Geothermie als Option behalten

Eine vom Paul Scherrer Institut PSI koordinierte Studie des Zentrums für Technologiefolgenabschätzung TA-Swiss empfiehlt, die Tiefengeothermie in der Schweiz weiter voranzutreiben. Die Energieressourcen im Untergrund sind sehr gross, umweltfreundlich zu gewinnen und jederzeit verfügbar, begründen die Studienautoren ihren Befund. Das Erdbebenrisiko und die noch zu hohen Kosten bleiben Herausforderungen, die die Gesellschaft gegen den Nutzen der Geothermie abwägen muss.

Stefan Hirschberg (4. von links) mit Forschenden des Labors für Energiesystemanalysen. Foto: Scanderbeg Sauer Photography.

Die Energiestrategie 2050 des Bundes sieht einen starken Ausbau der neuen erneuerbaren Energiequellen, eine immer effizientere Energienutzung und den schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie vor. Gleichzeitig werden ehrgeizige Klimaziele angepeilt. Bis 2050 soll die Geothermie mit 4 bis 5 Terawattstunden pro Jahr zum wichtigen Pfeiler der Schweizer Stromversorgung werden. Das würde rund 6 bis 8 Prozent der für 2050 anvisierten Schweizer Stromnachfrage von rund 60 Terawattstunden ausmachen.

Die Erwartungen an die Geothermie sind also hoch, doch die Technologie muss sich in der Schweiz noch bewähren. Ein weltweit beachtetes Geothermie-Projekt in der Stadt Basel scheiterte im Jahr 2008 daran, dass bei den Bohrungen spürbare Erdbeben ausgelöst wurden. Ein ähnliches Schicksal ereilte im Jahr 2013 ein weiteres Geothermie-Projekt in Sankt Gallen. Hier wollte man anders als in Basel nicht die Wärme aus trockenem, künstlich zerklüftetem Gestein entnehmen. Vielmehr setzte man in Sankt Gallen auf ein vorhandenes Warmwasser-Reservoir im tiefen Untergrund. Jedoch bedeuteten auch hier die ausgelösten Erschütterungen das Ende des Vorhabens.

Das Zentrum für Technologiefolgeabschätzung TA-Swiss hat nun eine Studie vorgelegt mit dem Ziel, Chancen und Risiken der Tiefengeothermie in der Schweiz umfassend und ausgewogen darzustellen. Koordiniert wurde die bereits als Referenzwerk geltende Studie vom PSI-Forscher Stefan Hirschberg, Leiter des Labors für Energiesystemanalysen am PSI. Das Forschungskonsortium bestand aus 32 Forschenden des PSI, der ETH Zürich, der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und des Instituts Dialogik der Universität Stuttgart. „ Wir haben für diese Studie Fachleute aus vielen verschiedenen Disziplinen wie Geologie, Ökonomie, Ingenieur-, Umwelt- und Rechtswissenschaften zusammengebracht. Das allein macht die Studie weltweit einmalig“, sagt Hirschberg. Und er fügt hinzu: „Wir haben mit dieser Studie nicht bloss die bisherigen Erfahrungen in der Geothermie analysiert, sondern auch neues Wissen erarbeitet, das die Rahmenbedingungen für die zukünftige Entwicklung dieser Technologie absteckt. So haben wir etwa ein neues Modell zur Kostenberechnung entwickelt und gekoppelt damit ein Modell zur Umweltbewertung geschaffen.“ Beide Modelle basieren auf physikalischen Parametern wie der Temperaturgradient im Untergrund, die Bohrlochtiefe und die Wasserdurchlässigkeit des Gesteins. Zudem zeigt die Studie, dass die Gewichtung unterschiedlicher subjektiver Präferenzen die Bewertung der Geothermie beeinflusst. Wird das Erdbebenrisiko höher gewichtet, schneidet die Geothermie schlechter ab als andere neue Erneuerbare. Liegen die Prioritäten hingegen bei anderen Risiken, Klimaschutz, Toxizität für den Menschen und Metallverbrauch, dann erweist sich die Geothermie als den Klassenprimus.

