Jährlich fördert das PSI-Founder-Fellowship-Programm neue Ideen für innovative Anwendungen mit bis zu 150 000 Schweizer Franken. Ob intelligente Gläser oder Musikrestauration am Synchrotron – die daraus entstehenden Spin-offs sind so vielfältig wie die Forschung am PSI.
Glas ist keine Erfindung der Neuzeit – tatsächlich belegen archäologische Funde, dass dieser Werkstoff bereits seit über 5000 Jahren von den Menschen hergestellt und genutzt wird. Dabei dient Glas nicht nur als Gefäss für edle Tropfen – auch optische Linsen, um die kleinsten oder weit entfernte Objekte sichtbar zu machen, werden aus Glas geschliffen. Unsere Kommunikation fliesst durch optische Kabel. Fenster halten Wind und Regen fern und lassen Licht passieren. Das durchscheinende Material findet Anwendung in zahlreichen Bereichen unserer Zivilisation. Doch Glas ist nicht gleich Glas – wir passen es unseren Bedürfnissen an und erfinden es quasi ständig neu.
Auch Barbara Horvath arbeitet mit Glas. Die Materialwissenschaftlerin ist Kandidatin des PSI-Founder-Fellowship-Programms und arbeitet seit August dieses Jahres an der Gründung ihres Spin-offs Inveel. Mittels winziger Nanodrähte will die Jungunternehmerin Elektroden auf Glas drucken, um damit beispielsweise dessen optische und elektrische Eigenschaften zu verändern.
Intelligentes Glas
«Eine mögliche Anwendung für unsere Technologie ist sogenanntes Schaltglas – auch intelligentes Glas genannt», erklärt Horvath. «Das ist ein spezielles Material, das sich automatisch oder per Knopfdruck milchig, durchsichtig, dunkel oder farbig machen lässt.» Für diese Eigenschaft sorgt eine dünne nanostrukturierte Beschichtung, welche sich wie in einem Sandwich zwischen zwei Glasscheiben befindet. Bei der Abgabe von elektrischen Ladungen an diese Schicht wird sie optisch aktiv und kann dadurch ihre Farbe verändern. Dies sorgt nicht nur für Privatsphäre auf Knopfdruck, sondern kann auch zur Temperaturregulierung in Gebäuden genutzt werden.
Die Erfindung ist nicht neu. Für Fenster, beispielsweise von Bürogebäuden oder Flugzeugen, werden diese Gläser bereits hergestellt. Allerdings ist die Produktion sehr aufwendig und dementsprechend kostspielig. «Um die schwachen elektrischen Ladungen an das Schaltglas abgeben zu können, müssen dünne Drähte untergebracht werden – so dünn, dass sie nicht die Sicht beeinträchtigen», erklärt Horvath.
Während ihrer Tätigkeit am PSI entwickelte Horvath zusammen mit ihrem Gruppenleiter Helmut Schift eine Methode zur Herstellung derartig feiner Leiterbahnen. «Unsere Methode ermöglicht es, Drähte mit einem Durchmesser von etwa hundert Nanometern zu produzieren», erklärt die Wissenschaftlerin. Die Methode funktioniert ähnlich wie ein Drucker: Die Nanopartikel werden als flüssige Tröpfchen aufgetragen und verschmelzen zu linienförmigen Strukturen. Damit lassen sich grosse Flächen mit feinsten, parallel verlaufenden Leitern bedrucken. Durch die Verwendung von leitfähigen Materialien wie Silber und Gold können so schnell und günstig verschiedenste Oberflächen mit unsichtbarer Elektronik ausgestattet werden.
Schaltbare Gläser sind dabei nur eine mögliche Anwendung. Mithilfe der Nanodrähte könnte man auch die Polarisationsrichtung des einfallenden Lichts im Glas verändern, sodass nur bestimmte Wellenlängen durchdringen, was beispielsweise zur Temperaturregelung in Gewächshäusern oder zum Laserschutz in Brillen genutzt werden kann. «Wir haben im Labor gezeigt, dass die Technologie prinzipiell funktioniert», ergänzt Horvath. «Mithilfe des Founder-Fellowships haben wir nun die Möglichkeit, den nächsten Schritt zur praktischen Anwendung zu wagen.»
Heute Forschende – morgen Entrepreneure
Genau wie Barbara Horvath bewerben sich jedes Jahr Forschende aus allen PSI-Bereichen mit ihren Ideen für das begehrte Programm. «Von einem vielversprechenden Forschungsergebnis bis zu einem marktfähigen und innovativen Produkt ist es oft ein langer Weg», erklärt Angelo Sozzi vom Technologietransfer des PSI – zusammen mit seinem Team koordiniert er das Fellowship-Programm, führt Kurse und Coachings durch und unterstützt die Entrepreneure bei ihren anspruchsvollen Vorhaben.
