Flüssigsalzreaktoren – die Erforschung einer Möglichkeit

Das Paul Scherrer Institut PSI ging im Jahr 1988 teilweise aus dem Eidgenössischen Institut für Reaktorforschung hervor. Heute ist das Thema Nukleare Energie und Sicherheit eines von vielen am PSI. Im Rahmen dieses Themenkomplexes erforscht eine kleine Gruppe von Wissenschaftlern mittels theoretischer Modelle mögliche zukünftige Kernreaktoren: die sogenannten Flüssigsalzreaktoren. Dies hilft, die Expertise der Schweiz bei heutigen und zukünftigen globalen Fragestellungen im Bereich Kernenergie und Reaktorsicherheit zu sichern.

Andreas Pautz,
Leiter des Forschungsbereichs Nukleare Energie und Sicherheit am PSI.
(Foto: Paul Scherrer Institut/Markus Fischer)
Jiri Krepel, Forschender in der Gruppe für Schnelle Reaktoren am PSI. (Foto: Paul Scherrer Institut/Markus Fischer)
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An Automaten richtet sich oft ein einfaches Schild an potentielle Diebe: Aufbrechen lohnt sich nicht; Kasse wird jeden Abend geleert. Und selbst wenn die Abschreckung nicht wirken sollte, wäre der Verlust für den Besitzer verschmerzbar. Dieser Grundgedanke lässt sich auf einen ganz anderen Bereich übertragen – auf die Sicherheit einer Klasse möglicher Kernkraftwerke der nächsten Generation.

Hier haben Forschende die Idee, die Gefahr selbst bei einem Unfall möglichst gering zu halten, indem die flüchtigen radioaktiven Substanzen täglich aus dem Reaktor entnommen werden. Oder sogar stündlich, konkretisiert Jiri Krepel die Vision. Krepel ist einer von acht Forschenden in der Gruppe für Schnelle Reaktoren am Paul Scherrer Institut PSI. Er und seine Kollegen beschäftigen sich sowohl mit den Potentialen als auch mit den Problemen von möglichen zukünftigen Kernreaktoren.

Reaktorforschung am PSI: gestern und heute

Das PSI ging 1988 aus dem Zusammenschluss des Schweizerischen Instituts für Nuklearforschung und des Eidgenössischen Instituts für Reaktorforschung hervor. Die Erforschung der Kernkraft ist also eine der beiden Wurzeln des heutigen Instituts. Allerdings hat sich das PSI seither stark weiterentwickelt und erweitert. Es ist heute ein Institut für Natur- und Ingenieurwissenschaften mit Forschung in den Bereichen Materie und Material, Mensch und Gesundheit sowie Energie und Umwelt. Innerhalb letzterem hat die Erforschung von Reaktoren weiterhin ihren Platz in einem inzwischen vielfältigen Strauss an Gebieten.

Die Reaktorforschung am PSI ist aus mehreren Gründen wichtig: Wir leisten dadurch einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit der heutigen Schweizer Kernkraftwerke, zu Fragen des Strahlenschutzes und zur Endlagerforschung. Durch diese zukunftsgerichtete Forschung bleiben wir am Ball, wenn es um Neu- und Weiterentwicklungen im Bereich Kernenergie geht. Und nur mit einer solchen Expertise wird die Schweiz auch in den kommenden Jahren auf Augenhöhe und angemessen in internationalen Gremien vertreten sein, wenn es um die globale Zukunft der Energieversorgung geht, erklärt Andreas Pautz, Leiter des Forschungsbereichs Nukleare Energie und Sicherheit am PSI.

Dies gilt auch und besonders in Zeiten, in denen Kernkraft in der Bevölkerung kritisch gesehen wird. Auf deren Sorgen haben die Schweiz und einige andere Staaten reagiert: Die Kernenergie soll langfristig anderen Energieformen weichen. Jedoch halten andere Länder – darunter auch viele europäische Staaten – weiter an der Stromerzeugung durch Kernenergie fest; aktuell werden in Nordamerika und Asien neue Kernkraftwerke gebaut. Zusätzlich gibt es gross angelegte, internationale Forschungsversuche, auch die Kernfusion zur Energiegewinnung nutzbar zu machen. Und schliesslich stehen eines Tages die Stilllegung und der Rückbau aller derzeit betriebenen Kernkraftwerke bevor. Für all diese Bereiche braucht es Experten und Expertinnen. Die Schweiz muss hier aktiv mitreden und mitgestalten können.

Daher ist die Schweiz auch Mitglied im Generation IV International Forum (GIF) – einem internationalen Verbund zur Erforschung und Entwicklung zukünftiger Kernkraftwerke der sogenannten IV. Generation. Kernkraftwerke der Generation IV zeichnen sich dadurch aus, dass sie hohen Anforderungen an Sicherheit, Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit entsprechen müssen. Im GIF sind 14 Staaten und Gemeinschaften Mitglied. Die Schweiz ist seit 2002 eines davon und wird im GIF durch das Paul Scherrer Institut PSI repräsentiert.

