Macht man elektronische Bauteile kleiner, werden sie leider heisser. Auch ist bald die Grenze der technisch machbaren Verkleinerung erreicht. Am PSI arbeiten Gabriel Aeppli und Christian Rüegg an grundlegend neuen, physikalischen Lösungen für bessere Rechner und Datenspeicher.
Herr Aeppli, Herr Rüegg, was ist in Ihren Augen die derzeit grösste Herausforderung bei der Entwicklung von Elektronik?
Gabriel Aeppli: Eines der grössten Probleme ist der Energieverbrauch. Die elektronische Datenverarbeitung und die Kommunikationsinfrastruktur benötigen heute mehr Energie als der Luftverkehr. Wenn wir so weitermachen, ist in zehn oder fünfzehn Jahren die Hälfte des gesamten Energieverbrauchs dem Bereich der Informationstechnologien zuzuschreiben.
Christian Rüegg: Das ist erstens ein gesellschaftliches Problem und zweitens auch ein technisches. Bei diesem Energieverbrauch entsteht sehr viel Abwärme – und je kleiner man die Dinge baut, desto heisser werden sie. Das sind einfach die Gesetze der Thermodynamik, also grundlegende Physik.
Aeppli: Zwei weitere Probleme: Die Basis, also die einzelnen elektronischen Schalter, wird nicht mehr schneller. Und weil alles so komplex ist, kann es Probleme mit der Sicherheit und der Zuverlässigkeit geben.
Rüegg: Beim Einsatz von künstlicher Intelligenz und selbstfahrenden Autos kann diese Zuverlässigkeit entscheidend sein. Stürzt zu Hause der Computer ab und muss neu gestartet werden, ist das bloss ärgerlich. Auf der Autobahn bei 120 Stundenkilometer ist das ein anderes Problem.
Aeppli: Noch eine Herausforderung ist das kommerzielle Risiko. Der Bau einer neuen Chip-Fabrik kostet bereits heute 10 bis 20 Milliarden US-Dollar und wird sich weiter verteuern.
Die Probleme scheinen zahlreich und immens.
Aeppli: Darum sind wir hier! Dass die Herausforderungen so gross sind, macht die Sache so interessant. Während der letzten vierzig Jahre waren wir wie auf einer Autobahn. Es wurde immer die gleiche Idee benutzt, um die elektronischen Bauteile kleiner und kleiner zu machen.
Rüegg: Die heutige Elektronik basiert auf normalen Transistoren, die wie Schalter agieren und mit denen man auf Null oder Eins schaltet. Man könnte andere Prozesse benutzen, mit denen sich die Komplexität reduzieren liesse, weil stattdessen die einzelnen Teile selbst komplexer wären. Bisher musste man Probleme technisch lösen; wir wollen stattdessen eine schlaue physikalische Lösung finden.
Aeppli: Jetzt ist es wirklich Zeit für etwas Neues!
Bisher muss man Probleme technisch lösen; wir wollen stattdessen eine schlaue physikalische Lösung finden.
Wie sieht diese neue, schlaue Lösung aus?
Rüegg: Es gibt zwei verschiedene Bereiche: Erstens das Rechnen und zweitens das Speichern von Daten. Zu beiden gibt es je eine eigene Lösungsidee. Für die Datenspeicherung sucht man nach neuen Materialien. Man möchte mit exotischen Supermaterialien, die besondere magnetische Eigenschaften haben, Daten schneller und mit weniger Energie speichern. Am PSI untersuchen wir, welche Materialien in Frage kommen.
Beim Rechnen ist klar: Die Einheit, die man in Zukunft benutzen wird, muss etwas anderes sein als der bisherige Null-Eins-Transistor; sie muss mehr Zustände haben. Als Lösung sehe ich den Bau eines grundlegend neuen Computers, der auf den Prinzipien der Quantenmechanik basiert. Es gibt weltweit viele Initiativen. Wir am PSI tragen zu dieser Forschung bei.
Aeppli: Klassische Bits sind wie gesagt entweder 0 oder 1. Quantenbits, sogenannte Qubits, können sich in einem Überlagerungszustand befinden, der gleichzeitig 0 und 1 ist. Quantenzustände haben eine viel grössere Informationsdichte und sie ermöglichen im Prinzip ein natürliches Parallelrechnen. Das ist viel schneller als das klassische Parallelrechnen, das heute in typischen PC-Prozessoren durch eine «Multicore»-Architektur erreicht wird und es zum Beispiel erleichtert, mehrere Tabs im Browser offen zu haben.
Firmen wie IBM und Google verfügen bereits über Prototypen von Quantencomputern, basierend auf dem Phänomen der Supraleitung. Andere Ansätze kommen aus der Laser- und Atomphysik. Lässt sich dereinst tatsächlich ein handlicher Quantencomputer bauen, der unsere herkömmlichen Rechner mit ihren Silizium-Chips ersetzen wird?
Aeppli: In Atomphysik-Labors sieht es ein wenig aus wie an Weihnachten, mit vielen Lasern, die sehr präzise eingestellt sind. Die Dimensionen sind im Moment gross und unpraktisch. Auch für die supraleitenden Maschinen sind die Qubits relativ gross, vor allem wenn man die Notwendigkeit der Tiefkühlung in Betracht nimmt.
