In einer interdisziplinären Studie des Naturhistorischen Museums Bern konnten Forschende die Materialherkunft einer bronzezeitlichen Pfeilspitze entschlüsseln. Das für die Herstellung verwendete Eisen stammt aus einem Meteoriten. Für die komplexe Analyse des archäologischen Objekts kam unter anderem die Schweizer Myonenquelle SμS am PSI zum Einsatz.
Die Kunst, Eisen aus Erzen zu gewinnen, ist in Mitteleuropa seit Beginn der Eisenzeit um 800 vor Christus bekannt. Davor galt das Metall als äusserst selten und man kannte es nur aus Meteoriten. Archäologische Objekte aus meteoritischem Eisen sind jedoch äusserst selten. In ganz Eurasien und Afrika sind nur 55 Objekte von 22 Fundorten bekannt. 19 dieser Objekte stammen allesamt aus dem Grab des Tutanchamun in Ägypten. Allerdings ist bisher nur ein kleiner Teil der Artefakte, bei denen der Verdacht besteht, dass sie aus meteoritischem Eisen gefertigt wurden, mit modernen Analysemethoden untersucht worden.
Nun fanden Forschende unter der Leitung des Naturhistorischen Museums Bern ein weiteres archäologisches Objekt mit eindeutig meteoritischem Ursprung: die Pfeilspitze von Mörigen. Die Ergebnisse ihrer detaillierten und zerstörungsfreien Untersuchung wurden im Journal of Archaeological Science veröffentlicht.
Das Meteoritenstreufeld und die Pfahlbausiedlung
Vor rund 170 000 Jahren ging über dem Twannberg im Berner Jura, nahe der Stadt Biel, ein gigantischer Eisenschauer nieder. Ein Meteorit mit einem Durchmesser von mindestens 4 Metern und einer Masse von mindestens 250 Tonnen drang in unsere Atmosphäre ein. Er wurde in unzählige Stücke zerrissen, welche auf die steinzeitliche Juralandschaft herunterprasselten. Es wird vermutet, dass sich die Einschlagfläche bis zu 15 Kilometer weit erstreckt. Damit handelt es sich nicht nur um das grösste Meteoritenstreufeld der Schweiz, sondern auch um eines der grössten in Europa.
Beda Hofmann, Leiter der Erdwissenschaften des Naturhistorischen Museums Bern und Hauptautor der Studie, erforscht dieses Streufeld bereits seit mehreren Jahren. In Zusammenarbeit mit Forschenden des Physikalischen Instituts der Universität Bern sowie privaten Meteoritensammlern konnte er bis heute bereits über 2000 Fragmente dieses Meteoriten identifizieren und deren Geschichte rekonstruieren.
Parallel zu diesen Forschungen wurden auch zahlreiche archäologische Objekte aus der Region auf meteoritischen Ursprung untersucht. Mit einem tragbaren Messgerät für Röntgenfluoreszenz analysierten die Forschenden verschiedene archäologische Objekte auf einen für Meteoriten typischen, hohen Nickelgehalt. Waren Stücke des Twannberg-Meteoriten möglicherweise schon vor langer Zeit bekannt und in Gebrauch?
Nach vielen Fehlversuchen gelang im Februar 2021 im Bernischen Historischen Museum die Identifikation einer bronzezeitlichen Pfeilspitze als meteoritisch. Das Analysegerät schlug aus und zeigte einen hohen Nickelgehalt an. Die Forschenden konnten das 39 Millimeter lange und 2,9 Gramm schwere Objekt eindeutig als meteoritisches Eisen bestimmen.
Die Pfeilspitze stammt aus einer bronzezeitlichen Pfahlbaufundstelle bei Mörigen am Bielersee, aus einer Zeit von etwa 900 bis 800 vor Christus, und wurde vermutlich 1873 bei Ausgrabungen entdeckt. Die Fundstelle liegt nur wenige Kilometer entfernt vom Meteoritenstreufeld Twannberg. Die geografische Nähe lässt vermuten, dass die Pfeilspitze womöglich aus Meteoritenfragmenten von Twannberg gefertigt wurde. Doch wie lässt sich eine solche Vermutung beweisen?
