Die Protonenbeschleunigeranlage HIPA am PSI hat ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel und war noch nie so leistungsfähig wie heute: Sie liefert 1,4 Millionen Watt für die Forschung. Eine Reise durch die letzten 50 Jahre – und ein Blick in die Zukunft.
Erst letztes Jahr feierte das PSI sein 35-jähriges Bestehen und nun, im Februar 2024, wird die Protonenbeschleunigeranlage des PSI schon 50 Jahre alt. Die Anlage, die wir heute als HIPA kennen, trug bei ihrer Inbetriebnahme im Jahr 1974 den Namen «SIN-Facility», denn sie gehörte zum Schweizerischen Institut für Nuklearforschung SIN. Die Anlage selbst wurde nicht versetzt, sondern das PSI ist quasi um sie herum entstanden, im Jahr 1988 als Zusammenschluss des SIN westlich der Aare sowie des Eidgenössischen Instituts für Reaktorforschung EIR östlich des Flusses. Aus der SIN-Facility wurde HIPA: der «High Intensity Proton Accelerator», zu Deutsch etwa: Protonenbeschleuniger hoher Intensität.
Der Name beschreibt auch rückblickend die vollen 50 Jahre der Anlage. Im Januar 1974 wurden hier erstmals Protonen extrahiert. Ein Erfolg, jedoch nicht das Hauptziel. Denn die Protonen selbst wurden hier kaum selbst genutzt. Die Idee, die schon 1962 bei der Planung der Anlage formuliert wurde, war eine «Mesonenfabrik»: Die beschleunigten Protonen sollten benutzt werden, um massenweise Mesonen zu produzieren, eine bestimmte Klasse subatomarer Teilchen.
Mesonen entstehen auf natürlichem Weg in den oberen Schichten der Erdatmosphäre. Oder sie werden menschlich erzeugt, wie seit nunmehr 50 Jahren dank HIPA. Konkret braucht es dafür sogenannte Targets: spezielle Werkstücke aus Grafit, auf die der Protonenstrahl gelenkt wird, wodurch im Material Mesonen entstehen.
50 Jahre Mesonenfabrik
Und tatsächlich: Auf die ersten Protonen folgten schon rund einen Monat später die ersten Mesonen – Ende Februar 1974 war es so weit. Ganz im Sinne der Mesonenfabrik ist dies der Anlass, der seither in Jubiläen gefeiert wird.
Die Mesonen aus der Fabrikproduktion halten heute den Weltrekord: Nirgendwo sonst auf der Welt werden pro Sekunde so viele Myonen – eine Sorte Teilchen, die aus Mesonen entstehen können – für die Forschung erzeugt wie hier. Sie werden an zahlreichen Experimentierplätzen rund um HIPA genutzt. Die Myonen werden einerseits von den Forschenden in der Teilchenphysik eingesetzt, beispielsweise um Protonen und Atomkerne zu vermessen. Andererseits dienen Myonen in den Materialwissenschaften als winzige Sonden, die in Festkörper eindringen und so deren innere Struktur und Eigenschaften vermessen.
Was sich in den vergangenen Jahrzehnten vor allem geändert hat, ist die Anzahl der Protonen – und damit der Myonen und anderer Sekundärteilchen, die die Anlage pro Sekunde produziert. Die Protonenrate wird in Ampere gemessen, der Einheit für Stromstärke, da Protonen eine positive elektrische Ladung haben. 2,4 Milliampere hat die Anlage inzwischen schon erreicht. Die Zahl mag klein wirken, weil die Elementarladung eines Protons gering ist – tatsächlich steht sie für mehr als zehn Billiarden Protonen pro Sekunde, das ist eine Eins mit 16 Nullen. Dieser Protonenstrahl hat insgesamt eine Leistung von 1,4 Millionen Watt.
Gestartet wurde weit bescheidener: 0,1 Milliampere war das Originalziel der Anlage, als sie 1974 in Betrieb ging. Es brauchte nur wenige Jahre, bis dieser Wert im Dezember 1976 erreicht wurde. «Ab dann war klar, dass die Anlage auch noch deutlich mehr kann», sagt Joachim Grillenberger, seit zwanzig Jahren Physiker am PSI und heute Leiter der Gruppe Protonenanlagen. Er nennt die Anlage «eine hervorragende Hinterlassenschaft der Erbauer».