«Entscheiden sich Forschende für einen solchen Karriereweg, so geht es am Anfang vor allem um die Vertiefung der Geschäftsidee, die Erarbeitung des Marktes sowie die Erstellung eines Business-Plans», ergänzt der Unternehmer-Coach. «Denn im Gegensatz zur Grundlagenforschung ist in der Wirtschaft die Weiterentwicklung der Technologie direkt den Marktinteressen unterworfen.» Der Gewinner oder die Gewinnerin erhält einen einmaligen Betrag von 150 000 Schweizer Franken – Geld, das sich die Preisträger wie bei einer Investition eigenverantwortlich einteilen müssen. Das Fellowship ermöglicht es den Forschenden zudem, für bis zu achtzehn Monate weiterhin Zugang zum PSI zu haben. In dieser Zeit gilt es, einen Markt zu finden und einen tragfähigen Business-Plan aufzustellen.
Insbesondere die Nutzung der PSI-Infrastruktur und der Austausch mit den Forschenden auf dem PSI-Campus sind für die Kommerzialisierung innovativer Technologien von grundlegender Bedeutung. Der Zugang zu Grossforschungsanlagen und spezialisierten Laborgeräten wäre sonst kaum erschwinglich oder gar nicht erhältlich. So kann auch Barbara Horvath weiterhin in ihrem vertrauten Umfeld arbeiten und vom Austausch mit ihren Kolleginnen und Kollegen profitieren. Im Falle von Sebastian Gliga, ebenfalls PSI-Founder-Fellow, wäre ein eigenes Labor fernab vom PSI unmöglich gewesen. Für seine Geschäftsidee nutzt der Physiker die Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS und will damit die Aufnahmen auf alten Musikbändern digitalisieren.
Musik aus dem Synchrotron
Magnettonbänder sind mittlerweile fast gänzlich aus unserem Leben verschwunden und geniessen nur noch ein nostalgisches Nischendasein. In den Archiven von Tonstudios, Radio- und TV-Sendern, Museen und privaten Kollektionen lagern jedoch noch Unmengen dieser analogen Datenträger. Sebastian Gliga ergänzt: «Nur ein Bruchteil all dieser Bestände wurde bisher digitalisiert.» Dabei geht es nicht nur um unser kulturelles Erbe; im Zeitalter von digitalen Musikplattformen wie Spotify und Co. sowie dem Handel von Musiklizenzen schlummern in diesen Archiven wahre Schätze und es werden manchmal keine Mühen gescheut, in Vergessenheit geratene Tonbänder bekannter Interpreten in höchster Qualität zu restaurieren und zu digitalisieren.
Doch weshalb braucht man dazu ein Synchrotron? «Tonbänder sind nicht für die Ewigkeit gemacht», erklärt Gliga. «Das Material zerfällt und lässt sich nicht mehr abspielen – mit der Röntgenstrahlung aus dem Synchrotron lassen sich solche Aufnahmen jedoch berührungsfrei rekonstruieren.»
Tonbänder speichern Information in einer Schicht winziger magnetischer Teilchen – ähnlich kleiner Kompassnadeln, die entweder gen Süden oder Norden zeigen. Wird das Band bespielt, so verändert sich deren Ausrichtung – das Band wird magnetisiert und die Audioinformation ist nun im Ausrichtungsmuster physisch gespeichert. Um dieses Muster wieder abzuspielen, bewegt man es an einem Lesekopf vorbei. Da sich das Magnetfeld durch das Muster ständig ändert, wird im Lesekopf eine Spannung induziert und es entsteht ein elektrisches Signal, das sich wiederum verstärken und in ein akustisches Signal umwandeln lässt.
Um Musik auf beschädigten Bändern wieder hörbar zu machen, setzt Gliga nicht auf das Magnetfeld, sondern auf die einzelnen Kompassnadeln, die dieses Feld erzeugen. «Die Magnetisierungszustände dieser winzigen Teilchen, deren Grössenordnung weniger als ein Zehntel des Durchmessers eines menschlichen Haares beträgt, lassen sich im Synchrotron fast individuell auslesen und in ein hochwertiges Audiosignal umwandeln.»
In Zusammenarbeit mit der Schweizer Nationalphonothek und dem «Montreux Jazz Digital Project» – dem 2010 von der ETH Lausanne EPFL und der Claude Nobs Foundation lancierten Projekt zur Digitalisierung, Erhaltung und Aufwertung der audiovisuellen Sammlung des Montreux Jazz Festivals – entwickelt Gliga seine Methode weiter. «Wir wollen die ultimative Kopie erstellen – die beste Qualität für die beste Musik», fügt der Physiker lächelnd hinzu.
Text: Benjamin A. Senn
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