Die Vorteile der Geothermie

Die Autoren der Studie sehen in der Tiefengeothermie eine enorme heimische Ressource mit dem Potenzial, umweltfreundlich und zu jeder Jahres- und Tageszeit die Grundlast des schweizerischen Energiebedarfs abzudecken. Die im Schweizer Untergrundgestein gespeicherte Wärmeenergie beläuft sich nach Schätzungen auf das Hundertausendfache des heutigen einheimischen Energieverbrauchs. Diese immensen Energievorräte werden dauernd durch geologische Prozesse aufgefüllt. Sie sind also in der Tat praktisch unerschöpflich. Allerdings müsse noch durch gezielte Erkundung geklärt werden, wie viel von diesen gigantischen Ressourcen tatsächlich als Reserven eingestuft werden können. Unter Reserven verstehen die Fachleute jene Ressourcen, die nach dem aktuellen Stand der Technik wirtschaftlich und mit gesellschaftlicher Akzeptanz genutzt werden können. Die Geothermie-Reserven der Schweiz, stellen die Studienautoren fest, dürften unter Berücksichtigung technischer, politischer und rechtlicher Umstände um mehrere Grössenordnungen kleiner sein als die geschätzten Ressourcen.

Trotzdem bleibt die Geothermie im Vergleich zu anderen neuen Erneuerbaren eine wertvolle Energiequelle. Die Erdwärme kann nämlich anders als Wind und Sonne unabhängig von der Saison, rund um die Uhr angezapft werden. Die für diese Studie durchgeführten Lebenszyklusanalysen ergeben zudem, dass Strom aus Tiefengeothermie mit sehr niedrigen CO2-Emissionen belastet wäre.

Hürden und Risiken

Für die Gewinnung von Energie aus heissem Untergrundwasser – das St. Galler Konzept – müssen mehrere Voraussetzungen gleichzeitig erfüllt sein. Man muss nämlich ein genügend grosses, sich erneuerndes Wasserreservoir mit der nötigen Temperatur von mindestens 100 Grad Celsius in einer Tiefe von 3 bis 5 Kilometern vorfinden. Die Studie hält es für wenig wahrscheinlich, dass diese Bedingungen an vielen Standorten in der Schweiz auftreten. Die Zukunft der Schweizer Geothermie wird daher eher im petrothermalen Konzept liegen, wie es in Basel angewandt wurde. Dabei wird die Energie im Grunde aus trockenem Gestein gewonnen, dessen Wärme auf eingepumptes Wasser übertragen wird.

Die grösste technische Herausforderung für die petrothermale Tiefengeothermie bleibt laut der Studie das Anlegen des nötigen Rissnetzwerkes in der Tiefe. Das Gestein im Untergrund ist selten so zerklüftet, dass es Wasser durchlässt. Zirkulierendes Wasser ist aber eine Voraussetzung für die Wärmeabnahme in diesem Konzept. Um die Wärmeübertragung zu optimieren, wird deshalb Wasser in den Untergrund gepresst, um das Gestein aufzubrechen. Wasser, das durch ein Bohrloch hineingepumpt wird, kann dann durch die künstlichen Risse fliessen, sich erhitzen und durch ein zweites Bohrloch hinaufgepumpt werden. Das oben ankommende heisse Wasser wird zu Dampf, mit dem eine Turbine und durch diese ein Generator angetrieben wird. Beim Anlegen des Wärmetauschers im Untergrund können Erdbeben unterschiedlicher Stärke ausgelöst werden. Dieses Risiko, so die Studienautoren, kann man nicht ausschliessen, sondern höchstens begrenzen. Umso wichtiger sei deshalb ihre transparente und umfassende Kommunikation an die Bevölkerung, einschliesslich der vorgesehenen Strategien zum Risikomanagement.

