Eine 3500 Jahre alte Bronzeplastik wird an der Neutronenquelle SINQ des PSI vermessen. Damit können Restauratoren einen einzigartigen Blick ins Innere des Sensationsfundes werfen – und Erkenntnisse über dessen Verarbeitung gewinnen.
Geschützt durch Styroporkissen, verpackt in einer luft und temperaturisolierten Box, transportiert im gepolsterten Laderaum eines Autos kommt sie an einem Montag im Oktober ans PSI: Die aus Bronze gefertigte Skulptur einer Hand mit einem Goldbelag, geschätzt 3500 Jahre alt. Zwei Hobbyarchäologen hatten sie im Herbst 2017 im Berner Jura ausgegraben.
Nun bringen Sabine Brechbühl und Carole Schneider vom Archäologischen Dienst des Kantons Bern das historische Objekt ans Paul Scherrer Institut. Am Eingang der Neutronenquelle SINQ des PSI begrüsst sie der PSI-Forscher David Mannes. Dann werden drei Kisten vorsichtig durch den engen Flur zur SINQ-Messstation NEUTRA getragen: Neben der Hand und deren abgebrochenen Fingern sollen an der Neutronenanlage auch eine Gewandnadel und ein Dolch vom selben Fundort durchleuchtet werden.
An NEUTRA untersucht Mannes, der Forstwissenschaft studiert hat und über seine Dissertation in Neutronenvermessung ans PSI gelangte, üblicherweise Stoffe und Prozesse aus Industrie und Grundlagenforschung: Batterien, Brennstoffzellen oder Gefrierprozesse. Vor einigen Jahren haben aber auch Archäologen die Neutronenradiografie entdeckt. Weltweit gibt es hierfür rund ein Dutzend Anlagen, neben der SINQ sind es in Europa nur vier weitere.
Metalle sind für Neutronen beinahe durchsichtig. «Dagegen zeigen sich Wasserstoffatome in der Neutronenbildgebung besonders deutlich. Teile, die Wasserstoff enthalten, also beispielsweise organisches Material oder Metallkorrosion, lassen sich darum sehr gut erkennen», erklärt Mannes. Vor einigen Monaten durchleuchtete er mit Neutronen eine Buddha-Statue aus dem 15. Jahrhundert. Das resultierende Bild zeigte im Inneren verborgene Holzstücke und getrocknete Blumen.
Vielleicht bringt auch die Vermessung der Bronzehand Unerwartetes zutage. Denn eine so frühe Nachbildung eines menschlichen Körperteils ist Archäologen auch anderthalb Jahre nach ihrem Fund noch ein Rätsel. «Sie passt nicht in die Zeit», sagt Sabine Brechbühl, «das macht den Fund so sensationell.» Das klassische Röntgen im archäologischen Dienst Bern brachte nur ein undeutliches Bild. «Wenn wir jetzt mit Neutronen die Struktur der Hand durchleuchten, können wir hoffentlich sehen, wie sie verarbeitet wurde», sagt Brechbühl. Besonders gespannt ist sie auf einen Klebstoff, den sie beim Reinigen der Hand an deren Goldbelag entdeckt hat. «Es muss sich um ein Naturharz handeln.»
Wenn wir mit Neutronen die Hand durchleuchten, können wir hoffentlich sehen, wie sie verarbeitet wurde.
Doch wenn die Konservatorinnen Pech haben, ist die Messung zu Ende, bevor sie begonnen hat. Denn zuerst wird David Mannes die Bronzehand zehn Sekunden lang testweise mit dem Neutronenstrahl belichten. Danach lässt sich ermitteln, ob manche der Atome, aus denen das Objekt besteht, durch Neutronen radioaktiv werden. «Wenn da drin viel Silber ist, könnte es heikel werden», sagt Mannes, «Kobalt wäre noch schwieriger.» Würde man dann wie geplant eine Rundumtomografie mit 375 Bildern machen, müsste die Hand im Tresor der SINQ bleiben, bis die radioaktive Strahlung abgeklungen ist. Eine römische Büste aus der Ausgrabungsstätte in Avenches musste deshalb mehrere Monate in der SINQ lagern. Ganz klar: So lange möchte die Restauratorin Brechbühl nicht auf die Bronzehand verzichten.
