Kolosse, die winzige Teilchen steuern

Magnete sind die heimlichen Strippenzieher eines Teilchenbeschleunigers: Sie sorgen dafür, dass Protonen oder Elektronen auf Kurs bleiben. Mit den kleinen Magneten an der heimischen Kühlschranktür haben sie allerdings kaum etwas gemein. Nicht nur sind etliche der Magnete am PSI schwerer als der Kühlschrank selbst – sie sind trotz ihrer Wuchtigkeit Meisterwerke der Präzision.

Jürgen Duppich und Stéphane Sanfilippo am Montageplatz für SwissFEL-Magnete. Im Bild sieht man Quadrupolmagnete für den SwissFEL
Ausschnitt aus der Beschleunigeranlage der SLS. Das Strahlrohr, in dem die beschleunigten Elektronen fliegen, ist fast vollständig von Magneten (in blau, rot und gelb) umgeben, die den Elektronenstrahl lenken und formen.
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Manche Dinge sind leichter zu handhaben, wenn man sie aufrollt. Ein Poster beispielsweise wird so transportabel – man muss nur ein Gummiband darum schlingen. Am PSI dagegen sollen Protonen und Elektronen mit Teilchenbeschleunigern dazu gebracht werden, mit nahezu Lichtgeschwindigkeit zu rasen. Das Äquivalent zum Gummiband sind hier Magnete: Ohne sie würden die Teilchen einfach geradeaus fliegen und wären im Bruchteil einer Sekunde verloren. Die Magnete lenken die Teilchen im Beschleuniger auf eine Kreisbahn. Sind die Teilchen schnell genug, erzeugt man mit ihrer Hilfe Neutronen oder Röntgenlicht, mit denen man ins Innere der Materie sehen kann.

Die wichtigsten Zutaten eines Beschleunigers sind neben den Teilchen ein elektrisches Feld, das die Teilchen in Fahrt bringt, ein gutes Vakuum, das Kollisionen der Teilchen mit Luftmolekülen verhindert und eben die Magnete, die die Teilchen führen, erläutert Jürgen Duppich, Abteilungsleiter Technik / Koordination und Betrieb am PSI. Kurz gesagt: Jeder Magnet ist von einem Magnetfeld umgeben. Fliegt nun ein Elektron oder ein Proton durch dieses Magnetfeld, wird es abgelenkt. In welche Richtung und wie stark, das liegt am Magneten. Dieser muss also exakt gefertigt und genauestens positioniert sein, damit die Teilchen sich auf der gewünschten Bahn bewegen.

Magnete von wenigen Kilogramm bis zu Elefantengrösse

Genau in dieser Präzision liegt bei den Magneten am PSI die Besonderheit. Die Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS beispielsweise ist kreisrund und hat ungefähr die Grösse eines Fussballfeldes. Die Elektronen drehen hier rund eine Million Runden pro Sekunde. Trotzdem halten die Magnete sie dabei auf Kurs – auf den Tausendstel eines Millimeters genau. Zudem formen die Magnete den Teilchenstrahl kontinuierlich. Meist geht es darum, die geladenen Teilchen eng beisammenzuhalten.

Dass die Magnete diese Genauigkeit erreichen und sich diese ständig verbessert, daran arbeiten Stéphane Sanfilippo und sein Team von zehn Personen. Sie betreuen an die tausend Magnete am PSI. Deren Form und Grösse variieren enorm: Die elefantengrossen Kolosse im Protonen-Ringzyklotron sind 240 Tonnen schwer. Andere Magnete, die zur Feinjustierung des Teilchenstrahls dienen, wiegen nur wenige Kilogramm.

Gemein ist fast allen Magneten am PSI, dass es sich um Elektromagnete handelt. Im Gegensatz zu den Magneten an der heimischen Kühlschranktür werden Elektromagnete mit Strom betrieben und lassen sich darum ein- und ausschalten. Sie bestehen im Wesentlichen aus einem Draht, der um einen Eisenkern herum zu einer Spule aufgewickelt ist. Nur solange durch den Draht Strom fliesst, ist der Magnet aktiv. Kaum ist ein Magnet etwas grösser als ein Fussball, benötigt er dafür Starkstrom sowie eine Wasserkühlung, denn der stromdurchflossene Draht wird heiss.

An der Schnittstelle

Die Magnetfachgruppe sitzt also an der Schnittstelle vieler anderer Arbeitsgruppen. Die Teilchenphysiker sagen uns, wie der Magnet den Teilchenstrahl beeinflussen soll, erklärt Sanfilippo. Der typische Magnet am PSI braucht ein Speisegerät, das den Strom liefert. Er braucht einen Wasseranschluss zur Kühlung. Und nicht zuletzt muss der Magnet von seinen Ausmassen in die Anlage passen. Er darf nicht zu gross sein, muss jedoch in seinem Inneren genug Platz bieten, damit die Vakuumröhre hindurchpasst, in der wiederum die geladenen Teilchen rasen. Und wenn all diese Rahmenbedingungen feststehen, heisst es für uns: Los, an die Arbeit! Seit er 2008 die Leitung der Magnetfachgruppe übernommen hat, stellt er sich dieser Herausforderung. Und wenn er seine Magnete als die Lebensader des Beschleunigers bezeichnet, meint er das durchaus ernst. 

