Wie Bäume die Wolkenbildung beeinflussen

Im Rahmen des internationalen CLOUD-Projekts am Kernforschungszentrum CERN haben Forschende des PSI sogenannte Sesquiterpene – gasförmige Kohlenwasserstoffe, die von Pflanzen emittiert werden – als wesentlichen Faktor der Wolkenbildung identifiziert. Die Erkenntnis könnte helfen, die Unsicherheiten von Klimamodellen zu reduzieren und präzisere Vorhersagen zu treffen. Die Studie erscheint jetzt im Fachmagazin Science Advances.

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1,5 bis 4,4 Grad Celsius globale Klimaerwärmung bis 2100 im Vergleich zur vorindustriellen Zeit – so lautet die aktuelle Prognose des Weltklimarates IPCC. Sie basiert auf verschiedenen Szenarien, wie sich die Treibhausgasemissionen der Menschheit entwickeln. Im besten Fall, wenn wir die Emissionen schnell und radikal eindämmen, erreichen wir also noch das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens. Im schlechtesten Fall liegen wir weit darüber. Wobei auch diese Aussagen jeweils mit Unsicherheiten behaftet sind. So könnte der Temperaturanstieg im ungünstigsten Fall mit weiterhin stark ansteigenden Emissionen anstatt bei 4,4 Grad auch nur bei 3,3 oder aber sogar bei 5,7 Grad Celsius liegen.

Diese Unsicherheiten der Klimavorhersagen, wie sich die Temperatur bei konkreter Entwicklung der Treibhausgase verändern wird, liegen im Wesentlichen daran, dass die Wissenschaft noch nicht alle Vorgänge in der Atmosphäre – das Zusammenspiel der verschiedenen in ihr enthaltenen Gase und Schwebstoffe – im Detail verstanden hat. Dies aufzuklären ist das Ziel des CLOUD-Projekts (Cosmics Leaving Outdoor Droplets), das Atmosphärenforschende in einer internationalen Kooperation am Kernforschungszentrum CERN in Genf durchführen. Das PSI hat die CLOUD-Kammer mit gebaut und gehört zum Lenkungsausschuss des Projekts.

Mysterium Wolkenbildung

Vor allem, wie sich die Bedeckung mit Wolken in Zukunft entwickeln wird, bleibt bislang noch weitgehend nebulös. Sie ist jedoch ein wesentlicher Faktor für das Klima, da mehr Wolken mehr Sonnenstrahlung reflektieren und dadurch einen kühlenden Effekt auf die Erdoberfläche haben.

Um die Wassertröpfchen, aus denen Wolken bestehen, zu bilden, braucht Wasserdampf feste oder flüssige Partikel, an denen er kondensieren kann, sogenannte Kondensationskeime. Das sind komplexe Aerosole, winzig kleine, feste oder flüssige Partikel mit einem Durchmesser zwischen 0,1 und 10 Mikrometern, die sowohl durch Prozesse in der Natur als auch durch uns Menschen verursacht und in die Luft emittiert werden. Diese Partikel können Salz aus dem Meer, Sand aus der Wüste, Schadstoffe aus Industrie und Verkehr oder Russpartikel von Feuern enthalten. Etwa die Hälfte der Kondensationskeime aber entsteht erst in der Luft, indem sich verschiedene gasförmige Moleküle verbinden und dabei in den festen Aggregatzustand übergehen, ein Phänomen, das Fachleute «Nukleation» oder «New Particle Formation» (NPF) nennen, also auf Deutsch Partikelneubildung. Solche Partikel sind zu Anfang noch winzig, kaum grösser als ein paar Nanometer, können mit der Zeit aber durch die Kondensation gasförmiger Moleküle wachsen und Kondensationskeime werden.

Lubna Dada untersucht im Labor für Atmosphärenchemie unter anderem die Entstehung und die chemische Zusammensetzung von Aerosolen. © Paul Scherrer Institut PSI/Markus Fischer

Klimagase, die man riechen kann

Der Hauptteil der vom Menschen emittierten Gase, die zur Partikelneubildung beitragen, ist Schwefeldioxid in Form von Schwefelsäure, das vor allem aus der Verbrennung von Kohle und Öl stammt. Zu den wichtigsten natürlichen Gasen, die eine Rolle spielen, gehören sogenannte Isoprene, Monoterpene und Sesquiterpene. Das sind Kohlenwasserstoffe, die vor allem von der Vegetation freigesetzt werden. Sie sind wesentliche Bestandteile der ätherischen Öle, die wir riechen, wenn zum Beispiel Gras geschnitten wird oder wir im Wald spazieren gehen. Wenn diese Substanzen in der Luft oxidieren, bilden sie Partikel.

«Zu beachten ist, dass die Konzentration des Schwefeldioxids in der Luft in den letzten Jahren durch strengere Umweltgesetze deutlich geringer geworden ist und auch weiterhin abnehmen wird», sagt Lubna Dada, Atmosphärenwissenschaftlerin am PSI. «Die Konzentration der Terpene dagegen nimmt zu, weil Pflanzen unter Stress mehr davon freisetzen – beispielsweise wenn Temperaturen und Wetterextreme zunehmen und die Vegetation häufiger Dürren ausgesetzt ist.» Die grosse Frage für die Verbesserung der Klimaprognosen ist also, welcher Faktor überwiegt, sodass die Wolkenbildung zunehmen oder abnehmen wird. Und dazu müsste man bei jeder dieser Substanzen wissen, welchen Beitrag sie bei der Partikelneubildung leisten. Zu Schwefelsäure weiss man schon viel, und auch die Rolle von Monoterpenen und Isopren ist dank Feldmessungen und Kammerversuchen wie CLOUD, an denen das PSI beteiligt war, inzwischen besser bekannt.

