Kooperation mit Schweizer Industrieunternehmen und Schweizer Universitäten erbracht werden. Das PSI hat jahrzehntelange Erfahrung mit Entwicklung, Aufbau und Betrieb wissenschaftlicher Grossanlagen. Zur Zeit verfügt es über drei Anlagen, an denen man Aufbau und Eigenschaften komplexer Materie bestimmen kann, eine vierte ist geplant. Bei der ESS wird das PSI an Entwicklungen mitarbeiten und Komponenten für einzelne Messanlagen liefern. So wird es zum einen an der Entwicklung des Targets für die neue Quelle mitarbeiten. Es kann dabei seine Erfahrung beim Betrieb einer Spallationsquelle einbringen und so zu einem sicheren und zuverlässigen Betrieb der weltweit stärksten Neutronenquelle beitragen. Zum anderen beteiligt sich das PSI an der Entwicklung und am Aufbau von mehreren der insgesamt 22 Messanlagen und von Komponenten, die den Neutronenstrahl zu den Messplätzen leiten und für die Experimente aufbereiten. Die Komponenten für die Anlagen werden zu einem wesentlichen Teil von Schweizer Industrieunternehmen geliefert, die damit Gelegenheit bekommen, an einem aktuellen High-Tech-Projekt von internationaler Bedeutung mitzuarbeiten. Die technologischen Entwicklungen, die bei den ESS-Projekten des PSI gemacht werden, sollen auch am PSI eingesetzt werden und so unmittelbar der Schweizer Forschung zu Gute kommen.

Die Absichtserklärung

Mit der nun unterzeichneten Absichtserklärung erkennt die Schweiz die internationale Entscheidung an, dass der Standort der Anlage in Lund sein wird und verpflichtet sich zunächst, an der Entwicklung eines endgültigen Konzepts für den Aufbau der Anlage mitzuarbeiten. Die Unterzeichnung fand im Rahmen des Treffens des „Steering Committee“ der ESS, des Leitungsgremiums des Projekts mit Vertretern aus allen beteiligten Ländern, statt.


Über das PSI

Das Paul Scherrer Institut entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Materie und Material, Mensch und Gesundheit, sowie Energie und Umwelt. Mit 1400 Mitarbeitenden und einem Jahresbudget von rund 300 Mio. CHF ist es das grösste Forschungsinstitut der Schweiz.

Kontakt / Ansprechpartner

Dr. Kurt Clausen, Leiter des Bereichs Forschung mit Neutronen und Myonen,
Paul Scherrer Institut, 5232 Villigen PSI, Telefon: +41 56 310 3755, E-Mail: kurt.clausen@psi.ch

Weitere Informationen

Webseite ESS: http://ess-scandinavia.eu/

Neutronenforschung am PSI
SINQ, die Neutronenquelle des PSI