Forschen und Tüfteln – Der SwissFEL im Jahr 2019

Die neueste Grossforschungsanlage am Paul Scherrer Institut, der SwissFEL, ist fertiggestellt. Im Januar 2019 begann der Regelbetrieb. Henrik Lemke, Leiter der Gruppe SwissFEL Bernina im Forschungsbereich für Photonenforschung am PSI, zieht eine erste Zwischenbilanz.

«Der Grundgedanke unserer Forschung ist oft eine mögliche Anwendung in den Computern der Zukunft.» Henrik Lemke, Leiter der Gruppe SwissFEL Bernina am PSI
(Foto: Paul Scherrer Institut/Mahir Dzambegovic)
Henrik Lemke an der Experimentierstation Bernina des SwissFEL
(Foto: Paul Scherrer Institut/Mahir Dzambegovic)
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Herr Lemke, Sie haben gerade einen Fachartikel veröffentlicht, in dem Sie von den bisherigen Erfahrungen mit dem SwissFEL berichten. Wie fällt Ihr Fazit aus?

Mit dem SwissFEL betreten wir am PSI Neuland. Er ist eine von insgesamt nur fünf vergleichbaren Anlagen dieser Grössenordnung weltweit. Das heisst, dass wir noch Erfahrungen sammeln müssen, weil wir vieles zum ersten Mal tun. Am 1. Januar dieses Jahres haben wir den Regelbetrieb aufgenommen. Es waren bereits Forschungsgruppen anderer Institutionen hier und haben erfolgreich Experimente bei uns durchgeführt, genauso wie Forschende des PSI selbst. Diese waren schon ein grosser Erfolg. Parallel zu diesem Betrieb optimieren wir die Anlage und den Experimentaufbau aber auch weiter. Dadurch schliessen wir zu den anderen vergleichbaren Anlagen auf und entwickeln zudem bestimmte Methoden zu Spezialitäten des SwissFEL.

Was optimieren Sie zum Beispiel?

Wir arbeiten beispielsweise an der Verbesserung der Röntgenpulse, die der SwissFEL für die Experimente liefert: Wir wollen eine noch höhere Energie, eine kürzere zeitliche Länge, sowie eine höhere Wiederholrate der Pulse erhalten. Da haben wir noch nicht 100 Prozent des Möglichen erreicht. Ausserdem optimieren wir zugunsten einer höheren Zeitauflösung, die sich mit unseren Messinstrumenten erreichen lässt. So haben wir Anfang 2019 einen PSI-eigenen Versuch durchgeführt, mit dessen Hilfe wir die Zeitauflösung ein gutes Stück verbessern konnten.

Das heisst, Sie führen auch Experimente durch, die ausschliesslich der Optimierung der Anlage dienen?

Selbstverständlich. Dies sind sogenannte Commissioning-Experimente. In diesen Fällen führen wir einen Versuch mit bereits bekanntem Ergebnis durch, um die Hardware und Performance zu testen und zu verbessern. Eine weitere Kategorie sind die Pilotexperimente, bei denen wir eine neue wissenschaftliche Fragestellung zum ersten Mal mit den neuen Fähigkeiten des SwissFEL angehen. An unserer Experimentierstation Bernina hatten wir Ende 2017 das allererste Pilotexperiment und im Jahr 2018 vier weitere. Diese waren alle erfolgreich und wir haben dabei sehr verschiedene Techniken erprobt. Aus dieser Erfahrung heraus haben wir Anfang 2019, also dieses Jahr, den SwissFEL für den Regelbetrieb geöffnet: Das heisst, Forschende in der Schweiz und in anderen Ländern sind von nun an eingeladen, neue Versuche, sogenannte Nutzer- oder Userexperimente, am SwissFEL durchzuführen.

Die Experimentierstation Bernina ist nach dem Graubündner Alpenpass benannt. Um welche Art Fragestellung geht es an der Bernina des SwissFEL?

Unser Thema ist primär die Materialforschung. Wir untersuchen neue Materialien, in denen wir Schaltvorgänge genauer sehen und kontrollieren können. Zum Beispiel das Hin- und Herschalten zwischen zwei Quantenzuständen. Stabile Zustände werden oft als Täler der Energie dargestellt und so symbolisiert der Bergpass Bernina den Übergang von einem Zustands-Tal zum anderen.

