Regisseure mit Zusatzaufgaben

Datenspeicher aus neuartigen Materialien sollen ermöglichen, Informationen auf kleinerem Raum viel schneller und energiesparender als bisher aufzuzeichnen. Filmaufnahmen mit dem Röntgenlaser zeigen, was im Inneren möglicher neuer Speichermedien passiert und wie sich die Prozesse, bei denen das Material zwischen zwei Zuständen wechselt, optimieren lassen.

Seinen Arbeitsplatz erreicht Henrik Lemke mit dem Velo. Privatautos dürfen nicht zum SwissFEL-Gebäude im Würenlinger Wald fahren, Liefer- und Lastwagen brauchen eine Bewilligung. Der Physiker ist als Strahllinienwissenschaftler verantwortlich für die Experimentierstation, die nach dem Schweizer Pass Bernina benannt wurde. Ende 2017 leitete er das erste Experiment am Schweizer Freie-Elektronen-Röntgenlaser, führte also gewissermassen Regie, als mit dem SwissFEL wie mit einer Hochgeschwindigkeitskamera aufgezeichnet wurde, wie ein Material gezielt von einem halbleitenden in einen leitenden Zustand – und wieder zurück – überführt wurde. Das PSI-Team untersuchte dazu gemeinsam mit einer Forschungsgruppe der französischen Universität Rennes ein Pulver von Nanokristallen aus Titanpentoxid. Die Probe wurde mit Infrarot-Laserpulsen bestrahlt, welche die Substanz dazu brachten, ihre Eigenschaften zu verändern. Die Röntgenpulse deckten dann auf, wie sich dabei die Kristallstruktur verzerrte und vergrösserte – eine Kaskade von dynamischen Prozessen, die offenbar von der Grösse der Kristalle abhängt. Weil der Effekt in Nanopartikeln des Materials umkehrbar ist, gilt dieses als vielversprechender Kandidat für besonders effiziente, wiederbeschreibbare Datenspeicher.

Die Regisseure: Henrik Lemke und Gerhard Ingold (Foto: Scanderbeg Sauer Photography)

Im Schichtbetrieb arbeiteten die Forschenden eine Woche lang rund um die Uhr, um den Premierenerfolg zu garantieren. Solche Experimente sind immer ein Teameffort, sagt Gerhard Ingold, der für den Aufbau der Messstation Bernina verantwortlich war: Es braucht aber einen Regisseur wie Henrik Lemke, der den Überblick hat, koordiniert und Entscheidungen fällt. Oft sind es Gruppen von in- und ausländischen Hochschulen, die mit Unterstützung der PSI-Teams Experimente an den Forschungsanlagen des PSI durchführen. Wir können aber auch eigene Experimente vorschlagen, sagt Gerhard Ingold: Dann sind wir die Drehbuchautoren. Ein Stück weit seien sie aber auch Filmkritiker, ergänzt Henrik Lemke: Wenn wir nach dem Experiment das Ergebnis interpretieren und uns fragen, was es bedeutet.

Neuartige Datenspeicher

Mit dem SwissFEL können wir Materialien nicht bloss anschauen, sondern verfolgen, was passiert, wenn man in ihnen eine Veränderung auslöst, sagt Gabriel Aeppli, Leiter der Photonenforschung am PSI. So schaffen die Forschenden Grundlagen für Materialien, aus denen die Speichermedien der Zukunft hergestellt werden könnten. Diese sollen nicht nur schneller und kompakter sein als die heutigen, sondern auch weniger Abwärme produzieren.

Alarm auf der Raumstation! Das Datenarchiv läuft über – ein kompakteres Speichermedium muss her. Ein Material aus Titanpentoxid-Nanopartikeln kann nun helfen: Seine Nanopartikel lassen sich mit den Lichtpulsen eines Infrarot-Lasers gezielt zwischen zwei Zuständen hin- und herschalten. So lassen sich Daten auf kleinstem Raum speichern und das Problem ist behoben. (Grafik: Nina Sörés/WirzFraefelPaal Productions AG)

Wir drehen keine reinen Dokumentarfilme, resümiert Henrik Lemke, sondern beeinflussen unsere Akteure – die Proben – so, dass sich auf der Ebene der Atome etwas bewegt, das etwa einen Schaltvorgang einleitet. Dann gilt es den richtigen Blickwinkel auf den Vorgang zu finden, der zeigt, was physikalisch passiert. Das ist manchmal nicht so einfach, sagt der Regisseur: Denn wir können mit unserer Kamera nicht überall hineinschauen. Gerhard Ingold vergleicht das Resultat mit einer Fernseh-Serie: Hat man eine Messung gemacht, fragt man sich, was man daraus gelernt hat und wie der nächste Schritt aussieht.

Text: Barbara Vonarburg