Nanowelten in 3-D

Tomogramme aus dem Inneren von Fossilien, Hirnzellen oder Computerchips liefern neue Erkenntnisse über deren feinste Strukturen. Die 3-D-Bilder gelingen mithilfe der Röntgenstrahlen der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS, dank modernster Instrumente, eigens entwickelter Detektoren sowie raffinierter Computeralgorithmen. Bei der Nano-Tomografie, die Details von nur wenigen millionstel Millimeter sichtbar macht, ist das PSI führend, bei zeitaufgelösten Tomogrammen hält es sogar einen Weltrekord.

Oliver Bunk in der Halle der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS, in der auch die Strahllinien TOMCAT und cSAXS für die Forschung bereitstehen.
(Foto: Kellenberger Kaminski Photographie/ETH-Rat)
Von links nach rechts: Mirko Holler, Ana Diaz, Manuel Guizar Sicairos an der cSAXS
(Foto: Paul Scherrer Institut/Mahir Dzambegovic)
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Zu den exotischsten Proben, die an der Grossanlage SLS untersucht wurden, gehören Fossilien mit nur einem halben Millimeter Durchmesser. Ein britisch-chinesisches Team hatte sie in 609 Millionen Jahre altem Gestein in Südchina entdeckt. Es handelte sich um versteinerte Embryonen eines Organismus, der vielleicht eine Vorstufe der ersten Tiere war. Zusammen mit PSI-Forschenden erstellte das internationale Team dreidimensionale Bilder, die Details von weniger als einem tausendstel Millimeter zeigten. Die Forschenden erkannten darin verschiedene Entwicklungsstufen und schlossen daraus, dass der Organismus seine Zellen im Laufe der Embryo-Entwicklung neu organisierte, genauso wie heute lebende Tiere und auch der Mensch – ein wichtiger Schritt in der Evolution.

«Wir machen Tomogramme verschiedenster Gewebe- und Materialproben, wir blicken in Batterien, Brennstoffzellen oder Eiscreme hinein und schauen beispielsweise zu, wie im 3-D-Drucker aus Kunststoff ein Objekt entsteht», erklärt Oliver Bunk, Leiter des Labors für Makromoleküle und Bioimaging am PSI. Das Prinzip ist das gleiche wie beim Computertomografen im Spital. Doch während sich in der Medizin die Apparatur beim Aufnehmen der Schichtbilder um den Patienten bewegt, wird am PSI die Probe gedreht, während der Röntgenstrahl immer aus der gleichen Richtung auf diese auftrifft.

Weltrekord mit über 200 Bildern pro Sekunde

Dabei ist das an der SLS erzeugte Röntgenlicht viel heller und stärker gebündelt als dasjenige eines medizinischen Röntgenapparats. Damit lassen sich kleineste Details sichtbar machen und selbst dynamische Prozesse verfolgen. So konnte ein deutsches Team zusammen mit PSI-Forschenden zuschauen, wie flüssiges Aluminium aufgeschäumt wird. Metallschäume sind besonders vielversprechend für den Leichtbau. Dank eines neuen Messtischs, der extrem präzise und schnell rotiert, dokumentierte die Gruppe das Aufschäumen mit 208 dreidimensionalen Röntgenaufnahmen pro Sekunde. Dies bedeutet Tomografie-Weltrekord.

Die Strahllinie, die das Röntgenlicht für diese zeitaufgelösten Messungen liefert, wurde auf den Namen TOMCAT getauft. Sie ist eine von 17 Strahllinien, mit der an der SLS verschiedenste Experimente durchgeführt werden. Mit TOMCAT lassen sich 3-D-Bilder mit einer Auflösung von einem zehntausendstel Millimeter (0,1 Mikrometer) erstellen. An einer anderen Strahllinie – cSAXS genannt – können die Forschenden sogar in den Bereich von millionstel Millimeter vordringen. «Hier machen wir Nano-Tomografie», erklärt Oliver Bunk. Dazu braucht es ein Verfahren, das am PSI entwickelt wurde.

Die Methode heisst Ptychografie. «Der Name, über den wir heute alle stolpern, stammt aus den 1960er-Jahren», erklärt Oliver Bunk. Damals hatte der deutsche Physiker Walter Hoppe die Idee für das Verfahren, das ohne moderne Computertechnik aber noch nicht realisiert werden konnte. Zudem braucht es eine Lichtquelle, die eine Eigenschaft aufweist, wie man sie von Laserlicht kennt: Die einzelnen Lichtteilchen treffen in einem festen zeitlichen und räumlichen Abstand zueinander auf. Fachleute sprechen von kohärentem Licht. Die SLS ist zwar kein Laser, doch ein Teil der erzeugten Röntgenstrahlen befindet sich in dieser Art Gleichklang. So wurde 2007 am PSI gezeigt, dass die Ptychografie mit Röntgenstrahlen funktioniert, und die Methode in der Folge immer weiter verbessert.

Beugungsbild statt Schattenwurf

Wie bei der normalen Tomografie teilweise auch wird die Probe mit dem Röntgenstrahl abgerastert. Doch während das medizinische Röntgenbild einem Schattenwurf entspricht, entsteht bei der Ptychografie ein Beugungsbild des beleuchteten Bereichs – ein Muster von verschieden intensiven Punkten, das vorerst keine Ähnlichkeit mit der Probe aufweist. Erst Computeralgorithmen können aus Hunderten von überlappenden Beugungsbildern das gewünschte Bild berechnen. Damit das Verfahren gelingt, braucht es zudem leistungsfähige Detektoren, Röntgenkameras, wie sie am PSI entwickelt wurden. Heute stellt die Schweizer Firma Dectris, ein Spin-off des PSI, diese her und beliefert damit weltweit Synchrotron-Anlagen.

