Magnetismus in dünnen Schichten: Ein Elektron macht den Unterschied

Forschende des Paul Scherrer Instituts PSI können an Grenzflächen zwischen dünnen Schichten gezielt den Magnetismus manipulieren. Das ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu neuartigen Computerspeichern. 

Thorsten Schmitt (links) und Milan Radovic an ihrer Experimentierstation an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS. Hier untersuchten sie die komplexe Elektronenstruktur sowie die lokalen magnetischen Eigenschaften der dünnen Schichten aus Lanthannickelat und Lanthantitanat. © Paul Scherrer Institut/Markus Fischer

Graphen war ein Meilenstein. Als Andre Geim und Konstantin Novoselov 2004 die ersten einatomigen Lagen aus Kohlenstoff herstellten, ahnten sie nicht, dass sie damit ein völlig neues Forschungsfeld begründen würden. Ultradünne Schichten aus wenigen Atomlagen – sogenannte zweidimensionale kristalline Materialien – haben aber auch schon vorher erstaunliche optische, elektronische, magnetische und sogar supraleitende Eigenschaften offenbart. Internationale Spitze in diesem Forschungsgebiet ist das Team von Thorsten Schmitt. 

Die Forschenden der Gruppe für Spektroskopie an Quantenmaterialien am PSI Center for Photon Science sind spezialisiert auf die Herstellung und spektroskopische Untersuchung dünner Atomlagen aus unterschiedlichen chemischen Verbindungen, die sie abwechselnd aufeinanderstapeln – wie ein Sandwich. In diesen hybriden Materialien finden sie immer wieder interessante Phänomene – wie zuletzt bei einem Supergitter, in dem sich Schichten aus Lanthannickelat (LaNiO3) und Lanthantitanat (LaTiO3) abwechseln. Lanthannickelat ist nichtmagnetisch (paramagnetisch) und Lanthantitanat antiferromagnetisch (siehe Kasten unten: «Magnetismus kurz erklärt»). Stapelt man beide Materialien übereinander, springen Elektronen – negativ geladene Elementarteilchen – vom Titanat ins Nickelat und damit ändert sich auch der Magnetismus: Lanthannickelat wird antiferromagnetisch, während Lanthantitanat nun nichtmagnetisch ist. 

Sensation in der Physik

Für Laien klingt dieser Tausch wie ein nutzloser Taschenspielertrick, für Forschende in der Physik ist es allerdings ein wichtiger Schritt. Denn so können sie Materialien massschneidern, etwa für magnetische Speicher der Zukunft. Lanthantitanat ist dafür nicht geeignet, weil es als Isolator den elektrischen Strom nicht leitet. Lanthannickelat ist dagegen ein guter Leiter und in Kombination mit der neuen magnetischen Eigenschaft ein vielversprechendes Ausgangsmaterial für sogenannte spintronische Computerbausteine, in denen der klassische Ferromagnetismus einer Computerfestplatte ersetzt wird durch antiferromagnetische Speicherzellen auf Basis des Kreiselns (Spin) von Elektronen. Für solche Bausteine sind die Eigenschaften an der Oberfläche oder an Grenzflächen entscheidend. «Unsere Forschung richtet sich nicht darauf, solche Speicher selbst zu entwickeln, sondern die fundamentalen Eigenschaften zu verstehen, die das Arbeitsprinzip zukünftiger Anwendungen definieren – wir machen Grundlagenforschung», betont Schmitt. Die sei aber dringend notwendig, denn viele Phänomene an zweidimensionalen Materialien seien noch nicht verstanden und immer wieder gebe es überraschende Entdeckungen. 

 

Magnetismus ist ein quantenmechanischer Effekt, der vom Spin der Elektronen in Atomen herrührt. Man kann sich den Spin als Kreiselbewegung vorstellen, die Drehrichtung ergibt die Richtung des magnetischen Moments mit zwei Polen. 

Ferromagnetismus: Die bekannteste Art des Magnetismus entsteht, wenn sich die magnetischen Momente der Atome parallel ausrichten. 

Antiferromagnetismus: In diesen Materialien sind die magnetischen Momente abwechselnd entgegengesetzt gerichtet. Dadurch weisen diese Materialien nach aussen keinen Magnetismus auf.

Paramagnetismus und Diamagnetismus: Diese Materialien sind nicht magnetisch. Sie können aber magnetisch werden, wenn man sie einem äusseren Magnetfeld aussetzt. Paramagneten werden dann von diesem äusseren Magnetfeld angezogen, Diamagneten abgestossen. 