In meiner Forschung ist und bleibt Silizium die Grundlage. Will man die Quantenphysik in einem robusten Gerät umsetzen, muss man auf Silizium zurückgreifen – ein ideales Material, in das man bereits extrem viel Forschung investiert hat. Und es eignet sich auch, denn Silizium ist zwar ein Festkörper, doch es verhält sich in mancher Hinsicht wie ein unglaublich sauberes Vakuum. Wir nutzen diese Eigenschaft und verwenden Silizium als Falle für einzelne Atome. Und solche Atom-Fallen sind die Grundlage der Qubits.
Wie weit sind Sie bei der Entwicklung eines solchen siliziumbasierten Quantencomputers?
Aeppli: Hier am PSI beschäftigen wir uns mit der zugrunde liegenden Physik. Den Kollegen im niederländischen Delft und an der australischen Universität von New South Wales ist es auf diesem Prinzip beruhend bereits gelungen, kleine Quantenschalter zu realisieren. Andere Forschende, zum Beispiel an der ETH Zürich, arbeiten übrigens parallel an einer anderen, supraleiterbasierten Technik. Wir aber denken: Silizium könnte nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Zukunft repräsentieren.
Werden in unseren Smartphones in zehn oder zwanzig Jahren Quantencomputer stecken?
Aeppli: Ich denke, Quanten-Coprozessoren werden zumindest Teilaufgaben lösen. In unseren Smartphones wird kein ganzer Quantencomputer drinstecken, aber man wird Quanteneigenschaften ausnützen, um beispielsweise das Energieproblem zu lösen. Wir machen hier am PSI unter anderem Experimente, um besser zu verstehen, wie sich die Elektronen in Computerchips verhalten. Dieses Verhalten ist für alle elektronischen Eigenschaften, also auch für das Schalten von Bits – egal ob klassisch oder quantenmechanisch – verantwortlich. Mit der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS beginnen wir jetzt, die Elektronen in dünnen Materialschichten direkt anzuschauen. Das werden wir bald auch mit dem neuen Röntgenlaser SwissFEL tun.
Rüegg: Physikalisch und in ihrem Ansatz ist die Quantentechnologie äusserst spannend. Aber es müssen noch viele Schritte gemacht werden. Einige davon haben wir Wissenschaftler selbst unter Kontrolle, andere nicht – zum Beispiel wirtschaftliche Faktoren. Deshalb ist das Interesse der Industrie wichtig.
Wie steht es mit der Zusammenarbeit zwischen PSI und Industrie?
Aeppli: Wir profitieren davon, dass die Physik jetzt plötzlich wieder wichtig ist, weil eine neue Generation von Grundlagenforschung gemacht werden muss. Lange kümmerten sich die Firmen vor allem um Systeme und Software. Nun investieren Unternehmen wie Microsoft und Google plötzlich in Hardware und arbeiten nicht nur mit Forschungsinstituten zusammen, sondern betreiben in eigenen Labors Grundlagenforschung, weil sich die gegenwärtigen Probleme nicht mehr mit Software lösen lassen.
Und wie genau läuft Ihre Zusammenarbeit mit Industriepartnern?
Rüegg: Wir haben gemeinsame Forschungsprojekte, aber auch Auftragsforschung, bei der die Industriepartner ihre Experimente mit unseren Anlagen durchführen und dafür bezahlen.
Aeppli: Viele der Projekte sind so angewandt, dass wir nicht einmal darüber reden dürfen.
Wie fühlt sich diese Geheimhaltung für die PSI-Forschenden an?
Rüegg: Ach, in unserer eigenen Forschung ist das ganz ähnlich. Wenn man eine grossartige Idee hat, gibt es Wettbewerb und Abmachungen. In der Schweiz gibt es Leute, die an der Digitalisierung arbeiten; wir hier am PSI arbeiten bereits an der Digitalisierung 2.0.
Interview: Barbara Vonarburg
Zu den Personen
Gabriel Aeppli ist Leiter des Bereichs Photonenforschung am PSI und Professor für Physik an der ETH Zürich und der ETH Lausanne EPFL. 1956 in Zürich geboren, wuchs er in den USA auf und promovierte am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Elektrotechnik. Einen Grossteil seiner Laufbahn verbrachte der schweizerisch-US-amerikanische Doppelbürger in der Industrie, bevor er 2002 eine Professur in London annahm und Mitbegründer eines Nanotechnologie-Zentrums wurde. 2014 kehrte er in die Schweiz zurück.Christian Rüegg ist Leiter des Bereichs Neutronen und Myonen am PSI und Professor an der Universität Genf. Er besuchte die Alte Kantonsschule Aarau, studierte an der ETH Zürich Physik und arbeitete anschliessend während sechs Jahren am Londoner Nanotechnologie-Zentrum, das damals von Gabriel Aeppli geleitet wurde. Seit 2011 ist Christian Rüegg zurück im Aargau am PSI. Seine aktuelle Forschung zum Quantenmagnetismus wird vom Europäischen Forschungsrat gefördert.