Das Paul Scherrer Institut hat einen weiteren Meilenstein auf dem Weg zur Realisierung seiner neuen Grossforschungsanlage erreicht.
Heute stimmte der Grosse Rat des Kantons Aargau der Anpassung des Richtplans zum Siedlungsgebiet in Würenlingen sowie der Anpassung des Nutzungsplans für das dortige Grundwasserschutzareal zu. Das Paul Scherrer Institut PSI freut sich über diesen wichtigen Entscheid auf dem Weg zur Realisierung seiner neuen Grossforschungsanlage SwissFEL (Schweizer Freie-Elektronen Röntgenlaser). Das neue Forschungsgerät soll im Würenlinger Unterwald gebaut werden und der Schweiz auch weiterhin einen internationalen Spitzenplatz in der Forschung sichern. Der SwissFEL wird durch Grundlagenforschung die Basis für innovative Lösungen der forschenden Industrie in den Bereichen Energie, Informationstechnologie und Lebenswissenschaften legen.
Leicht gemacht hat es sich das PSI nicht. Seit 2006 hat es 7 Standortmöglichkeiten für die neue, 800 m lange Anlage im Detail überprüft. Aufgrund der extrem hohen Empfindlichkeit des SwissFEL auf Erschütterungen und Vibrationen schied ein Standort nach dem anderen aus. Als einzig geeignet stellte sich letztendlich der Standort Würenlinger Unterwald heraus. Hier werden auch die anderen Voraussetzungen für die Anlage erfüllt: Anbindung an die Infrastruktur des PSI, eine konstante Betriebstemperatur der Anlage dank Grundwasserkühlung und geringe Temperaturschwankungen – die für die Präzision des Röntgenlaserstrahls im Inneren der Anlage wichtig sind – durch das Mikroklima im Wald.
Da ein Bau im Wald grundsätzlich umstritten ist, hat das PSI von Anfang an versucht, alle Interessenvertreter mit einzubeziehen. So wurden zwei Informationsveranstaltungen in der Gemeinde, zu der der Wald gehört, durchgeführt und eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen. Diese bestand neben den Experten des PSI aus Vertretern des Kantons, der Gemeinde Würenlingen, dem zuständigen Jagdleiter und Förster, einem Landschaftsarchitekten und einem Beratungsbüro für Ökologie und Landschaftsplanung. Gemeinsam wurde ein Konzept ausgearbeitet mit dem Ziel, die temporär und permanent zu rodende Waldfläche sowie die Beeinträchtigung für die Erholungssuchenden zu minimieren. Auch Waldbewirtschaftung und Wildwechsel wurden berücksichtigt. Ganz wichtig erschien eine ausgeglichene Materialbilanz, um das Eindringen von Neophyten in den Wald zu verhindern. Als Ergebnis der Überlegungen konnte das PSI der zuständigen Kommission des Grossen Rates im Mai ein Konzept präsentieren, das auf die Bedürfnisse aller Interessenvertreter grosse Rücksicht nimmt. So wird die Anlage fast gänzlich mit Erde überdeckt werden, so dass eine Waldlichtung mit neuen ökologisch hochwertigen Landschaftselementen entsteht. Der gegenwärtig geschlossene Wald mit Reh, Fuchs und Wildschwein soll auch ein Lebensraum für Tagfalter, Wildbienen, Reptilien und Amphibien werden. Ein stufiger Waldrand, offene Bodenstellen mit Blütenreichtum, Stauden, Hecken, Pioniergehölze sollen dies genauso ermöglichen wie Weiher, Steinhaufen und Wurzelstöcke. Damit erhält der Wald insgesamt eine ökologische Aufwertung zum Nutzen von Flora und Fauna, aber auch der Menschen, die hier ihre Freizeit verbringen.
Kritisch wurde die Frage der Grundwasserentnahme zum Zweck der Kühlung des SwissFEL geprüft. Diese wird in ähnlicher Menge wie bei anderen benachbarten Fassungen stattfinden und wird gemäss einer Studie das Grundwassersystem nicht ungebührlich beeinflussen. Um den Berechnungen Hand und Fuss zu geben, wird das PSI in einem nächsten Schritt noch einen Pumpversuch an der Stelle durchführen, wo später das Wasser auch tatsächlich entnommen werden soll.
