Die Sicherheitskultur gestalten

Interview mit Sabine Mayer

Frau Mayer, Sie leiten seit Anfang Jahr die Abteilung Strahlenschutz und Sicherheit ASI und sind somit zuständig für die Gewährleistung der Sicherheit am PSI von der Betriebsfeuerwehr über die Arbeitssicherheit bis zur radiologischen Überwachung.

Sabine Mayer leitet die Abteilung Strahlenschutz und Sicherheit ASI am Paul Scherrer Institut.(Bild: Scanderbeg Sauer Photography)
Das 'personenähnliche Phantom' IGOR dient zur Kalibrierung des Ganzkörperzählers. Mit diesem empfindlichen Detektor kann festgestellt werden, ob radioaktive Substanzen in den Körper aufgenommen wurden.(Bild: Scanderbeg Sauer Photography)
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Stimmt, Sicherheit am Paul Scherrer Institut hat zahlreiche Facetten. Wir prägen die Sicherheitskultur auf allen Ebenen: Wir sind zuständig für die Zutrittskontrolle und die Überwachung des Areals, die Gewährleistung des gesetzlich vorgeschriebenen Strahlenschutzes, die Wahrnehmung von gesetzlichen Bestimmungen in Brandschutz und Arbeitssicherheit. Kurz: Die ASI ist Unterstützungs- und Auskunftsstelle für alles, was Sicherheit betrifft. Das erfordert ein breites, fachübergreifendes Wissen.

Die Experten ihrer Abteilung sind auch ausserhalb des PSI gefragt.

Der Strahlenschutz ist ein weites Feld und daher sehr spannend. Speziell schätze ich den guten Austausch mit den Behörden auf fachlicher Ebene. Unser Wissen wird gebraucht, unsere Vorschläge finden Anwendung. Das Bundesamt für Gesundheit BAG, das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI oder das Eidgenössische Institut für Metrologie METAS vertrauen auf unseren Pool an Fachleuten. Wir prägen die Sicherheitskultur in der Schweiz mit. In den Gremien zu sitzen, die die grossen Leitlinien ziehen, das ist hoch interessant.

Sie sorgen nicht nur für die Sicherheit am PSI, sondern engagieren sich auch in Dienstleistungen für die Bevölkerung.

Wir halten zum Beispiel einen Pikettdienst für Strahlenschutz aufrecht. Die Nationale Alarmzentrale NAZ kann unsere Leute jederzeit zu einem externen Einsatz rufen. Tritt ein Ereignis mit erhöhten Strahlungswerten auf, können unsere ausgebildeten Mitarbeitenden Messungen durchführen und die entsprechenden Massnahmen einleiten. Zum Beispiel werden wir hin und wieder zum Flughafen Zürich-Kloten gerufen, wenn bei einem Transport ein Behälter mit radioaktivem Inhalt beschädigt wurde. Das kommt aber nur wenige Male pro Jahr vor.

Gibt es auch Anfragen aus der Bevölkerung?

Gerade nach Fukushima hatten wir einige. Wenn die Leute tatsächlich Grund zur Beunruhigung haben und ans PSI kommen können, helfen wir unbürokratisch. Manche Firmen kamen mit der Bitte, Waren ihrer japanischen Lieferanten zu untersuchen. Manchen haben wir auch Messgeräte ausgeliehen, da zu der Zeit auf dem Markt nur schwer welche zu bekommen waren.

Wie weit war die ASI nach Fukushima grundsätzlich mit Dienstleistungen involviert?

Es gab regen Besuch am PSI. Zurückgekehrte Botschaftsangestellte und Leute von den Hilfswerken, die vor Ort in Japan mitgeholfen hatten, kamen zum Ganzkörperzähler. Mit diesem Gerät können wir untersuchen, ob jemand radioaktive Substanzen in den Körper aufgenommen hat. Zudem waren unsere Mitarbeitenden am Flughafen Zürich-Kloten vor Ort, um die Angestellten der Hilfswerke im Umgang mit den Messgeräten zu unterweisen. Wir haben das Flughafenpersonal auch dabei unterstützt, das Gepäck auf Strahlung zu kontrollieren. Eine Person war vor Ort in Japan und hat den Umgang mit Messgeräten geschult.

