Hüllrohre und ihre Eigenschaften

Eines der Forschungsfelder am PSI ist der Themenbereich Energie. Wiederum ein Teil hiervon ist derjenige nuklearer Energie und Sicherheit. Und eine der hier angesiedelten Forschungsgruppen beschäftigt sich mit Nuklearbrennstoffen. Johannes Bertsch ist Leiter dieser Gruppe und erforscht sogenannte Hüllrohre und ihre Beschichtungen.

Johannes Bertsch mit einem Hüllrohr: Der Wissenschaftler erforscht am PSI die Sicherheit dieser Bauelemente, die in Kernkraftwerken weltweit eingesetzt werden.
(Foto: Paul Scherrer Institut/Markus Fischer)

Johannes Bertsch könnte den Aufbau eines Kernkraftwerks vermutlich auch mit verbundenen Augen aufzeichnen. Vor allem wenn es um den Kern der Anlage geht: Wie viele Brennstäbe, bestehend aus welchen Materialien, sind in wie vielen Bündeln angeordnet – er hat die Zahlen, Masse und Fakten im Kopf. Bertsch ist Leiter der Forschungsgruppe für Nuklearbrennstoffe am PSI und sein Spezialgebiet sind die Hüllen der Brennstäbe: die sogenannten Hüllrohre.

Die Hüllrohre umschliessen die Energiequelle des Kraftwerks, das spaltbare Uran. Anders gesagt: Das Uran wird als Keramik zu tablettenförmigen Pellets gepresst; diese Pellets werden in die Hüllrohre gestapelt. Die Hüllrohre sind typischerweise vier Meter lang, haben einen Durchmesser von einem Zentimeter und eine Wanddicke von nur 0,6 Millimetern – es sind also sehr lange, etwa fingerdicke Rohre aus dünnem Spezialblech. In einem Kernreaktor befinden sich üblicherweise mehrere Zehntausend davon.

Die Hüllrohre sind so konzipiert, dass sie im Betrieb hohen Temperaturen und Druck standhalten, dass sie auch nach der Entnahme der abgebrannten Brennstäbe aus dem Reaktor keine Risse bekommen und unbeschadet den Transport ins Zwischenlager und später einmal in ein Endlager überstehen. Darum bestehen die Hüllrohre nicht aus irgendeinem Blech, sondern aus einer sehr fein austarierten Metall-Legierung: zu 98 % Zirkonium kommen geringe, wohlüberlegte Mengen an Chrom, Eisen, Nickel, Niob und Zinn. Diese spezielle Legierung wird nach ebenso speziellen Verfahren hergestellt: geschmolzen, kontrolliert abgekühlt, gewalzt, gehämmert und wärmebehandelt. So entsteht ein Metall, das mikroskopisch betrachtet aus winzigen kristallinen Körnern besteht, deren Grösse ebenso optimiert ist wie ihre innere kristalline Ausrichtung. Da steckt jahrzehntelange Forschung und Optimierung dahinter, so Bertsch.

Optimiert wird heute dabei vor allem auf ein Anliegen hin: Wasserstoff soll möglichst wenig ins Metall der Hüllrohre eindringen. Denn dort geht der Wasserstoff mit den Metallatomen Verbindungen ein, die das Material der Hüllrohre schwächen könnten.

Der Wasserstoff selbst stammt aus dem Wasser, das – zumindest in den Schweizer Kernkraftwerken – essenziell ist. Im Betrieb umgibt das Wasser dauerhaft die Brennstäbe, kühlt sie und transportiert die Wärme ab, die bei der Spaltung der Atomkerne entsteht. Dadurch entsteht Wasserdampf, der grosse Turbinen antreibt, wodurch letztendlich das Kernkraftwerk Strom produziert.

Der Wasserstoff lässt sich also nicht vermeiden. Doch was geschieht, wenn sich die kleinen Atome des Wasserstoffs ins Atomgitter der Metalllegierung hineinmogeln?

Wie Zucker im Kaffee

Zunächst ist der Wasserstoff darin gelöst, sagt Bertsch. Obwohl es sich um einzelne Atome in einem festen Material handelt, sprechen die Forschenden von einer Lösung. Das ist tatsächlich wie Zucker im Kaffee, so Bertsch weiter. Und aus dem Kaffee kennt man das: Wenn es viel zu viel Zucker ist oder wenn der Kaffee zu kalt ist, löst sich der Zucker nicht mehr und sammelt sich am Tassenboden.

Hier hört die Analogie auf, einen Tassenboden gibt es nicht. Was tatsächlich passiert: Der Wasserstoff bewegt sich nicht mehr frei durch das Material, sondern geht mit den Metallatomen eine chemische Wasserstoff-Metall-Verbindung ein. Er bildet ein Hydrid, wie das Forschende nennen.