Für die Rückgabe von erwärmtem Wasser in die Aare hält das PSI eine Konzession. Die bewilligte Menge wird auch mit der zusätzlichen Rückgabe des Kühlwassers, das durch den Betrieb des SwissFEL anfällt, nicht überschritten werden. Die Rückführung des durch den Kühlvorgang auf 30 Grad erwärmten Wassers in die Aare würde – ohne weitere Massnahmen – zu einer Temperaturerhöhung der Aare von weit unter 0,1 Grad führen und somit keine Auswirkung haben. Zurzeit laufen aber am PSI Studien zur Umsetzung von Wärmerückgewinnungsmassnahmen, um die Menge der vom PSI in die Aare eingebrachte Wärme insgesamt zu reduzieren und somit Energie zu sparen. Das PSI freut sich, dass es mit seinen weitreichenden Vorkehrungen und Planungen Politik und Bevölkerung davon überzeugen konnte, dass die geplante Anlage ökologisch vertretbar ist. Das spiegelt sich auch darin wider, dass die Ortsbürgergemeinde Würenlingen Anfang Juni den Vorvertrag zum Baurechtsvertrag des SwissFEL im Würenlinger Unterwald einstimmig angenommen hat.
Im internationalen Wettbewerb um einen Spitzenplatz in der Forschung
Im Jahr 2016 soll der Röntgenlaser SwissFEL in Betrieb gehen. Er wird sehr kurze Pulse von Röntgenlicht mit Lasereigenschaften erzeugen. Damit werden Forschende extrem schnelle Vorgänge wie die Entstehung neuer Moleküle bei chemischen Reaktionen verfolgen, die detaillierte Struktur lebenswichtiger Proteine bestimmen oder den genauen Aufbau von Materialien klären. Dabei werden die Forschenden Einblicke gewinnen, wie sie mit heute verfügbaren Methoden nicht möglich sind. Die Erkenntnisse werden unser Verständnis der Natur erweitern und zu praktischen Anwendungen führen wie etwa neuen Medikamenten, effizienteren Prozessen in der chemischen Industrie oder neuen Materialien in der Elektronik.
Seit dem letzten Jahr ist eine erste derartige Anlage in den USA in Betrieb. In Japan haben Forscher an ihrer nationalen Anlage in der vergangen Woche den ersten Lichtstrahl erzeugen können. In Hamburg plant ein internationales Konsortium eine Anlage, die 2015 in Betrieb gehen soll. Gerade eben haben die Amerikaner den Bau einer zweiten Anlage für 400 Mio. Dollar angekündigt. Der Wettbewerb um den Spitzenplatz ist also in vollem Gang. Die Chancen, die der SwissFEL eröffnet, sind unter den Fachleuten anerkannt. Von dem Entscheid, sich neben der Beteiligung an der internationalen Anlage in Hamburg auch eine nationale Anlage zu leisten, verspricht sich das PSI eine bessere Berücksichtigung der Interessen der Schweizer Forschenden. Denn den Schweizern stehen am European XFEL in Deutschland maximal 200 Stunden pro Jahr an Strahlzeit zur Verfügung. Das sind etwa 5 bis 10 Arbeitstage, was etwa 2 bis 3 Gruppen aus der Schweiz pro Jahr eine einmalige Messung erlauben wird. Dies ist im Forscheralltag sehr wenig. Zudem setzt diese Rechnung voraus, dass nichts schiefgeht, da man sonst wieder mindestens ein Jahr auf einen neuen Termin warten muss. Diese Anzahl Strahlstunden kann somit die Bedürfnisse der Forschergruppen aus der Schweiz bei Weitem nicht erfüllen. Die knappe Zeit erlaubt auch genauso wenig die Entwicklung von neuen Techniken oder die Planung von völlig neuartigen Experimenten. Der SwissFEL soll als Vergleich bis zu 5000 Stunden pro Jahr zur Verfügung stehen. Eine nationale Anlage hat zudem den Vorteil, dass sie genau auf die experimentellen Bedürfnisse der Schweizer Forscher zugeschnitten werden kann und es keiner zeitraubenden europäischen Abstimmungen bedarf, die den Wettbewerbsvorteil, zu den Ersten zu gehören, zunichte machen könnten.
Eine Chance für die Industrie
Für die Industrie bietet der SwissFEL schon während der Entwicklung und beim Aufbau Möglichkeiten für Kooperationen. Der SwissFEL ist eine grosse technologische Herausforderung, die das PSI zusammen mit der Industrie meistern will. Dadurch soll sich ein Know-how-Transfer in die Industrie ergeben, der es den Unternehmen ermöglichen wird, neues Wissen für innovative Produkte zu nutzen.
Wie die anderen Grossanlagen des Paul Scherrer Instituts wird auch der SwissFEL Forschenden von Forschungszentren und Hochschulen sowie aus der Industrie zur Verfügung stehen. Auch hier werden Forschende, die ihre wissenschaftlichen Resultate veröffentlichen, kostenlos Zugang zu den Messmöglichkeiten erhalten können. Für Industriepartner, die ihre Ergebnisse schützen möchten, wird es individuelle Modelle für die Nutzung der Anlagen geben.