Sie erwähnten eben den Ganzkörperzähler. In einem Keller wartet auf ihm das „personenähnliche Phantom“ IGOR auf seinen Einsatz. Man sagt, es sei nicht allzu beliebt, ihn zu besuchen.

Ja, aber das liegt nicht an IGOR, der ist eigentlich ein ganz angenehmer Geselle aus Polyethylen, sondern an seinem „Arbeitsort“. Mit IGOR kalibrieren wir den Ganzkörperzähler. Mit diesem Gerät werden jedes Jahr etwa 270 Personen untersucht, zum Beispiel Leute, die in Fukushima vor Ort waren, aber auch Angestellte aus Kernkraftwerken oder Radionuklid-Laboratorien. Die Messung dauert nur sieben Minuten, aber sie findet in einer kleinen, mit Eisen abgeschirmten Messkammer statt. Wir tun unser Möglichstes, um den Aufenthalt dort etwas angenehmer zu machen: Wir haben Strandposter aufgehängt und spielen Musik ein. Gerade nach Fukushima konnten wir dank IGOR viele Leute beruhigen und ihnen mitteilen, dass sie keine radioaktiven Substanzen aufgenommen hatten.

Was passiert, wenn Sie etwas finden?

Dann informieren wir die Aufsichtsbehörden und, sofern der Mitarbeitende etwa bei einem Fremdbetrieb angestellt ist, auch den Bewilligungsinhaber. Wir haben tatsächlich nur äusserst selten einen Fall, und bei keiner Person, die in Fukushima vor Ort war, stellten wir Messwerte fest, die über den sehr strengen gesetzlichen Grenzwerten liegen.

Wie erklären Sie Laien die Messwerte?

Wir müssen oft relativieren, die Werte in ein Verhältnis setzen und darlegen, dass geringe Strahlenbelastung durch die natürliche Strahlung in der Natur unvermeidbar ist. Dazu muss man wissen, dass die natürliche terrestrische Strahlung standortabhängig ist. In den Alpen kann sie doppelt so hoch sein wie im Mittelland. In den Bergen hat die kosmische Strahlung höhere Bedeutung, da sie mit steigender Höhe zunimmt. Radon sorgt für einen Grossteil der Belastung aus natürlichen Quellen. Es kommt vor allem in tiefer gelegenen Räumen vor, da es aus dem Boden entweicht.

Stichwort natürliche Radioaktivität: Am PSI gibt es eine Eichstelle für Radonmessgeräte.

Wir eichen die Geräte der offiziellen Radonmessstellen der Schweiz in periodischen Abständen. Wir eichen aber auch im Auftrag des METAS, und kalibrieren als akkreditierte Kalibrierstelle viele andere Arten von Strahlenschutzmessgeräten. Das ist interessant, denn das ist praktische Physik.

Interview: Alexandra von Ascheraden

Zur Person
Sabine Mayer (38) hat in Wien eine Höhere Technische Lehranstalt mit Ausrichtung Biomedizinische Technik absolviert und an der TU Wien Technische Physik mit Spezialisierung auf Strahlenphysik studiert. Schon ihre Doktorarbeit am CERN verfasste sie zu einem Thema der Strahlenschutzforschung. Anschliessend blieb sie noch zwei Jahre als Fellow am CERN. Von dort bewarb sie sich auf eine Physikerstelle im Messwesen. So kam sie im Oktober 2005 ans PSI an die Abteilung Strahlenschutz und Sicherheit. Seit 1. Januar 2013 ist sie dort Abteilungsleiterin. Sie ist Mitglied der Eidgenössischen Kommission für Strahlenschutz und Überwachung der Radioaktivität KSR. Mayer ist verheiratet und Mutter eines einjährigen Sohnes. In ihrer knapp bemessenen Freizeit joggt sie gern oder spielt Tennis.