Sesquiterpene sind selten, aber effektiv

Sesquiterpene befanden sich bislang noch nicht im Fokus der Forschung. «Das liegt daran, dass sie recht schwer zu messen sind», erklärt Dada. «Zum einen, weil sie sehr schnell mit Ozon reagieren, und zum anderen, weil sie viel seltener vorkommen als die anderen.» Während pro Jahr rund 465 Millionen Tonnen Isopren und 91 Millionen Tonnen Monoterpene ausgestossen werden, kommen Sesquiterpene nur auf 24 Millionen Tonnen. Dennoch – das hat die neue Studie, deren Hauptautorin Dada ist, ergeben – spielen diese Verbindungen bei der Wolkenbildung eine wichtige Rolle. Laut der Messungen bilden sie bei gleicher Konzentration zehnmal mehr Partikel als die anderen beiden organischen Substanzen.

Um das herauszufinden, hat Dada mit ihren Koautoren die einzigartige CLOUD-Kammer am Kernforschungszentrum CERN genutzt. Dabei handelt es sich um einen abgeschotteten Raum zur Simulation verschiedener atmosphärischer Bedingungen. «Mit fast 30 Kubikmetern ist diese Klimakammer im Vergleich zu anderen ähnlichen Einrichtungen weltweit die reinste ihrer Art», sagt Dada. «So rein, dass sie die Untersuchung von Sesquiterpenen auch dann ermöglicht, wenn die geringe Konzentration in der Atmosphäre nachgestellt wird.»

Genau das war das Ziel der Studie. Sie sollte die biogene Partikelbildung in der Atmosphäre simulieren. Und zwar so, wie sie in vorindustrieller Zeit stattfand, als es noch keine menschlichen Schwefeldioxid-Emissionen gab. Im Vergleich zu heute lässt sich so der menschliche Einfluss klarer herausarbeiten und in die Zukunft projizieren. In der Natur ist das Schwefeldioxid des Menschen jedoch längst überall. Auch deswegen kam nur die CLOUD-Kammer infrage. Zudem lässt sich dort unter kontrollierten Bedingungen eine vorindustrielle Mischung herstellen.

Dauerhafte Partikel führen zu mehr Wolken

Und so zeigte sich bei den Versuchen, dass in reiner Luft die Oxidation einer natürlichen Mixtur von Isopren, Monoterpenen und Sesquiterpenen eine grosse Vielfalt von organischen Verbindungen produziert – sogenannte ULVOC (Ultra-Low-Volatility Organic Compounds). Diese Moleküle sind wenig flüchtig und bilden daher sehr effizient Partikel. Der enorme Effekt der Sesquiterpene offenbarte sich, als die Forschenden ihnen Isopren und Monoterpene hinzumischten: Schon bei nur zwei Prozent Zugabe verdoppelte sich die Rate der Partikelneubildung. «Erklären lässt sich das damit, dass ein Sesquiterpen-Molekül 15 Kohlenstoffatome enthält, während Monoterpene nur zehn und Isopren fünf enthalten», sagt Dada.

Die Studie offenbart einerseits einen weiteren Faktor, mit dem die Vegetation Wetter und Klima beeinflussen kann. Vor allem aber schlagen die Forschenden aufgrund ihrer Ergebnisse vor, neben Isopren und Monoterpenen künftig auch die Sesquiterpene als eigenen Faktor in die Klimamodelle aufzunehmen, um die Prognosen zu verbessern. Zumal mit der Abnahme der Schwefeldioxid-Konzentration in der Atmosphäre und gleichzeitig steigenden biogenen Emissionen infolge von Klimastress die Rolle letzterer für das Klima der Zukunft immer wichtiger werden dürfte. Allerdings sind für die weitere Verbesserung der Vorhersagen zur Wolkenbildung auch noch andere Studien notwendig. Diese sind am Labor für Atmosphärenchemie bereits in Planung. «Als Nächstes», sagt Imad El Haddad, Gruppenleiter für Molekulare Prozesse in der Atmosphäre, «wollen wir mit unseren CLOUD-Partnern schauen, was damals im Zuge der Industrialisierung genau geschah, als die natürliche Atmosphäre zunehmend mit anthropogenen Gasen wie Schwefeldioxid, Ammoniak und anderen anthropogenen organischen Verbindungen vermischt wurde.»

Über das PSI

Das Paul Scherrer Institut PSI entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Zukunftstechnologien, Energie und Klima, Health Innovation und Grundlagen der Natur. Die Ausbildung von jungen Menschen ist ein zentrales Anliegen des PSI. Deshalb sind etwa ein Viertel unserer Mitarbeitenden Postdoktorierende, Doktorierende oder Lernende. Insgesamt beschäftigt das PSI 2200 Mitarbeitende, das damit das grösste Forschungsinstitut der Schweiz ist. Das Jahresbudget beträgt rund CHF 420 Mio. Das PSI ist Teil des ETH-Bereichs, dem auch die ETH Zürich und die ETH Lausanne angehören sowie die Forschungsinstitute Eawag, Empa und WSL. (Stand 06/2023)

Dr. Lubna Dada
Labor für Atmosphärenchemie

+41 56 310 53 17
lubna.dada@psi.ch 
[Englisch]

Dr. Imad El Haddad
Gruppenleiter für Molekulare Prozesse in der Atmosphäre
Labor für Atmosphärenchemie

+41 56 310 29 95
imad.el-haddad@psi.ch 
[Englisch/Französisch]

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