Der Grundgedanke bei dieser Forschung ist oft eine mögliche Anwendung in den Computern der Zukunft oder zur Datenspeicherung, die letztlich auf dem gezielten Hin- und Herschalten zwischen bestimmten Materialzuständen beruht. Dabei kann zum Beispiel ein bestimmter Zustand für Null und ein anderer für Eins stehen. Solche Schaltvorgänge geschehen ultraschnell. Anlagen wie der SwissFEL liefern zum ersten Mal eine passende ultrahohe Zeitauflösung, um diese Schaltmechanismen mit Röntgenstrahlen zu beobachten und zu untersuchen.

Erklären Sie uns den Begriff Quantenzustände etwas näher?

Von Quanten reden wir immer dann, wenn nur bestimmte abgestufte Zustände vorkommen können. Das trifft vor allem in der Welt des Allerkleinsten zu. Beispielsweise bei den Elektronenzuständen in einem Atom, die nur zwischen bestimmten Zuständen einer gewissen Energie hin- und herwechseln können. Das ist in etwa wie beim Spielwürfel: Er zeigt immer eine ganze Anzahl Augen – und eben nicht plötzlich einen Wert zwischen 2 und 3.

Diese Quantelung ist sehr nützlich etwa für die Informationstechnologie. Allerdings ist es bei einzelnen Atomen eher schwierig, diese Quantenzustände auszunutzen, da die Energieunterschiede sehr klein und daher instabil sind.

In Festkörpern ist dies anders: Hier sind die Atome sehr nah zusammengepackt, typischerweise in einem Kristallgitter. Dadurch können die einzelnen Quantenzustände quasi verschmelzen. Durch ein komplexes Zusammenspiel können dann sehr interessante makroskopische Quantenzustände auftreten. Auf diese Art entsteht beispielsweise in bestimmten Materialien der Zustand der Supraleitung. Nun sind sehr viele Atome involviert, wodurch die Energien, die zum Umschalten benötigt werden, grösser sind. Diese Quantenzustände sind damit stabiler und somit viel interessanter für mögliche Anwendungen.

Wir untersuchen also makroskopische Quantenzustände von Festkörpern. In geeigneten Materialien erzeugen oder verändern wir sie gezielt mit speziellen kurzen Laserpulsen. Direkt danach vermessen wir sie mit den ultrakurzen Pulsen des SwissFEL.

All das muss unvorstellbar schnell gehen, um nicht nur die jeweiligen Anfangs- und Endzustände, sondern auch die Zwischenstufen während der Entstehungs- oder Zerfallsprozesse abbilden zu können. Diese geben uns Einblick in den komplexen Mechanismus, der einen Quantenzustand stabilisiert. Und genau das ist die Stärke des SwissFEL: Diese notwendige hohe Zeitauflösung können wir hier erreichen.

Was passiert derweil an den anderen Experimentierstationen des SwissFEL?

Auch dort hat der Nutzerbetrieb begonnen. An der Strahllinie Alvra geht es um chemische und biologische Fragestellungen, und ähnlich wie bei uns werden dabei ultraschnelle Prozesse vermessen. Da wird beispielsweise beobachtet, wie Proteine zwischen Zuständen verschiedener biologischer Funktion wechseln.

Ausserdem wird schon an der dritten Strahllinie namens Cristallina gebaut. Eines der beweglichen Instrumente, die aktuell bei uns an der Bernina in Benutzung sind, soll dann dorthin umziehen: Das SwissMX-Setup. Das steht für Swiss Macro Crystallography, dessen Besonderheit ein Roboterarm ist. Dieser tauscht alle paar Minuten die Probe aus. Denn der SwissFEL-Strahl ist so intensiv, dass er bestimmte Proben punktuell zerstört. Um dann jedes Mal eine frische, intakte Probe einzusetzen, bräuchte ein Mensch mindestens fünf Minuten. Der Roboterarm dagegen macht das in 20 bis 30 Sekunden. Dadurch nutzen wir die wertvolle SwissFEL-Zeit durchgehend möglichst effektiv aus.