Die Vermessung des Feldes 

Soll ein neuer Magnet gebaut werden, machen sich Sanfilippo und seine Kollegen mit allen Vorgaben ans Werk. Der Magnet wird am Computer entworfen, sein Magnetfeld berechnet. Für die Ablenkung des Teilchenstrahls braucht es beispielsweise Magnete mit zwei Spulen, sogenannte Dipole. Noch häufiger werden am PSI Quadrupol-Magnete aus vier sternförmig angeordneten Spulen eingesetzt, die den Teilchenstrahl fokussieren. 

Nach dem Computermodell erfolgt der Bau, den Firmen aus der Industrie übernehmen. Wir konzentrieren uns lieber auf das, was danach kommt, so Sanfilippo, und das ist die Vermessung des Feldes des fertigen Magneten.

In der Industrie ist die extreme Präzision, die die Forschenden des PSI benötigen, aussergewöhnlich. Daher kann das theoretische Modell noch so gut sein – durch unvermeidliche Fertigungstoleranzen sind die Spulen doch nicht exakt platziert, und es ergibt sich ein minimal verzerrtes Magnetfeld, was wiederum weitreichende Auswirkungen auf den Teilchenstrahl hat. Aber Sanfilippo und seine Kollegen haben auch hiermit Erfahrung: Sie planen bereits im Modell für die wichtigsten Parameter eine Reserve ein, die die Produktionsabweichungen wieder ausbügeln könnte – falls dies aufgrund der Messungen nötig wäre.

Altbewährte Mittel zur Feldvermessung werden hier eingesetzt, beispielsweise eine sogenannte Hallsonde. Diese wird langsam durch das Magnetfeld bewegt und zeichnet dabei kontinuierlich Ort und Stärke des Feldes auf. Am Ende erhält man eine dreidimensionale Feldkarte mit mehreren Tausend Messpunkten.

Der Trend geht zur Genauigkeit

Aber auch Neuentwicklungen kommen zum Zug, denn der Trend, erklärt Sanfilippo, geht seit etwa zwanzig Jahren nicht mehr dahin, möglichst starke Magnete zu bauen, sondern möglichst genaue. So steht in der Werkhalle der Magnetfachgruppe ein klimatisierter Raum, in dem hinter einer Glasscheibe die Magnete mit einem vibrierenden Draht vermessen werden. So ein System gibt es weltweit nur ein paar Mal, sagt Sanfilippo nicht ohne Stolz.

So simpel der Name vibrierender Draht klingt, so sensibel ist dieses Messsystem. Das Herzstück besteht aus einem gespannten und in Schwingung versetzten, stromdurchflossenen Draht. Liegt dieser exakt in der zentralen Achse, entlang der das Magnetfeld eines Quadrupol-Magneten eine Nulllinie hat, so hört der Draht auf zu vibrieren. Da dieser Bereich jedoch theoretisch unendlich klein ist, ist er entsprechend schwer auszumachen.

Und der vibrierende Draht ist womöglich noch nicht das Ende der Fahnenstange. Je genauer die Magnete werden, desto genauer müssen auch die Messeinrichtungen werden. Wenn Sanfilippo und seine Kollegen also nicht gerade neue Magnete entwerfen, arbeiten sie daran, die Methoden zur Magnetfeldmessung weiterzuentwickeln.

Ausdauernde Mitarbeiter

Schliesslich wird der neue Magnet an der ihm zugedachten Stelle innerhalb des Beschleunigers eingebaut. Auch hier ist wieder grösste mechanische Präzision nötig. Man kann den Magneten mit einer optischen Linse vergleichen – auch sie verformt einen Lichtstrahl nur dann wie geplant, wenn sie perfekt ausgerichtet ist. Der Magnet bekommt daher bereits in der Planungsphase Messmarken auf seine Aussenflächen. Innerhalb der Anlage werden diese mit einem Lasertracker angepeilt, sodass sich der Magnet exakt positionieren lässt.

Dann endlich geht der Elektromagnet in Betrieb. Und bleibt es hoffentlich lange. Manche Magnete am PSI leisten seit über 40 Jahren zuverlässig ihren Dienst. Magnete sind sehr robust, erklärt Duppich. Da dreht sich nichts, es gibt keine mechanischen Belastungen. Wenn sie einmal perfekt eingebaut sind, sind sie gutmütige und ausdauernde Mitarbeiter. Das Team der Techniker dankt es ihnen und behandelt sie mit Respekt. Auch, weil das spezielle Eisen, das den Kern der Elektromagnete bildet, ein teures Material ist: Wird ein Magnet doch einmal ausgemustert, werden seine Teile recycelt und zu neuen Magneten verarbeitet. Die Seele eines Magneten stirbt nicht – so feierlich formuliert es Duppich. Die Magnete sind eben tatsächlich die Lebensader des Beschleunigers.

Text: Laura Hennemann

Weiterführende Informationen

Magnetismus im SwissFEL
Die SwissFEL-Anlage: die Undulatorstrecke – hier entsteht das Licht
Magnetisierung im Pikosekundentakt gesteuert

Protonenbeschleuniger
Die Protonenbeschleunigeranlage des PSI
Der Protonenbeschleuniger des PSI: 40 Jahre Spitzenforschung

Aktuelle Forschung zu Magnetismus
Supraleitung mit Magnetfeld eingeschaltet

 

Kontakt / Ansprechpartner

Jürgen Duppich, Leiter Abteilung Technik / Koordination, Paul Scherrer Institut,
Telefon: +41 56 310 33 20, E-Mail: juergen.duppich@psi.ch