Das Team am PSI hat hohe Expertise in sowohl speziellen röntgenspetroskopischen Untersuchungsmethoden als auch in der Herstellung dünner Schichten von sogenannten Quantenmaterialien. Zunächst zur Herstellung der Probe: Dazu nimmt man zwei Pellets mit den beiden Ausgangsmaterialien. Diese Pellets enthalten den Stoff allerdings in polykristalliner Form, jedoch benötigt man für besondere Forschungszwecke und zukünftige Anwendungen einkristalline Materialien. Um einkristalline Filme von der gewünschten Zusammensetzung zu erhalten, schiesst PSI-Forscher Milan Radovic mit einem Laser Material aus dem Pellet, das sich dann auf einem kristallinen Substrat ablagert. Die Kristallstruktur des Materials richtet sich dabei nach dem Gitter des Substrats aus, so erhalten die Forschenden genau das Kristallgitter, das sie möchten. Dann folgt dieselbe Prozedur mit dem Pellet des zweiten Materials, dann wieder mit dem ersten und so weiter – bis insgesamt 60 Schichten in perfekter Ausrichtung übereinandergestapelt sind. Das dauert mehrere Stunden, wobei nach jedem Schritt die Schichtdicke überprüft wird. In diesem speziellen Experiment waren die Titanat-Schichten zwei Gitterzellen dick, die Nickelat-Schichten bis zu zehn Gitterzellen. Die dünnsten Schichten messen weniger als ein Nanometer. 

«Andere Forschungsgruppen haben das auch schon versucht, aber nicht so perfekt hinbekommen», sagt Radovic. Denn Lanthannickelat und Lanthantitanat benötigen unterschiedliche Hintergrunddrücke von Sauerstoff, um in der gewünschten Zusammensetzung zu wachsen. Teguh Asmara und Milan Radovic hatten die Idee, Stickstoff als Hintergrundgas zu benutzen, um identische Hintergrunddrücke ideal für beide Materialien einzustellen. 

Kniffliger Teil des Vorhabens

Dann kam der kniffligere Teil des Forschungsvorhabens: Hat die erhoffte Änderung der magnetischen Eigenschaften tatsächlich stattgefunden? Um die Antwort auf diese Frage zu finden, mussten die Forschenden wie Detektive in drei Schritten vorgehen. Zuerst beschoss Andreas Suter vom Labor für Myonspin-Spektroskopie am PSI Center for Neutron and Muon Sciences die Probe mit Myonen aus der Schweizer Myonenquelle SμS des PSI, und zwar mit der Energie so exakt justiert, dass diese Teilchen in der Nähe der Grenzflächen im Gitter stoppen. In einem äusseren angelegten Magnetfeld führen diese Myonen eine wankende Kreiselbewegung aus, die man messen kann. Bleibt diese Präzession zeitlich gleich, ist das Material an dieser Stelle nicht magnetisch. Nimmt sie mit der Zeit ab, ist das ein Zeichen, dass das Material magnetisch ist – wie in diesem Fall. Die Myonen zerfallen dann nach kurzer Zeit, wobei sie Positronen aussenden, die für den indirekten Nachweis des Verhaltens der Myonen benutzt werden können. 

Um ein vollständiges Bild der magnetischen Eigenschaften dieses neuen Materials zu erhalten, beschoss Andreas Suter die Probe in seinem Labor mit Myonen aus der Schweizer Myonenquelle SμS des PSI. Die unmittelbare Nähe der beiden Grossforschungsanlagen zueinander machen das PSI zu einem einzigartigen Standort, um modernste Forschungsmethoden komplementär anzuwenden. © Paul Scherrer Institut PSI/Mahir Dzambegovic

Damit wissen die Physiker aber noch nicht, welche Art von Magnetismus vorliegt. Dazu haben sie das dünne Plättchen in einem zweiten Schritt mit hochempfindlichen Magnetsensoren vermessen – ohne Messsignal. Da diese Sensoren nur Ferromagnetismus aufspüren können, war klar: Die Probe ist magnetisch, aber nicht ferromagnetisch, also muss sie antiferromagnetisch sein. 