1962: Idee einer Schweizer «Mesonenfabrik»
1974: Inbetriebnahme SIN-Facility (später HIPA)
1976: Originalziel 0,1 Milliampere erreicht
1985: Injektor 2 übernimmt die Rolle des vorherigen Injektor 1
1988: Gründung des PSI als Zusammenschluss aus EIR und SIN
1996: Inbetriebnahme Neutronenquelle SINQ
2011: Inbetriebnahme UCN-Quelle
ab 2025 geplant: Upgrade-Projekt IMPACT
Und so ging es mit Verbesserungen und Aufwertungen an der Anlage weiter, stufenweise den Protonenstrom erhöhend. Im Jahr 1985 wurde der neue Vorbeschleuniger Injektor 2 in Betrieb genommen und liefert seither die Mittlere der drei Beschleunigungsstufen für die Protonen. Damit stieg die Protonenrate in Bereiche, die interessant waren für die Produktion einer weiteren Sorte Sekundärteilchen: Neutronen. Dies erforderte ein Target aus Blei im Zentrum einer komplett neuen Grossforschungsanlage: Die Neutronenquelle SINQ wurde gebaut. Seit 1996 erzeugt sie Neutronen für die Erforschung von Quantenmaterialien, die Durchleuchtung archäologischer Artefakte oder die Qualitätssicherung von Komponenten für die Raumfahrtindustrie.
Im Jahr 2011 kam zudem die etwas kleinere, dafür besondere Ultrakalte Neutronenquelle UCN hinzu – auch sie speist sich aus den Protonen von HIPA und ermöglicht ebenfalls Teilchenphysik, nämlich Untersuchungen zu den fundamentalen Eigenschaften des Neutrons.
«HIPA ist wirklich eine hervorragende Maschine», sagt Alex Amato, Leiter ad interim des Bereichs Forschung mit Neutronen und Myonen. «Das PSI ist ja für seine Grossforschungsanlagen bekannt, die nicht nur von uns selbst, sondern auch von Gastforschenden genutzt werden.» Diese kommen aus dem In- und Ausland und sowohl aus der akademischen Welt als auch aus der Industrie. Rund 40 500 solcher Besuche verzeichnete das PSI in den Jahren 2014 bis 2023. «Derzeit kommen etwa die Hälfte aller Gastforschenden für Experimente rund um HIPA ans PSI. Und was uns besonders freut: Sie kommen aus der Grundlagenphysik, der Archäologie, der Botanik, dem Maschinenbau und aus vielen weiteren, ganz verschiedenen Disziplinen und Fachrichtungen.»
Mehr Mesonen und Radionuklide für die Zukunft
Den Festakt zum 50-Jahr-Jubiläum sieht Amato nicht nur als Anlass, auf die Vergangenheit der Anlage zu blicken, sondern auch in ihre Zukunft. Denn die Evolution von HIPA ist noch keineswegs zu Ende, das nächste Upgrade steht bereits in den Startlöchern. Es trägt den Namen «IMPACT»: «Isotope and Muon Production with Advanced Cyclotron and Target Technologies».
IMPACT schreibt einerseits die Geschichte der Mesonenfabrik fort: Durch den Austausch eines der beiden Grafit-Targets und der zugehörigen Target-Umgebung wird die Anzahl der pro Sekunde verfügbaren Myonen um den Faktor 100 steigen, auf zukünftig 10 Milliarden Myonen pro Sekunde. Sowohl der Teilchenphysik als auch den Materialwissenschaften wird dies zugutekommen, deutlich präzisere Experimente ermöglichen als bisher und die weltweit gegebenen Grenzen des Erforschbaren weiter verschieben.
Der zweite Teil des Projekts IMPACT wird zudem eine ganz neue Anlage an HIPA aufbauen, an der Radionuklide für die gezielte Krebsdiagnostik und -therapie erzeugt werden sollen. Hier werden also mit den Protonen medizinisch relevante Isotope produziert und extrahiert. Die Forschenden wollen viele verschiedene Sorten Radionuklide erzeugen und erforschen, und dies in grösseren Mengen als bisher möglich. Die Universität Zürich und das Universitätsspital Zürich sind an dem Projekt beteiligt.
«Mit IMPACT bleiben wir an vorderster Front der aktuellen wissenschaftlichen Fragestellungen. Damit halten wir die Forschung an HIPA auch für die kommenden Jahrzehnte auf dem bisherigen Spitzenniveau», sagt Daniela Kiselev, Abteilungsleiterin Strahlbetrieb und Anlagenentwicklung am PSI und Leiterin des Projektmanagementteams für IMPACT. «Neuartige Materialien für die Technologien der Zukunft werden wir noch genauer untersuchen können als bisher. Wir werden ein Langzeitexperiment, das nach einem bestimmten Teilchenzerfall sucht und damit hilft, die Grenzen des sogenannten Standardmodells der Teilchenphysik auszuloten, verbessert weiterführen können. Und nicht zuletzt bringen wir mit den Radionukliden auch den Kampf gegen Krebs an unsere Hochenergie-Anlage.»
Das Upgrade IMPACT ist für die Schweizer Forschungsförderungsperiode ab 2025 geplant. Es wurde bereits in die Schweizer Roadmap für Forschungsinfrastrukturen aufgenommen. Ende 2024 wird das Schweizer Parlament über die kommende BFI-Botschaft entscheiden und somit über die Finanzierung von IMPACT.
Text: Paul Scherrer Institut/Laura Hennemann
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