Die Luft in der Pariser Megacity: besser als ihr Ruf

Megacities werden in der Öffentlichkeit oft als grosse Luftverschmutzer – auch ihres Umlands- wahrgenommen. Jüngste Studien aber stellen den Millionenstädten kein so schlechtes Umweltzeugnis aus. Ein internationales Forscherteam mit Beteiligung des Paul Scherrer Instituts PSI bestätigt nun anhand von Aerosolmessungen in Paris, dass sogenannte postindustrielle Metropolen die Luftqualität ihrer nahen Umgebung weit weniger beeinflussen als man denken mag.

An allen drei Messstationen (GOLF, LHPV, SIRTA) war die chemische Zusammensetzung im Durchschnitt sehr ähnlich. Auch im detaillierten Tagesgang zeigten sich nur geringe Unterschiede. Bild: Paul Scherrer Institut.
Chemische Zusammensetzung und Anteil der Quellen von Aerosolen an verschiedenen Tagen. Vor allem an Tagen mit hoher Gesamtbelastung zeigt sich: der Hauptbeitrag kommt von oxidierten Aerosolen aus fernen Quellen. Bild: Paul Scherrer Institut.

Eine intensive Aerosol-Messkampagne über einen Monat (von Mitte Januar bis Mitte Februar 2010) zeigt: die Lichtstadt trübt die Luft in ihrem unmittelbaren Umland weit weniger stark als man vemuten mag. An drei Messstationen, eine im Stadtzentrum und zwei weitere in der Peripherie (Südwesten und Nordosten jeweils 20 Kilometer vom Stadtzentrum), nahmen die Forscher ihre Messungen vor (gemessen wurden kleine Aerosolpartikel mit einem Radius von bis zu 1 Mikrometer) und an allen drei Standorten war die Aerosolbelastung hinsichtlich Konzentration, chemischer Zusammensetzung und Zeitverlauf sehr ähnlich. Das lässt zunächst den Schluss zu, dass die Pariser Innenstädter keine schlechtere Luft einatmen als die Bewohner der Banlieus. Aber zeigt diese Ähnlichkeit in Sachen Luftqualität möglicherweise bloss einen übergreifenden Einfluss der City auf die Vororte? Die Antwort der Forscher lautet Nein. Vielmehr unterliegen sowohl Stadtzentrum wie Peripherie der Dominanz von überregionalen Faktoren: die vom Atlantik oder aus Mitteleuropa herangewehten Luftmassen verfrachten weit mehr Aerosole in die Stadt als Paris selber produzieren kann und so werden etwaige Unterschiede innerhalb der Pariser Metropolregion ausgeglättet.

„Ferngesteuerte“ Luftqualität

Dass der Pariser Stadtkern keine Aerosolschleuder darstellt, konnten die Wissenschaftler durch einen einfachen Test unter Beweis stellen. Sie überwachten die Aerosolkonzentration an einer Messstation am Stadtrand, als der Wind aus dem Stadzentrum heranblies. Doch diese Windlage änderte wenig an der gemessenen Aerosolbelastung. Ein weiterer Vergleich zeigte, dass aus Mitteleuropa herrührende Aerosole mehr zur lokalen Bilanz beitrugen als die aus dem benachbarten Pariser Zentrum. Und eine Messreihe mit einem mobilen Labor an einem Standort fast 60 Kilometer vom Stadtzentrum fand keine grossen Unterschiede zur Pariser Innenstadt.

Organische Aerosole im Visier

Unter die Lupe nahmen die Forscher nun vor allem die organischen Aerosole. Diese werden in primäre, also direkt beispielsweise von menschlichen Tätigkeiten wie Verkehr oder Biomasseverbrennung als Partikel in die Luft ausgestossene, und sekundäre Aerosole, die durch chemische Reaktionen von Gasen in der Atmosphäre entstehen. Vor allem die sekundären organischen Aerosole (SOA) geben den Atmosphärenforschern heute viele Rätsel auf, da sie eine enorme Komplexität in Sachen chemischer Zusammensetzung und Entstehungsmechanismus aufweisen.

Organische Aerosole machen rund einen Drittel (30 bis 36 Prozent) der gesamten Aerosolmasse in der Pariser Luft aus. Der Anteil von Russpartikeln am Aerosolhaushalt variiert je nach Messstation zwischen 7 und 13 Prozent. Hauptquellen für primäre organische Aerosole bilden der Verkehr (11 bis 15 Prozent), die Biomasseverbrennung (13 bis 15 Prozent) undnicht zuletzt das Kochen, auf das im Durchschnitt 11 bis 17 Prozent und zu den Mahlzeiten sogar bis zu 35 Prozent der Aerosolbelastung entfallen. Dass eine scheinbar harmlose Tätigkeit wie das Kochen derart ins Gewicht fällt, überraschte zunächst André Prévôt, Leiter der Gruppe für Gasphasen- und Aerosolchemie im Labor für Atmosphärenchemie des PSI und Mitautor der Studie. Doch inzwischen weiss er, dass auch in anderen Grossstädten mit wenig Industrie und einer modernen Fahrzeugflotte der Einfluss dieser üblichen Verdächtigen auf die Luftqualität immer mehr zurückgehe. Da steigt sogar die Gastronomie allmählich in den Rang eines bedeutenden Luftverschmutzers auf.