Die Halbwertszeit entscheidet
Brechbühl zieht sich Laborhandschuhe an und umwickelt die Skulptur vorsichtig mit Aluminiumfolie, um sie gegen die Partikel des Blumenschaums zu schützen, der wiederum die Bronzehand in einem Zylinderbehälter polstert. Das Angebot des inzwischen hinzugestossenen PSI-Technikers Jan Hovind, den Zylinder in die Messstation zu tragen, lehnt sie vorerst ab. Als Leiterin des Fachbereichs metallische Objekte vom Archäologischen Dienst Bern ist sie für den Gegenstand verantwortlich. An antiken Fundstücken gebe es oft fragile Stellen, erklärt Brechbühl. «Da bricht schnell was weg.» Mannes gesteht: «Manchmal sprechen die Archäologen und wir verschiedene Sprachen.» Doch mit der Zeit haben die PSI-Wissenschaftler gelernt, die Sprache der Archäologen zu verstehen. In manchen Jahren untersuchen sie dutzende historische Objekte, wissen daher mittlerweile einiges über historische Materialien und handhaben die Objekte auch selbst. Handkehrum sind viele Konservatoren inzwischen mit der Methode der Neutronenradiografie vertraut.
An der Messstation NEUTRA übernimmt nun die PSI-Equipe. Mannes sitzt an einem Computer ausserhalb der Experimentierzone, die durch dicke Betonmauern abgeschirmt ist, und stellt per Fernsteuerung den Kamerafokus ein. Auf seinem Bildschirm erscheint ein Standbild, das an eine Röntgenaufnahme erinnert. Dann lächelt er. «Bereit.»
Vorsichtig trägt Sabine Brechbühl den Zylinder in die Experimentierstation. Nachdem sie wieder zwischen den Betonmauern herausgetreten ist, schliesst Mannes die Tür zur Zone ab. Bald darauf erscheint ein erstes Durchleuchtungsbild der Bronzehand auf dem Bildschirm: Ein Umriss mit Schattierungen – an manchen Stellen heller, an anderen dunkel. Letzteres könne auf Korrosion hindeuten, sagt Mannes. Doch wichtig ist jetzt erst einmal, was der Strahlenschutz dazu sagt.
Als kleine Prozession durchqueren Mannes, Schneider und Brechbühl mit dem Zylinder die Halle der SINQ bis zum Raum des Strahlenschutzes, wo Marco Müller im weissen Labormantel wartet. «Das kann jetzt ein paar Minuten dauern», sagt Müller, nachdem Brechbühl den Zylinder in der betonierten Strahlkammer deponiert hat. Doch schon Sekunden später schlagen blaue Linien auf seinem Bildschirm aus: Die Metalle, deren Strahlung das Messgerät entdeckt. «Gallium», erkennt der Strahlenschützer Müller. Am Periodensystem an der Rückwand liest er die Halbwertzeit ab: Alle neun Stunden halbiert sich die Strahlungsintensität – ein vergleichsweise geringer Wert und damit kein Problem. Auch das Mangan und Kupfer gehen in Ordnung, ebenso der dünne Belag aus Gold. Müller nickt. «In drei Wochen solltet ihr die Hand wieder mitnehmen dürfen.»
Aus einem Guss?
Nach einer kurzen SandwichPause kommt die Hand wieder in die Strahlkammer, am nächsten Tag werden dann die Finger sowie die Gewandnadel drankommen. Inzwischen hat Brechbühl Vertrauen gefasst: David Mannes darf den Zylinder selbst tragen.
Am Ende hält das Resultat der Neutronentomografie eine Überraschung für Sabine Brechbühl bereit: «Es sieht danach aus, als wäre die Hand aus einem Guss gemacht», erzählt sie einige Tage später am Telefon. «Das wäre für diese Epoche erstaunlich.»
Eine kleine Enttäuschung ist jedoch auch dabei: Vom Klebstoff ist auf den Neutronenbildern nichts zu sehen. «Entweder wurde er nur an den Rändern genutzt», sagt Brechbühl, «oder vielleicht hat sich das organische Material schon zersetzt. Das wissen wir nicht.» Die 3500 Jahre alte Bronzehand hütet vorerst noch einige ihrer Geheimnisse.
Text: Joel Bedetti