«In der Nano-Tomografie waren und sind wir immer noch federführend», sagt Oliver Bunk. Die unter der Leitung von PSI-Physiker Mirko Holler gebauten Instrumente sind weltweit einzigartig. Sein Kollege Manuel Guizar-Sicairos entwickelte die Algorithmen zur Bildrekonstruktion und erhielt dafür 2019 einen renommierten internationalen Optik-Preis, während die PSI-Physikerin Ana Diaz als Expertin für biologische Gewebeproben und materialphysikalische Fragestellungen den wissenschaftlichen Hintergrund liefert.

Hirnzellen zählen zu den besonders interessanten Proben, die sich mithilfe der Ptychografie genau untersuchen lassen. Die Forschenden möchten so Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson auf die Spur kommen. 3-D-Bilder von Knochenstrukturen konnten bereits Hinweise für die Osteoporose-Forschung liefern. Für die Untersuchung werden die Gewebeproben tiefgefroren und äusserst präzise in einer Messkammer platziert. Für eine Bildgebung im Nanometerbereich muss auch die Positionsgenauigkeit in diesem Bereich liegen – «eine grosse Herausforderung», sagt Oliver Bunk: «Eine für uns gigantisch grosse Probe ist etwa zweimal so dick wie ein menschliches Haar; kleine Proben sind zehnmal feiner als ein Haardurchmesser.»

Katalysatoren und Chips durchleuchten

Untersucht werden auch Katalysatoren. Sie beschleunigen chemische Prozesse und sind aus der heutigen Industrie nicht mehr wegzudenken. «Am liebsten möchte man Katalysatoren bei der Arbeit studieren», sagt Oliver Bunk. Dies geschieht am PSI mit verschiedenen Techniken, darunter die Ptychografie. So gelang es Forschenden aufzuzeigen, was geschieht, wenn ein Katalysator im Laufe seiner Betriebszeit Alterungsprozessen unterworfen ist. Die beobachteten Strukturänderungen geben Aufschluss über die ablaufenden Prozesse. Damit lässt sich beispielsweise verfolgen, wann und wie Poren in einem Katalysator verstopft werden. Oder wie die chemisch aktiven Oberflächen ihre Struktur ändern und sich dadurch die katalytische Wirkung verringert.

Besonders stolz sind die PSI-Forschenden auf ihr neuestes Instrument, das den Namen «LamNI» trägt. Mit ihm können sie 3-D-Bilder von flachen, aber ziemlich ausgedehnten Proben machen. «Das ist ein grosser Fortschritt», kommentiert Oliver Bunk. Eines der ersten untersuchten Objekte war ein Computerchip. Schon früher hatten die Forschenden einen handelsüblichen Chip durchleuchtet und die winzigen Transistoren darin deutlich sichtbar gemacht. Doch dazu mussten sie aus dem Chip eine kleine, zylinderförmige Probe herausschneiden. Mit dem neuen Instrument ist dies nicht mehr nötig, der Chip bleibt intakt. «Wir können ein Überblicksbild erstellen und dann wie mit einer Kamera hineinzoomen, um eine hochauflösende Messung zu machen», erklärt der Physiker.

Die 3-D-Bilder haben eine Auflösung von knapp 20 Nanometer (millionstel Millimeter) und enthüllen, ob ein Chip fehlerhaft ist oder gar manipuliert wurde. Die Methode könnte in Hochsicherheitsbereichen eingesetzt werden, zum Beispiel bei Kraftwerken, wo man gut geschützte IT-Hardware einsetzen möchte, um sicherzustellen, dass keine unerlaubten Zugriffe möglich sind. Aber auch in der Qualitätskontrolle könnte das Verfahren für Stichproben benutzt werden.

Die Nano-Tomografie wird sich in Zukunft noch weiter verbreiten, ist Oliver Bunk überzeugt. Denn eine neue Generation von Synchrotron-Lichtquellen liefert noch bessere Voraussetzungen für diese Methode. Auch bei der SLS ist ein entsprechendes Upgrade geplant. Nach der Modernisierung wird die Anlage einen noch viel feineren, intensiveren Röntgenstrahl liefern und damit bedeutend mehr kohärentes Licht. Dadurch werden die Messungen sehr viel schneller ablaufen oder noch kleinere Details in 3-D sichtbar werden. Die dafür benötigten Technologien, beispielsweise noch bessere Detektoren, wurden am PSI bereits entwickelt und werden rechtzeitig für Messungen nach dem Upgrade zur Verfügung stehen. So greifen die verschiedenen wissenschaftlichen und Hochtechnologie-Entwicklungen mit Schweizer Präzision eng ineinander, um Fortschritte in vielen Bereichen der Grundlagen- und angewandten Forschung zu ermöglichen.

Text: Barbara Vonarburg

Kontakt/Ansprechpartner

Dr. Oliver Bunk
Labor für Makromoleküle und Bioimaging
Paul Scherrer Institut, Forschungsstrasse 111, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 30 77, E-Mail: oliver.bunk@psi.ch [Deutsch, Englisch]