Jedem Aerosol sein chemischer Steckbrief

Um die organischen Aerosolen ihren Quellen zuzuordenen, machen sich die Wissenschaftler den chemischen Fingerabdruck der Aerosolpartikel zunutze. Die Analyse der chemischen Zusammensetzung geschieht mit Hilfe von Aerosol-Massenspektrometern. In diesen Instrumenten können die chemischen Elemente oder Verbindungen, aus denen die Aerosolpartikel bestehen, anhand der jeweiligen genauen Masse der gemessenen Molekülfragmente identifiziert werden. Jede Aerosolsorte weist auf Grund ihrer chemischen Zusammensetzung ein charakteristisches Spektrum auf. Dennoch fällt die Unterscheidung nicht immer leicht. Die Aerosolemissionen aus Verkehr und Küche beispielsweise ähneln sich in ihren Spektren sehr stark, schliesslich bestehen die Brennstoffe von Fahrzeugen zur Hauptsache aus Öl und nichts anderes als Speiseöl und Fette sind wohl die Hauptquellen der primären „Küchen-Aerosole“, sagt Prevot. Dennoch seien in diesen Spektren kleine charakteristische Unterschiede vorhanden, die ein Auseinanderhalten ermöglichen, versichert der PSI-Forscher. Zudem treten die Konzentrationsspitzen der beiden Aersolsorten zu verschiedenen Tageszeiten auf. Die Ausschläge zu den Stosszeiten kann man dem Verkehr zuteilen, jene aus den Mittags- und Abendessensstunden dem Kochen.

Eindeutig sowohl an ihrer chemischen Identität wie an ihrem Tagesverlauf sind die Aerosole aus der Biomasseverbrennung auszumachen. Sie weisen nicht nur ein unverkennberes Spektrum auf, sondern auch einen steilen Anstieg zwischen den späten Nachmittags- und den Nachtstunden, ein Zeichen dafür, dass an ihrem Ursprung die holzbefeuerten Cheminées vieler Pariser und vor allem auch der Bewohner im ländlichen Umland stehen dürften. Bei den Biomasse-Aerosolen erschwert manchmal nur deren relativ starker Oxidationsgrad die Fahndungsarbeit der Forscher. Eine starke Oxidation ist nämlich das Merkmal von aus fernen Quellen herangewehten Aerosolen. Wie also können die Forscher entscheiden, ob diese Aerosole den Pariser Holzheizungen oder einer mitteleuropäischen Industrieagglomeration anzulasten sind? Laut Prévot ist hier neben den Differenzen im Spektrum der unterschiedliche Tagesverlauf hilfreich: die lokal produzierten Holzverbrennungsaerosole tauchen vor allem in den Abendstunden in grossen Mengen auf. Die „weitgereisten“ Aerosole hingegen bleiben über den Tag hinaus in ähnlicher Konzentration vorhanden.

Die Schattenseite des Individualverkehrs

Bei allen Fortschritten in der Abgasreinigung - Fahrzeuge bleiben die dominierende Quelle von einem bedeutenden Aerosolbestandteil: dem klimarelevanten und krebserregenden Russ. In Paris macht die Verbrennung fossiler Treibstoffe zwischen 75 und 80 Prozent der gesamten Russmasse aus. Den Rest steuert die Holzverbrennung bei. Russpartikel absorbieren sehr stark sichtbares Licht und können somit den Wärmehaushalt in der Atmosphäre beeinflussen. Ihre Rolle beim Klimawandel ist unbestritten, wenngleich noch nicht genau quantifiziert. Russemissionen dürften auch in Zukunft im Visier der Klimaforscher bleiben, denn parallel zu den Verbesserungen bei Vierrädern, ist derzeit vielerorts eine bedenkliche Entwicklung in Gang: die Zunahme der Anzahl zirkulierender Mopeds mit Zweitaktmotor, die mit weniger als optimalen Russpartikelfiltern ausgestattet sind. Dem nicht mehr unbedeutenden Einfluss dieser Zweiräder auf die Luftreinheit mancher Städte—vor allem in Afrika und Asien und teilweise in Südeuropa —widmet eine Forschungsgruppe um André Prévôt gegenwärtig eine eigene Studie.

Text: Leonid Leiva

Kontakt / Ansprechpartner
Dr. André Prévôt, Leiter der Arbeitsgruppe Gasphasen- and Aerosol-Chemie, Paul Scherrer Institut,
Telefon: +41 56 310 42 02, E-Mail: andre.prevot@psi.ch [Deutsch, Englisch]
Originalveröffentlichung
Wintertime aerosol chemical composition and source apportionment of the organic fraction in the metropolitan area of Paris
M. Crippa, P. F. DeCarlo, J. G. Slowik, C. Mohr, M. F. Heringa,, R. Chirico, L. Poulain, F. Freutel,
J. Sciare, J. Cozic, C. F. Di Marco, M. Elsasser, J. B. Nicolas, N. Marchand, E. Abidi, A. Wiedensohler,
F. Drewnick, J. Schneider, S. Borrmann, E. Nemitz, R. Zimmermann, J.-L. Jaffrezo, A. S. H. Prévôt,U. Baltensperger
Atmospheric Chemistry and Physics, 13, 961–981, 2013
DOI: 10.5194/acp-13-961-2013