Erschliessung neuer Forschungsmöglichkeiten auch in der Energieforschung
Am SwissFEL wird man beispielsweise Schritt für Schritt verfolgen können, wie sich in einer chemischen Reaktion die kleinsten Bausteine einer Substanz voneinander trennen und zu einer neuen Substanz zusammenfinden. Diese Vorgänge sind so schnell, dass sie bisher nicht unmittelbar beobachtet werden konnten. Erst die extrem kurzen Blitze des SwissFEL werden es möglich machen, die einzelnen Zwischenschritte mit „kurzer Belichtungszeit“ abzulichten. Ein genaues Verständnis dieser Abläufe dürfte helfen, Verfahren in der chemischen Industrie effizienter und damit kostengünstiger, energiesparender oder ressourcenschonender ablaufen zu lassen und unterstützt somit die Cleantech-Anstrengungen der Industrie.
Am SwissFEL wird man auch bestimmen können, wie lebenswichtige biologische Moleküle im Detail aufgebaut sind. Solche Moleküle bestehen meist aus zehntausenden von Atomen und es ist entscheidend für ihre Funktion, dass die Atome richtig angeordnet sind. Heute können die Forschenden die Strukturen nur bestimmen, wenn sich viele Kopien eines solchen Moleküls in einer regelmässigen Kristallstruktur anordnen lassen. Das intensive Röntgenlicht des SwissFEL wird es möglich machen, auch die Strukturen von Molekülen aufzuklären, bei denen dies nicht geht. Diese Erkenntnisse könnten die Grundlage neuer Medikamente werden, in dem sie beispielsweise aufzeigen, wie man wichtige Lebensprozesse in krankheitserregenden Bakterien unterbindet.
Eine anderes spannendes Thema, das die Grundlagenforscher am PSI beschäftigt, ist die Fotosynthese: Durch Sonnenlicht stellen grüne Pflanzen energiereiche Stoffe aus Wasser und CO2 her. Einen ähnlichen Vorgang könnte man zukünftig nutzen, um flüssigen Treibstoff (Methanol) aus Sonnenenergie herzustellen. Um aber effiziente und stabile Systeme für eine künstliche Photosynthese zu entwickeln, muss man die Zwischenschritte innerhalb des Prozesses genau kennen. Das Ergebnis wäre eine erneuerbare grüne Energiequelle, die CO2-neutral ist.
Auch in der Materialforschung wollen die Schweizer Forschenden vom SwissFEL profitieren. Zum Beispiel auf der Suche nach neuen magnetischen Materialien für die schnellere und effizientere Speicherung von Daten. Elektronische Geräte sollen heutzutage möglichst komfortabel sein. Das heisst in der Regel klein und leicht. Gleichzeitig sollen sie jedoch schnell grosse Mengen von Daten speichern. Heutige Techniken der Datenspeicherung stossen langsam an ihre Grenzen und so wird an neuen Technologien mit neuen Materialien geforscht.
Die Erforschung von winzigen magnetischen Strukturen oder Materialien, deren magnetische Struktur sich unmittelbar mit einem elektrischen Strom verändern lässt, interessiert die Wissenschaftler. Das Umschalten der Struktur geschieht ultraschnell und könnte dank der hohen Zeitauflösung des SwissFEL besser verstanden und dann optimiert werden.
Eine erfolgreiche Forschung auf diesen Gebieten der Grundlagenforschung bietet der forschenden Industrie beste Voraussetzungen darauf basierend neue Produkte zu entwickeln.
Unterstützung durch die Politik
Die Kosten des SwissFEL betragen rund 270 Millionen Franken und sollen zum grössten Teil vom Bund getragen werden. Endgültig wird über die Finanzierung nach den eidgenössischen Wahlen vom Herbst 2011 entschieden. Der Kanton Aargau hat sich schon im vergangenen Jahr vom Nutzen des SwissFEL für Forschung und Industrie überzeugt und beteiligt sich mit 30 Millionen Franken an der Finanzierung.
Über das PSI
Das Paul Scherrer Institut entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Festkörperforschung und Materialwissenschaften, Elementarteilchenphysik, Biologie und Medizin, Energie- und Umweltforschung. Mit 1400 Mitarbeitenden und einem Jahresbudget von rund 300 Mio. CHF ist es das grösste Forschungsinstitut der Schweiz.
Kontakt / Ansprechpartner
Für die SwissFEL-Anlage:Dr. Hans Braun, Paul Scherrer Institut, 5232 Villigen, Schweiz
Telefon: +41 56 310 3241, E-Mail: hans.braun@psi.ch
Dr. Rafael Abela, Paul Scherrer Institut, 5232 Villigen, Schweiz
Telefon: +41 56 310 3271, E-Mail: rafael.abela@psi.ch
Für den Standort des SwissFEL:
Dr. Peter Allenspach Paul Scherrer Institut, 5232 Villigen, Schweiz
Telefon: +41 56 310 2527, E-Mail: peter.allenspach@psi.ch