Myonen entschlüsseln den Fingerabdruck der Elemente
Nebst bekannten Analysemethoden wie Lichtmikroskopie, Rasterelektronenmikroskopie oder Röntgentomografie, mit denen hauptsächlich der Aufbau der verschiedenen Schichten in der Pfeilspitze untersucht wurden, kamen auch Myonen zum Einsatz. Myonen sind Elementarteilchen, welche als Teil der kosmischen Strahlung natürlich vorkommen und unseren Planeten sowie unser Gewebe quasi sekündlich durchqueren. Myonen ähneln in vielen Eigenschaften den Elektronen und besitzen ebenfalls eine negative Ladung. Ihre Masse ist jedoch rund 200-mal schwerer.
Am PSI werden diese Teilchen künstlich mithilfe eines grossen Beschleunigers erzeugt und unter anderem zur chemischen Analyse von Proben verwendet. «Mit Myonen können wir ein Objekt zerstörungsfrei auf die darin vorkommenden chemischen Elemente untersuchen», erklärt Sayani Biswas, Physikerin im Labor für Myonenspin-Spektroskopie am PSI und Mitautorin der Studie.
Biswas erklärt, wie das Experiment funktioniert: «Die Pfeilspitze wird umgeben von Detektoren auf dem Probenhalter platziert. Dann schicken wir die Myonen darauf.» Die Teilchen dringen ins Material hinein. Stimmt ihre Energie, so wird ein Myon von einem Atom in der Probe eingefangen. Anstelle eines Elektrons umkreist nun ein Myon den Atomkern. Während es sich zu Beginn in einem energetisch angeregten Zustand befindet, verliert es nun stufenweise an Energie und fällt in den Grundzustand. Die «verlorene» Energie wird in Form von Röntgenstrahlung ausgesendet und von den Detektoren registriert.
Die detektierte Röntgenstrahlung ist dabei charakteristisch für jeden Atomtyp, also das Element, welches das Myon eingefangen hat. Damit lässt sich jedes darin vorkommende Element eindeutig bestimmen – wie mit einem Fingerabdruck.
Doch nicht Twannberg?
Die verschiedenen Analysemethoden haben eindeutig gezeigt, dass es sich bei der Pfeilspitze um ein Stück Eisenmeteorit handelt – aber überraschenderweise nicht aus Twannberg!
Mit etwa 8,3 Prozent ist der Nickelgehalt in der Pfeilspitze fast doppelt so hoch wie beim Twannberg-Meteoriten. Auch der hohe Germanium-Gehalt lässt darauf schliessen, dass es sich um einen anderen Meteoritentyp handeln muss. Als wahrscheinlichster Kandidat wird der Meteorit Kaalijarv vermutet, der während der Bronzezeit um etwa 1500 vor Christus in Estland niederging. Beim Einschlag dieses Meteoriten entstanden mehrere Krater mit einem Durchmesser von bis zu 100 Metern. Da die grössten Meteoritenfragmente auf dem Boden explodierten, müssen viele kleine Splitter entstanden sein, welche von unseren Vorfahren zur Weiterbearbeitung verwendet werden konnten.
Die geografisch nächsten Fundorte von archäologischen Objekten aus meteoritischem Eisen in Europa stammen aus Polen. Aber auch hier handelt es sich eindeutig nicht um denselben Meteoriten wie bei der Pfeilspitze aus Mörigen. Weitere Analysen in archäologischen Sammlungen in Europa könnten Aufschluss darüber geben, ob sich die Spur des Meteoriten nach Estland bestätigen lässt. Die Pfeilspitze erhielt nun von der Meteoritischen Gesellschaft den offiziellen Meteoritennamen «Mörigen».
Text: Paul Scherrer Institut/Benjamin A. Senn basierend auf einer Medienmitteilung des Naturhistorischen Museums Bern
Weiterführende Informationen
- Herkules und Akkus durchleuchtet – Text vom 08. Juni 2022
- Muonic X-rays peer into brooch from Roman city (nur auf Englisch) – Text vom 16. März 2023
Kontakt
Dr. Sayani Biswas
Labor für Myonenspin-Spektroskopie
Paul Scherrer Institut, Forschungsstrasse 111, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 51 34, E-Mail: sayani.biswas@psi.ch [Englisch]
Originalveröffentlichung
An arrowhead made of meteoritic iron from the late Bronze Age settlement of Mörigen, Switzerland and its possible source
Beda A. Hofmann et al.
Journal of Archaeological Science, 20.07.2023 (online)
DOI: 10.1016/j.jas.2023.105827
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