Das Problem dieser Hydride: Sie bilden im Metall des Hüllrohrs längliche, plättchenartige Strukturen, die kreuz und quer verlaufen. Und das sind Schwachstellen im Material.

Bildgebung mit Neutronen macht Wasserstoff sichtbar

Die PSI-Forschenden um Johannes Bertsch beschäftigen sich mit allem rund um diese Hydride. Wie verändern sie die Stabilität des Materials? Wie lassen sie sich minimieren? Wie lässt sich sicherstellen, dass alle Hüllrohre jederzeit intakt bleiben? Wir vergrössern das Wissen, das es in diesem Zusammenhang gibt, sagt Bertsch.

Dafür nutzen er und seine Kolleginnen und Kollegen ein Bildgebungsverfahren mittels Neutronen. Das sogenannte Neutronen-Imaging ist ein am PSI perfektioniertes Verfahren, das von einer eigenen PSI-Arbeitsgruppe an der hiesigen Neutronenquelle SINQ mit einem der weltweit besten Neutronenmikroskope regelmässig durchgeführt wird. Verschiedenste Arten von Untersuchungsgegenständen lassen sich damit durchleuchten.

Zirkonium ist quasi durchsichtig für Neutronen. Das begründet dessen Einsatz als Hauptbestandteil der Hüllrohre, denn im Kernkraftwerksbetrieb sind freie Neutronen ein erwünschtes Produkt. Zudem erweist sich dies als Vorteil beim Neutronen-Imaging. Denn ganz im Gegensatz zum Zirkonium zeigt sich Wasserstoff in den Neutronenbildern als dunkler Kontrast.

Schutzschicht hilft möglicherweise auch gegen Hydride

In einem ihrer neuesten Forschungsprojekte beschäftigt sich Bertschs Arbeitsgruppe mit der zusätzlichen Schutzschicht von Hüllrohren: Sogenannte Liner werden weltweit und insbesondere in der Schweiz eingesetzt. Sie schützen die Hüllrohre gegen mechanische Beschädigungen sowie gegen Oxidation.

Liner haben, so fanden Bertsch und seine Kollegen heraus, nebenbei einen positiven Effekt bei der Vermeidung der Hydride: Hüllrohre, die über eine solche Schutzschicht verfügen, weisen darunter weniger Hydride auf. Der Wasserstoff dringt vermehrt in diese Beschichtung ein und wird schon dort gestoppt, fasst Bertsch die Untersuchungsergebnisse zusammen. Man kann sagen: Der Liner ist wie ein Schwamm für den Wasserstoff. Als würde eine Person im Bademantel in den Nieselregen gehen: Das Frottee saugt das Wasser auf, die Haut bleibt trocken.

Da bereits klar ist, dass Hydride die Hüllrohre mechanisch schwächen, wagen die Forschenden nun die vorsichtige Aussage, dass die Beschichtungen, die ursprünglich aus anderen Gründen eingeführt wurden, vermutlich die Hüllrohre auf lange Sicht stabiler machen.

Letztlich ist unser Auftrag, besser zu verstehen, wie der Betrieb sowie die Handhabung von abgebrannten Brennstäben noch sicherer werden, so Bertsch. Dafür untersuchen wir die Details der Struktur im Inneren des Materials. Wie die Hydride entstehen, wie sie sich verteilen, wie sie das Material schwächen – und vor allem: wie sie sich minimieren lassen.

Internationales Interesse

Die umfassende Erforschung der Hydride betreiben Bertsch und sein Team in erster Linie für die Sicherheit der Nuklearanlagen in der Schweiz. Doch auch international stösst ihre Arbeit auf grosses Interesse. Wir erhalten Anfragen aus Deutschland, wo ja nun die Reaktoren runtergefahren werden, und wir sind schon in die USA eingeladen worden, erzählt Bertsch. Hydride in Hüllrohren sind in der Forschungswelt tatsächlich ein heisses Thema.

Text: Paul Scherrer Institut/Laura Hennemann

Kontakt/Ansprechpartner
Dr. Johannes Bertsch
Leiter der Forschungsgruppe für Nuklearbrennstoffe
Paul Scherrer Institut, Forschungsstrasse 111, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 41 73, E-Mail: johannes.bertsch@psi.ch

Prof. Dr. Markus Strobl
Leiter der Forschungsgruppe für Neutronen Imaging und angewandte Materialien
Paul Scherrer Institut, Forschungsstrasse 111, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 59 41, E-Mail: markus.strobl@psi.ch