Dafür ist die Elektronenstruktur entscheidend. Um diese zu charakterisieren, nutzten die Physiker in einem dritten Schritt die RIXS-Methode (Resonant Inelastic X-ray Scattering). Mit Röntgenstrahlung aus der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS mit exakt justierter Energie wird ein Elektron aus dem untersten Energieband eines Atoms in ein unbesetztes Energieband gehoben. Weil das zu einem Ungleichgewicht im Atom führt, fällt ein anderes Elektron aus einem niedrigeren Energieband in einer billiardstel Sekunde in die darunter freigewordene Lücke – dabei sendet es ebenfalls Röntgenlicht aus, allerdings mit niedrigerer Energie. Die Energiedifferenz zwischen eingestrahltem und abgegebenem Licht gibt Auskunft über die Abstände der Energiebänder. Ausserdem führen die Elektronen Kreiselbewegungen aus, die sich als Spinwellen, sogenannte Magnonen, durch das Material ausbreiten – wie bei einem Stein, den man ins Wasser wirft. Auf diese Weise sondieren die Forschenden die komplexe Elektronenstruktur und lokalen magnetischen Eigenschaften des Materials. 

Alle Möglichkeiten an einem Ort

Ein grosser Vorteil ist es, dass am PSI alle Untersuchungsmethoden an einem Ort verfügbar sind, betont Thorsten Schmitt. Sein Team ist spezialisiert auf spektroskopische Untersuchungen mit Röntgenlicht der SLS. «Die Kolleginnen und Kollegen, die mit Myonen arbeiten, sitzen im Nachbarbüro. So können wir maximale Synergien ausnutzen.» Dennoch reichen die Einrichtungen am PSI nicht immer aus, um alle Forschungsfragen zu beantworten. So ist die SLS in die Jahre gekommen, für Detailmessungen braucht es zusätzlich andere Synchrotronstrahlungsquellen wie die ESRF in Grenoble oder die Diamond Light Source in Oxford. Die Proben für das aktuelle Paper wurden daher erst an der SLS am PSI im Detail zur Bestimmung der Elektronenstruktur untersucht. Die beiden genannten Anlagen in Frankreich und Grossbritannien wurden dann für gezielte Messungen der Spinwellen mit höchstmöglicher Auflösung benutzt. 

Durch das derzeitige Upgrade auf die SLS 2.0 wird die Anlage künftig mehr Röntgenlicht liefern und präzisere Messungen in kürzerer Zeit ermöglichen. Um das nutzen zu können, muss die Arbeitsgruppe von Thorsten Schmitt die RIXS-Anlage neu aufbauen. Statt bisher fünf Meter wird die neue Anlage elf Meter lang. Auch werden alle Diffraktionsgitter zur Analyse des Röntgenstrahls erneuert und für höhere Messgenauigkeit ausgelegt. Das Konzept steht bereits, die Mittel sind genehmigt, derzeit wird die Anschaffung und Herstellung der neuen Komponenten vorbereitet. 

Ideen für die weitere Forschung hat Thorsten Schmitt auch schon. So haben Forschende erst kürzlich herausgefunden, dass zweidimensionale Nickelate supraleitend werden, wenn man sie unter hohen Druck setzt. Weil das Hybridmaterial aus dem PSI-Projekt die gleiche Elektronenstruktur hat, könnte es sein, dass auch dieses unter ähnlichen Bedingungen supraleitend wird, also den elektrischen Strom verlustfrei leitet. Dazu könnte man das Material in eine Druckkammer geben oder aber durch mechanischen Schub die Gitterabstände kontrahieren und so möglicherweise ebenfalls Supraleitung induzieren. Auch ein Dotieren des Materials – ein gezieltes Verunreinigen mit Fremdatomen – käme infrage. Dieses Prinzip wird genutzt bei Materialien, die bei hohen Temperaturen supraleitend werden. «Man muss unbedingt versuchen, unser Hybridmaterial supraleitend zu machen – das Thema ist einfach zu vielversprechend, um es links liegen zu lassen», schliesst Schmitt.

Dr. Thorsten Schmitt
PSI Center for Photon Science
Paul Scherrer Institut PSI

+41 56 310 37 62
thorsten.schmitt@psi.ch
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Dr. Milan Radovic
PSI Center for Photon Science
Paul Scherrer Institut PSI

+41 56 310 55 65
milan.radovic@psi.ch
[Englisch]

Dr. Andreas Suter
PSI Center for Neutron and Muon Sciences
Paul Scherrer Institut PSI

+41 56 310 42 38
andreas.suter@psi.ch
[Deutsch, Englisch]