Faszination Flüssigsalz

Eine mögliche Bauart der Kernkraftwerke der Generation IV sind sogenannte Flüssigsalzreaktoren (Molten Salt Reactors, MSR). Sie sind das Spezialgebiet von Jiri Krepel. Mit theoretischen Modellrechnungen ist er an internationalen Kooperationen zur Erforschung der MSR beteiligt. MSR hätten drei Vorteile, erklärt Krepel. Erstens die höhere Sicherheit – dazu zählt die bereits erwähnte Möglichkeit, die Gefahr für die Umwelt minimal zu halten, indem flüchtige radioaktive Stoffe fortwährend entnommen und in einen Lagertank geleitet werden. Zusätzlich lassen sich MSR inhärent sicher gestalten: Bei einem Unfall kann das Flüssigsalz dank der Schwerkraft einfach in einen unter dem Kraftwerk liegenden und gekühlten Speichertank abgelassen werden, sodass einerseits der Reaktor abgeschaltet wird und andererseits der Brennstoff weiterhin in einem sicheren Behälter gekühlt bleibt, sagt Krepel. Das Ablassen kann sogar durch ein passives Ventil ausgelöst werden, bei dem ein fester Salzstopfen durchschmilzt. Die Details der nötigen Kühlung zu entwickeln, ist eine Aufgabe für Ingenieure, aber sie lässt sich auf jeden Fall so gestalten, dass sie ohne zusätzlichen Antrieb funktioniert – eine Option ist die Kühlung mit Luft, die sich durch natürliche Zirkulation bewegt und dabei die Wärme abtransportiert.

Zweitens liessen sich MSR mit verschiedenen Brennstoffen betreiben. Nicht nur das heute eingesetzte angereicherte Uran ist hierfür denkbar, auch Natur-Uran oder das Element Thorium, das im Erdreich rund drei Mal häufiger vorkommt als Uran, könnten in MSR verwendet werden. Dadurch hätten wir Brennstoffreserven für mehrere Jahrtausende, so Krepel.

Der dritte Vorteil: MSR lassen sich als eine Art Recyclinganlage für radioaktives Brennmaterial betreiben. Bis zu 95 % des abgebrannten Brennstoffs heutiger Reaktoren liesse sich in MSR einsetzen, so Krepel. Dies erhöht zum einen die Effizienz, also die Menge an Energie, die aus derselben Menge Ausgangsmaterial gewonnen werden kann. Zum anderen bliebe durch die Rezyklierung im Wesentlichen nur radioaktiver Abfall mit relativ kurzer Halbwertszeit übrig, der einen geringeren Aufwand bei der Lagerung erfordern würde.

Fachkräfte der Zukunft

Doch auch Krepel und seinen Kollegen ist bewusst, dass MSR, selbst wenn sie eines Tages gebaut werden sollten, noch weit in der Zukunft liegen:Bevor ein kommerzieller MSR irgendwo auf der Welt in Betrieb gehen kann, stehen den Forscherinnen und Ingenieuren, die daran international arbeiten, in jedem Fall noch 20 bis 30 Jahre Forschung und Entwicklung bevor, schätzt Forschungsbereichsleiter Pautz. Aber MSR sind ein so spannendes Thema, dass wir damit Nachwuchsforschende begeistern und ans PSI holen können, so Pautz weiter. Und die Schweiz braucht diesen Nachwuchs, um nicht nur heute, sondern auch in Zukunft nationale Experten und Fachleute im Bereich Kernenergie für grenzüberschreitende Problemlösungen zur Verfügung zu haben.


Hintergrund: Flüssigsalzreaktoren (Molten Salt Reactors, MSR)

Unter dem Begriff Flüssigsalzreaktoren (auch Salzschmelze-Reaktoren; Englisch: Molten Salt Reactors, MSR) versteht man eine Familie von einander ähnlichen Kernreaktoren. Gemeinsam ist ihnen das Konzept, dass sich ein Brennstoff gleichmässig verteilt in einer flüssigen Salzmischung von hoher Temperatur befindet.

Mit den MSR ist ein Reaktorkonzept angedacht, das nicht nur im Hinblick auf Sicherheitsaspekte während des Betriebs völlig anders aussieht, als die derzeit existierenden Kernreaktoren mit festem Brennstoff, sondern auch nuklearen Abfall anderer Art erzeugt. Dabei ist die Idee nicht neu. Bis etwa Mitte der 70er Jahre wurde daran in den USA, China und Japan intensiv geforscht. Ab diesem Zeitpunkt haben die USA dann keine staatlichen Forschungsgelder für die Entwicklung von MSR mehr zur Verfügung gestellt, sondern sich auf andere Reaktortypen fokussiert.

Bei der Erforschung und Entwicklung von MSR gilt es noch einige Herausforderungen zu meistern: Ein Problem ergibt sich zum Beispiel bei der Wahl der Materialien des Reaktorbehälters, der das Flüssigsalz umschliesst: Das flüssige Salz ist stark korrodierend, sodass Behälter und Leitungen aus sehr beständigen Materialien gefertigt werden müssen. Die für den Einsatz in MSR angedachten Nickel-Eisen-Legierungen werden zudem unter der Einwirkung freier Neutronen spröde. Auch stellt der Betrieb bei extrem hohen Temperaturen besondere Anforderungen an die einzusetzenden Materialien.

Des Weiteren ist die chemische Abtrennung der Spaltprodukte aus dem Flüssigsalz bisher nur im Labormassstab gemeistert worden; eine grosstechnische Umsetzung, wie sie für den Einsatz in MSR nötig wäre, steht noch aus. Und zu guter Letzt wird für die grundlegend neuen MSR auch ein komplett neuer Katalog an Sicherheitsanforderungen notwendig sein.


Text: Paul Scherrer Institut/Laura Hennemann
Weiterführende Informationen
Die Geschichte und die Funktion von MSR können auf der Webseite des Fernsehsenders Arte gut verständlich nachgelesen werden.
Kontakt/Ansprechpartner
Prof. Dr. Andreas Pautz
Leiter des Forschungsbereichs Nukleare Energie und Sicherheit,
Paul Scherrer Institut, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 34 97, E-Mail: andreas.pautz@psi.ch