Physik ist nicht jedermanns Lieblingsfach. Am iLab des Paul Scherrer Instituts PSI erleben Schüler die Materie anders: Mit Experimenten statt Formelbüffeln.
Den Nutzen der Spektrometrie erklärt Beat Henrich seinen jugendlichen Gästen gerne mit dem Urknall. Dass sich alles in unserem Universum stetig auseinanderbewegt
, sagt er zu den siebzehn Schülern an den Experimentierstationen des Schülerlabors iLab, wissen wir bloss, weil wir das Licht anderer Galaxien vermessen können.
Weil sich aber nicht alle Vorgänge im Weltraum durch Materie erklären lassen, die Licht erzeugt oder zurückwirft, fährt Henrich fort, erforsche man derzeit die Dunkle Materie
, das grosse Rätsel in der Entstehungsgeschichte des Alls. Wenn ihr da eine Entdeckung macht
, schliesst der Leiter des iLab, seid ihr Kandidaten für den Nobelpreis.
Sitzt hier eine künftige Nobelpreisträgerin? Oder ein künftiger Spitzenforscher? Michael Portmann, Physiklehrer an der Kanti Alpenquai in Luzern, wirft einen Blick auf die Maturanden und Maturandinnen seiner zwei Schulklassen, mit denen er heute ans PSI gereist ist. Natürlich kann man das jetzt nicht sagen
, sagt Portmann, der seit 15 Jahren Physik unterrichtet und von einer Handvoll seiner ehemaligen Schüler weiss, dass sie später sein Fach studiert haben. Aber hier zeigt sich, wer der Forschung offen gegenübersteht.
Junge Menschen für die Physik zu begeistern, war die Absicht, mit der Forschende des PSI im April 2008 das iLab gründeten. Das Schülerlabor des Paul Scherrer Instituts soll Schülern als Fenster in die Forschungswelt dienen. Physik ist ein eher unbeliebtes Schulfach
, sagt Henrichs Stellvertreterin Anita Walther. Das habe nicht nur mit der theoretischen Materie, sondern auch mit der Infrastruktur zu tun. In vielen Schulen fehlt das Material, um einer ganzen Klasse das Experimentieren zu ermöglichen.
Im iLab dagegen können Jugendliche aller Schulstufen Physik spielerisch erleben. Primarschüler etwa beobachten, dass ein schrillender Wecker in einer Vakuumkammer still bleibt – weil sich ohne die Luft der Schall nicht ausbreitet.
Drei Olivenöle
Die Luzerner Gymnasiasten führen ein Spektrometrie-Experiment für Fortgeschrittene durch. An den Messinstrumenten wird ein Lichtstrahl an einer CD-Unterseite gestreut und mündet in einem Regenbogen, der als Kurvendiagramm auf Laptops aufgezeichnet wird. Links eichen acht Knaben der Schulklasse mit mathematisch-naturwissenschaftlichem Profil ihre spektrometrischen Geräte, rechts vier Mädchen und fünf Knaben aus der Klasse mit biochemischem, gestalterischem und sportlichem Profil. Dieses Geschlechterverhältnis ist typisch.
Physik war lange eine Männerdomäne
, sagt Lehrer Portmann. Das spiegelt sich auch heute noch in der Sprache wieder.
Er versucht, Gegensteuer zu geben, etwa indem er bei Geschwindigkeitsbeispielen lieber Fahrräder statt Autos wählt. Anita Walther kennt das Phänomen auch von ihren iLab-Experimenten: Jungs strecken öfter auf, auch wenn es die Mädchen genauso gut wissen.
Manchmal trennt sie die Klassen deshalb. Dann trauen sich Mädchen mehr, etwas beizutragen.
Doch heute zeigt sich bei einer Befragung an den Experimentierstationen: Die einzige anwesende Person, die sich ernsthaft überlegt, Physik zu studieren, ist die Sportgymnasiastin Alisha Baumgartner. Physik ist alltagsbezogen
, betont sie. Zum Beispiel wenn man die Bewegungsabläufe von Spitzensportlern optimieren will.
Alltagsbezogen ist auch das nächste Experiment im iLab: Es geht um Olivenöl. Auf dem Materialtisch stehen drei identisch aussehende Flaschen, ihr Inhalt ist in Ampullen daneben abgefüllt. In Kleingruppen halten die Schüler die Ampullen nun in den Lichtstrahl ihrer Stationen. Die Kurven auf dem Laptop signalisieren, dass die Öle unterschiedlich viel Licht durchlassen. Woran könnte das liegen?
, fragt Beat Henrich. Welchen Stoff enthalten Pflanzen wie Oliven?
– Chlorophyll
, schallt es zurück. Also beauftragt Henrich die Jugendlichen, einen Vergleichstest mit Grünzeug vom Vorplatz des iLab zu machen. Alisha Baumgartner extrahiert mit ihrer Kollegin Salomé Häcki das Chlorophyll mit Mörser und Stössel, bringt es in eine Ampulle und legt diese in die Probenhalterung. Eine Kurve knapp oberhalb der anderen drei Kurven entsteht. Weiss jemand, welcher Faktor den Unterschied macht?
, fragt Henrich die Schülerinnen und Schüler. Jemand streckt auf: Wegen dem Alter.
Henrich nickt und zeigt auf die drei Olivenölflaschen. Alle haben ein anderes Ablaufdatum
, erklärt er. Unser Experiment hat uns gezeigt, dass sich manchmal mit Licht das Alter von Materie messen lässt.
Das sei jetzt schnell gegangen, meint er beeindruckt, während die Schüler in die Mittagspause strömen. Meist dauere es eine Weile, bis jemand darauf komme.
Forschende brauchen einen langen Atem
Am Nachmittag besucht die Klasse mit langsam schwindender Konzentration das Besucherzentrum des PSI und die Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS, wo Forschende zwischen den Grossgeräten herumeilen. Hier sehen alle so schlau aus
, raunt ein Schüler, während Beat Henrich erklärt, wie die Magnete die Elektronen in beinahe Lichtgeschwindigkeit auf der Kreisbahn halten. Die Tour endet in einem der fensterlosen Kontrollcontainer, in denen Forschende während ihrer Experimentierzeit arbeiten. Über den Schreibtischen sind auf einer Ablage die Zeugen besonders erfolgreicher Experimente abgestellt: Eine Kollektion ausgetrunkener Weinflaschen, deren Etiketten mit den entschlüsselten Molekularstrukturen überschrieben sind. Das ist der Forscherlohn
, sagt Henrich trocken. Und zwar, nachdem man in monatelanger, mühsamer Kleinstarbeit einen Kristall hergestellt und ihn schliesslich innerhalb weniger Minuten durch das Durchleuchten mit einem Synchrotron-Röntgenstrahl zerstört hat.
Henrich, selbst ehemaliger Forscher, stellt klar, dass Forschende einen langen Atem brauchen.
Und wer weiss: Vielleicht ist ja heute doch eine junge Person durch die Tür des iLab getreten, die in der Zukunft die Dunkle Materie des Universums untersuchen wird. Alisha Baumgartner jedenfalls ist nicht von ihrem Studiumswunsch abgekommen.
Text: Joel Bedetti