Interview Mirjam van Daalen

«Die SLS ist derzeit europaweit etwas ganz Besonderes»

Die Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS ist eine von nur wenigen Anlagen ihrer Art, die in Europa zu Pandemiezeiten noch in Betrieb ist. Mirjam van Daalen, Stabschefin des Forschungsbereichs Photonenforschung betont im Interview, wie wichtig gerade in diesen Tagen die internationale Zusammenarbeit ist.

Mirjam van Daalen im SwissFEL-Tunnel
(Foto: Paul Scherrer Institut/Peter Wiegand)

Frau van Daalen, Sie koordinieren am PSI unter anderem die Zusammenarbeit mit anderen Forschungsanlagen und Forschungsgruppen in Europa und der ganzen Welt. Was hat sich seit Ausbruch der Covid-19-Pandemie für Sie verändert?

Mirjam van Daalen: Normalerweise reise ich im Rahmen der Projekte sehr viel. Jetzt sitze ich hier am PSI und springe von einer Zoom-Videokonferenz in die nächste. Und meistens geht es dabei nur um Corona. Es ist wirklich viel Arbeit, aber andererseits auch superschön zu sehen, wie sich alle zusammenraffen und miteinander arbeiten.

Um welche Projekte geht es?

Beispielsweise um Lightsources.org – eine weltweite Kooperation zwischen Einrichtungen, an denen mit Synchrotronstrahlung und Licht aus Freie-Elektronen-Lasern geforscht wird. Wir halten uns gegenseitig auf dem neuesten Stand, beispielsweise wenn es darum geht, welche Anlagen noch laufen und welche für Corona-relevante Forschung jederzeit schnell wieder hochgefahren werden könnten.

Ein anderes Beispiel ist LEAPS, the League of European Accelerator-based Photon Sources, ein Konsortium aller europäischen Synchrotronstrahlungsquellen und Freie-Elektronen-Lasern. Auch hier geben wir uns gegenseitig Input und kommunizieren gemeinsam zu diesem Thema mit der Europäischen Kommission. 

Wie stehen die Grossforschungsanlagen am PSI im Vergleich zu anderen in Europa derzeit dar?

Die SLS ist eine der wenigen Synchrotronlichtquellen in Europa, die im Moment in Betrieb ist. Das ist derzeit schon etwas ganz Besonderes. Die anderen Anlagen, die jetzt heruntergefahren sind, können aber bei Bedarf relativ schnell wieder gestartet werden. Genauso wie es gerade beim SwissFEL der Fall ist. Bei der SLS allerdings haben wir den geplanten Oster-Shutdown sogar extra verschoben. Wir halten die Anlage offen, um die gesellschaftliche Herausforderung der Covid-19-Pandemie angehen zu können. Immerhin hat das PSI grosses Potenzial, bei der Lösung des Problems mitzuhelfen.

Warum sind denn gerade Synchrotronstrahlungsquellen wichtig, wenn es um Forschung zu Covid-19 geht?

Weil sich damit hervorragend Proteinstrukturen entschlüsseln lassen, beispielsweise an den MX- Strahllinien der SLS. Und wenn man die Struktur von Proteinen kennt, kann man viel gezielter Medikamente gegen das Virus entwickeln. Das PSI etwa bietet neben seinen Strahllinien auch Know-how bei Proteinkristallisationsmethoden sowie in der Strukturanalyse relevanter Antigene, ausserdem in der Bildgebung mit Röntgenstrahlen, zum Beispiel von Lungengewebe.

Aber das könnte theoretisch ja jede Forschungsanlage für sich alleine machen. Warum internationale Kooperationen?

Einerseits stehen wir tatsächlich alle in Konkurrenz zueinander, das stimmt. Aber wir versuchen, uns trotzdem gegenseitig zu unterstützen, gerade in Zeiten dieser Pandemie. Auch hat jede Anlage ihre technischen Besonderheiten und Spezialisierungen, sodass sich die Anlagen ergänzen. Es gibt viele Gebiete, auf denen wir zusammenarbeiten und gemeinsame Visionen entwickeln können, etwa um globale Herausforderungen wie Covid-19 anzugehen oder um gemeinsam Technologien zu entwickeln, die dann für alle Anlagen von Nutzen sind. Innerhalb von LEAPS haben wir so eine gemeinsame nachhaltige Strategie auf europäischer Ebene erarbeitet.

Und wie sieht die wissenschaftliche Zusammenarbeit in der Coronaforschung derzeit aus?

Im Moment sammeln wir möglichst viele Informationen dazu, welches Know-how wer von uns hat und wie wir zusammen Resultate erzielen und miteinander teilen können. Für LEAPS etwa arbeiten wir gerade an einem Positionspapier zu Covid-19. Darin geht es auch darum, welche Anlage in Europa welche Instrumente und Experimentiertechniken offeriert, die andere Forscher nutzen können.

Kommt es auf internationaler Ebene auch zum Austausch von Messdaten?

Unbedingt. Viele nationale Datenbanken arbeiten inzwischen zusammen. Und vor einiger Zeit schon hat die Europäische Kommission die European Open Science Cloud EOSC ins Leben gerufen, um europäischen Wissenschaftlern Zugang zu wissenschaftlichen Daten und Datenverarbeitungsplattformen zu erleichtern. Die Europäische Kommission stellt jetzt extra Fördergelder bereit für das Einrichten einer europäischen Datenplattform für SARS-CoV-2 und für Coronavirus-spezifische Daten innerhalb der EOSC. Alles, um in der jetzigen Situation schnell Daten und Statistiken zu Covid-19 austauschen zu können.

Die Europäische Kommission förderte schon immer transeuropäische Forschungskooperationen. Hat sich das zu Coronazeiten verstärkt?

Die EU hat Extragelder für die Forschung an Covid-19 zur Verfügung gestellt. Sie ruft Konsortien wie LEAPS auch explizit auf, um ihren Input zu geben. Die Europäische Kommission erwartet, dass die Forschungsinfrastrukturen bei dieser gesellschaftlichen Herausforderung zusammenarbeiten. Die Covid-19-Pandemie zeigt, wie wichtig Forschung im Allgemeinen ist, ganz besonders Grundlagenforschung. Ohne sie könnten wir dieses Problem gar nicht lösen. So profitieren wir bei der Erforschung von Covid-19 derzeit enorm von dem Know-how, das unsere Forschenden in der Vergangenheit in Techniken wie der Proteinkristallografie und der Aufschlüsselung von Proteinstrukturen entwickelt haben. Forschung ist ein Grundbaustein unserer Gesellschaft, das zeigt diese Pandemie eindringlich.

Interview: Paul Scherrer Institut/Brigitte Osterath

Kontakt/Ansprechpartner

Dr. Mirjam van Daalen
Stabschefin des Forschungsbereichs Photonenforschung

Paul Scherrer Institut, Forschungsstrasse 111, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 56 74, E-Mail: mirjam.vandaalen@psi.ch [Deutsch, Englisch, Italienisch, Niederländisch]

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