Interview mit Gabriel Aeppli

«Im Kampf gegen das Virus zählt jeder Tag»

Die Forschungspraxis am PSI hat sich seit Ausbruch der Corona-Pandemie zwar verändert, steht aber nicht still. Gabriel Aeppli, Leiter des PSI-Forschungsbereichs für Photonenforschung, spricht über die besondere Bedrohung, die Covid-19 darstellt, und darüber, wie PSI-Forschende an der SLS und womöglich bald auch am SwissFEL dieses neue Virus untersuchen.

Gabriel Aeppli, Leiter des Forschungsbereichs Photonenforschung
(Foto: Scanderbeg Sauer Photography)

Herr Aeppli, wir führen dieses Gespräch per Videotelefonie und Sie haben sich virtuell ein hübsches Foto der kalifornischen Golden Gate Bridge in den Hintergrund gesetzt. Aber wo sind Sie tatsächlich?

Gabriel Aeppli: Tatsächlich bin ich in meiner Wohnung in Zürich. Wie fast alle am PSI arbeite auch ich jetzt viel im Home-Office. Aber ich gehe mindestens zwei Mal pro Woche ans Institut, um mit den Leuten an den Strahllinien zu sprechen. Natürlich halten wir dabei immer Abstand zueinander. Aber die Mitarbeitenden sollen wissen, dass ich mich weiter um sie kümmere und beispielsweise ihre Fragen direkt beantworte.

Wie läuft derzeit die Forschung an den beiden Röntgenlichtquellen des PSI, also der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS und dem Freie-Elektronen-Röntgenlaser SwissFEL?

Im Zuge der Social-Distancing-Massnahmen haben wir im März den SwissFEL heruntergefahren, die SLS dagegen haben wir weiterlaufen lassen. Es schien uns damals schwieriger, den SwissFEL in Betrieb zu halten, ohne dass die Mitarbeitenden sich dort bei der Arbeit zu nahe kommen. Das beinhaltet leider, dass die Arbeiten an der nächsten SwissFEL-Strahllinie «Athos», bei der die Inbetriebnahme läuft, verlangsamt werden. Gerade dort brauchte es für bestimmte Prozesse viele Menschen am selben Ort. Darum haben wir die Prozesse überarbeitet. Und wir besprechen noch, wie wir den SwissFEL demnächst wieder hochfahren können.

Dann könnte also auch am SwissFEL zum Corona-Virus geforscht werden?

Ja, das ist möglich bei Experimenten, die die Social-Distancing-Massnahmen befolgen und die ferngesteuert durchgeführt werden können. Dann würden wir sowohl am Aufbau von «Athos» weiterarbeiten als auch an den bestehenden SwissFEL-Strahllinien wieder Experimente machen. Diese Strahllinien stünden dann natürlich mit höchster Priorität aktueller Forschung am Corona-Virus zur Verfügung.

Wie sehen Sie persönlich die Dringlichkeit dieser Forschung?

Diese Forschung ist sehr dringlich, und daher richten wir alle unsere Anstrengungen darauf aus, mit unseren Mitteln zu helfen.

Bei der SLS wurde sogar die sonst übliche Pause während der Osterfeiertage verschoben.

Ja, und das ist gut so. Sicher kostet der Betrieb der SLS Geld. Und dass wir nun den Oster-Shutdown auf unbestimmte Zeit verschoben haben, kostet natürlich zusätzlich. Dennoch ist das kein Vergleich zu den Kosten in ganz anderen Bereichen, beispielsweise die derzeit täglichen Wirtschaftsausfälle in der Schweizer Hotellerie. Oder gar insgesamt die Wirtschaftsausfälle weltweit. Wenn wir hier am PSI also dazu beitragen können, dass Medikamente oder ein Impfstoff schneller gefunden werden, müssen wir das unbedingt tun. Am Ende wird es jeder einzelne Tag wert sein, den wir im Kampf gegen dieses Virus gewinnen.

Sehen die anderen PSI-Forschenden das auch so?

Ja, erfreulicherweise kann ich das wirklich bestätigen. Die PSI-Mitarbeitenden haben alle verstanden, dass es eine Krise gibt, und haben alles umgesetzt, was nötig war, um dieser neuen Situation zu begegnen. Die allgemeine Stimmung ist positiv. Unter den nun geänderten Umständen arbeiten sie fleissig weiter. Die Forschenden haben auch keine Angst, ins Labor zu kommen, wenn es nötig ist. Und ich habe gesehen, dass PSI-Forschende aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen sofort angefangen haben zu überlegen, wie ihr Fachwissen helfen kann und wie sie ihre Wissenschaft in die Dienste der Coronavirus-Forschung einbringen können.

Denken Sie, von den jetzigen Änderungen im PSI-Betrieb werden sich manche dauerhaft etablieren?

Ja, im Hinblick auf digitale Lösungen wie Videotelefonie auf jeden Fall. Ich denke, was wir aus dieser ganzen Geschichte lernen, ist, dass wir seltener das Flugzeug nehmen müssen. Und das ist wirklich gut im Hinblick auf den CO2-Ausstoss. Denn sowohl dieses Virus als auch der Klimawandel sind grosse Herausforderungen. Aus meiner nüchternen Sicht als Wissenschaftler würde ich sogar sagen: Das Virus ist schlimm für viele Menschen, aber nicht existenziell für die Menschheit. Der Klimawandel dagegen ist existenziell für die ganze Menschheit. Das Virus hat uns jetzt gezwungen, so zu leben, dass wir die Ressourcen des Planeten schonen, zum Beispiel indem wir weniger reisen. Das ist quasi eine Art Übung. Es hat uns gezwungen, Massnahmen zu ergreifen, die wir auf lange Sicht vielleicht sowieso einsetzen müssen, um effektiv den Klimawandel zu bekämpfen. Nur gegen den Klimawandel haben wir sie zu lange nicht ergriffen, weil wir – reiche Länder wie die Schweiz – nicht in einer vergleichbaren, unmittelbaren Notfalllage stecken, wie es jetzt in Bezug auf das Coronavirus der Fall ist.

Betrifft das auch Sie selbst?

Auf jeden Fall. Vor der Corona-Pandemie war ich alle zwei Wochen im Flugzeug. Und ich vermisse es nicht. So vieles lässt sich so gut auch digital erledigen. Vor ein paar Tagen hatten wir per Videokonferenz einen Vortrag mit 40 oder 50 Teilnehmenden. Das hat sehr gut funktioniert!

Interview: Paul Scherrer Institut/Laura Hennemann

Kontakt/Ansprechpartner:

Prof. Dr. Gabriel Aeppli
Leiter des Forschungsbereichs Photonenforschung
Paul Scherrer Institut, Forschungsstrasse 111, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon +41 56 310 42 32, E-Mail: gabriel.aeppli@psi.ch [Deutsch, Englisch, Französisch]

Weiterführende Informationen

Forschung zu Covid-19