In wirtschaftlicher Hinsicht belasten die Bohrkosten die Bilanz der Geothermie am schwersten. Die Bohrkosten sind zudem ein hoch unberechenbarer Faktor, denn man kann kaum voraussagen, wie viele Bohrungen nötig sein werden, bis an einem Standort nutzbare Wärme gewonnen werden kann. Die Studie schätzt, dass eine schrittweise Optimierung der Bohrtechnik das Potenzial für spürbare Kostensenkungen birgt. Langfristig könnte durch einen Durchbruch in der Bohrtechnik die nächste dramatische Kostenreduktion folgen. Deutlich senken liessen sich die Kosten dadurch, dass man neben dem Strom auch die Wärme verkauft, die in Geothermieanlagen anfällt. Dies wiederum wäre vor allem dann sinnvoll, wenn die Anlagen in der Nähe bestehender Fernwärmenetze, also in dichtbesiedelten Stadtgebieten, errichtet werden. Hier muss also der wirtschaftliche Nutzen gegen das erhöhte Schadensrisiko bei Erdbeben und den Eingriff ins Landschaftsbild sowie die Lärmbelastung abgewogen werden.

Schnellere Bewilligungsverfahren

Die Nutzung des Untergrunds wird in der Schweiz durch die Kantone geregelt. Dabei wendet jeder Kanton ein anderes Modell zur Prüfung von Gesuchen für Geothermieprojekte an. Um den Bewilligungsprozess effizienter zu gestalten, empfiehlt die Studie, dass die Kantone die Gesuche für Geothermie-Projekte nach dem sogenannten Konzentrationsmodell prüfen. In diesem Fall koordiniert und vereinfacht eine einzelne kantonale Behörde das Genehmigungsverfahren in Abstimmung mit allen anderen zuständigen kantonalen Stellen. Eine allfällige Genehmigung würde dann gebündelt erteilt werden.

Der Bund hat heute keine wesentlichen Kompetenzen, um die Geothermie zu regulieren. Die Studienautoren betrachten ihn jedoch als geradezu prädestiniert, durch Beratung und durch die Einrichtung einer Bundesplattform ohne rechtliche Zuständigkeiten, eine Art „weiche“ Gesetzgebung zu schaffen. „So könnte der Bund den Kantonen bei Umsetzung und Vollzug ihrer jeweiligen Massnahmen, Verordnungen und Richtlinien tatkräftig zur Seite stehen“, schreiben die Autoren.

Förderung notwendig

Um den Geothermiemarkt zu verbreitern und interessierte Unternehmen zu mehr Investitionen in Forschung und Entwicklung anzuspornen, sollte der Staat Förderbeiträge bereitstellen. Neben den aktuellen Förderinstrumenten wie den Risikogarantien und den Einspeisevergütungen sollten in Zukunft auch die Erkundung und Charakterisierung von Wärmequellen, die Technologieentwicklung und Demonstrationsprojekte finanzielle Unterstützung erhalten.

Angesichts der erheblichen Unsicherheiten über die potenziellen nutzbaren Geothermiereserven der Schweiz, regen die Forschenden an, eine nutzungsbetriebene Forschungsinitiative in Verbindung mit einem Programm aus Pilot- und Demonstrationsprojekten zu starten. Ziel dieser Programme soll es sein, den Bau einer petrothermalen Geothermieanlage auf kommerzieller Skala zu ermöglichen. „Will man die für die Geothermie gesteckten Ziele erreichen, sollten zwei bis drei solche Demonstrationsanlagen in den kommenden 10 bis 15 Jahren in Betrieb gehen. Das ist auch die Schlussfolgerung der Roadmap für Tiefengeothermie, die das Kompetenzzentrum des Bundes für Forschung zur Stromversorgung (SCCER Supply of Electricity) ausgearbeitet hat “, sagt Hirschberg.

Text: Paul Scherrer Institut/Leonid Leiva

Weiterführende Informationen
Labor für Energiesystemanalyse am PSI
Kontakt / Ansprechpartner
Dr. Stefan Hirschberg, Leiter des Labors für Energiesystemanalyse, Paul Scherrer Institut,
Telefon: +41 56 310 29 56, E-Mail: stefan.hirschberg@psi.ch
Originalveröffentlichung
Energy from the Earth. Deep Geothermal as a ressource for the future?
Stefan Hirschberg, Stefan Wiemer, Peter Burgherr (Hrsg), TA Swiss.