Was wird im Laufe des Jahres 2019 noch passieren am SwissFEL?

Es ist gerade ein sehr spannendes Jahr am SwissFEL. Alles, was ich bis jetzt erzählt habe, bezieht sich auf die Strahlquelle Aramis mit ihren drei Experimentierstationen Alvra, Bernina und künftig Cristallina. Nun wird auch die zweite Quelle namens Athos fertiggestellt. Während wir an Aramis sogenannte harte Röntgenstrahlung haben, wird der SwissFEL an Athos weiche Röntgenstrahlung liefern. Der erste Test von Athos steht für Ende 2019 an.

Konkret haben wir in der Bernina-Gruppe dieses Jahr noch einiges vor: Wir wollen Experimente bei noch kälteren Temperaturen durchführen als bisher. Das heisst: Wir wollen routinemässig unter 20 oder sogar unter 10 Kelvin kommen. Wobei null Kelvin den absoluten Temperaturnullpunkt ist, also minus 273 Grad Celsius.

Ausserdem wollen wir die Zeitauflösung, die wir mit unseren Experimenten erreichen, weiter erhöhen. Aktuell liegen wir bei etwa 100 Femtosekunden Zeitauflösung. Eine Femtosekunde ist eine Billiardstelsekunde. Die Zeitauflösung gibt den zeitlichen Abstand zweier aufeinanderfolgender Bilder in unserem virtuellen „Film“ an, der uns die Prozesse in der Probe sichtbar macht. Eine höhere Zeitauflösung bedeutet, diesen zeitlichen Abstand noch zu verringern, also weniger Femtosekunden zu erhalten. Ich denke, dass wir bis Ende 2019 rund 50 Femtosekunden erreichen können. Unser anspruchsvolles Ziel für den SwissFEL ist es, sogar unter 10 Femtosekunden zu gelangen.

Unter anderem optimieren wir auch die Software, die unsere riesige Datenmenge verarbeiten kann, sobald sie anfällt. Die Forschenden in der Gruppe von Bernd Schmitt hier am PSI bauen wirklich phänomenale Detektoren, um die uns die Welt beneidet. Aber ein Qualitätsmerkmal ist auch, dass sie in kurzer Zeit sehr viele Daten produzieren, bis zu mehreren Gigabytes pro Sekunde! Diese müssen kontinuierlich „weggeschafft“ und verarbeitet werden, damit es nicht zum Datenstau kommt. Dafür braucht es enorm schnelle Netzwerke und effektiv verarbeitende Hard- und Software.

Die Untersuchung von Proben und das Verbessern der Experimentierstation gehen also Hand in Hand?

Ja, so kann man es sagen. Wir machen zwar schon seit Ende 2017 neue Forschung, seit diesem Jahr auch gemeinsam mit externen Forschenden. Aber parallel dazu werden wir vermutlich nie aufhören, am SwissFEL und an unserer Bernina herumzutüfteln.

Interview: Paul Scherrer Institut/Laura Hennemann

Kontakt/Ansprechpartner

Dr. Henrik Lemke
Leiter der Forschungsgruppe SwissFEL Bernina
Paul Scherrer Institut, Forschungsstrasse 111, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 49 82, E-Mail: henrik.lemke@psi.ch

Originalveröffentlichungen

Experimental station Bernina at SwissFEL: condensed matter physics on femtosecond time scales investigated by X-ray diffraction and spectroscopic methods
G. Ingold, R. Abela, C. Arrell, P. Beaud, P. Böhler, M. Cammarata, Y. Deng, C. Erny, V. Esposito, U. Flechsig, R. Follath, C. Hauri, S. Johnson, P. Juranic, G. F. Mancini, R. Mankowsky, A. Mozzanica, R. A. Oggenfuss, B. D. Patterson, L. Patthey, B. Pedrini, J. Rittmann, L. Sala, M. Savoini, C. Svetina, T. Zamofing, S. Zerdanea, and H. T. Lemke
Journal of Synchrotron Radiation Volume 26, Part 3, May 2019, Pages 874-886

DOI: 10.1107/S160057751900331X