In einem auffälligen Gebäude auf dem westlichen Campus des Paul Scherrer Instituts PSI befindet sich die Synchrotron Lichtquelle Schweiz oder kurz: die SLS. Seit 2001 erzeugen hier enorm schnelle Elektronen erstklassige Röntgenstrahlen für die Forschung. Betriebsleiter Andreas Lüdeke war von Anfang an dabei. Er kennt die Anlage von aussen und von innen wie kaum ein anderer.
Wer durch den Aargau fährt und die gewundene Überlandstrasse von Böttstein nach Villigen nimmt, sieht linker Hand das Gelände des PSI und darauf ein grosses, kreisrundes Gebäude. Das Dach ist aus Teerpappe, reicht bis zum Boden und ist mit Flechten bewachsen. Die Menschen hier in der Gegend nennen es wegen seiner Form das Ufo
. Andreas Lüdeke betrachtet die schlichte Fassade und nennt es ein Understatement
. Denn das Gebäude beherbergt eine hochmoderne Forschungsanlage: die Synchrotron Lichtquelle Schweiz – kurz: SLS.
Lüdeke ist ihr Betriebsleiter und hält nun die Tür des seltsamen Bauwerks auf. Man tritt hinein und plötzlich ergibt sich ein ganz anderes Bild: Die Architektur ist modern, leicht und luftig. Der Blick nach oben zeigt geschmeidig geschwungene Balken aus hellem Holz, die eine ebenfalls hölzerne Decke tragen. Sie spannt sich in beträchtlicher Höhe und an einem Stück über die riesige runde Halle. Auch Lüdeke blickt nach oben und erklärt: Holz wurde aus Feuerschutzgründen gewählt.
Weil das paradox klingt, schiebt er die Erklärung nach: Stahlträger werden bei einem Brand schwächer, doch ihr schweres Eigengewicht bleibt. Brennt dagegen ein Holzbalken, wird dieser dünner und leichter und kann sich weiterhin selbst tragen. Die Deckenkonstruktion über der SLS ist daher nicht nur die eleganteste, sondern auch die kostengünstigste Lösung.
Ein grosser Ring für kleine Elektronen
Aber da das Gebäude nur das zweitspannendste an diesem Ort ist, wendet sich Lüdeke jetzt dem zu, weswegen wir eigentlich hier sind: der Forschungsanlage SLS. Diese besteht zunächst aus einem grossen Teilchenbeschleuniger, einem Elektronenspeicherring, der mit einem Umfang von 288 Metern beinahe den ganzen Durchmesser des runden Gebäudes einnimmt. Als Besucher sieht man davon nur eine übermannshohe Mauer aus dicken Betonplatten. Dahinter verläuft die Röhre, in der Abermilliarden Elektronen, in 390 Pakete gebündelt, mit 99,99998 prozentiger Lichtgeschwindigkeit im Kreis rasen. Konkret bedeutet das: In jeder Sekunde fliegt jedes Elektron eine Million Runden durch den gesamten Ring.
In mehreren Beschleunigern werden die Elektronen stufenweise auf diese enorme Geschwindigkeit gebracht, noch bevor sie in den Ring dürfen. Sowohl in den Beschleunigern als auch im Ring herrscht Vakuum, weil die Elektronen ansonsten ständig mit Luftteilchen kollidieren würden. Der Ring dient nun dazu, die Elektronen auf einer konstanten Geschwindigkeit und eng beieinander zu halten: Es ist eben ein Speicherring. Darin werden die Elektronen ständig überprüft, vermessen und in ihrem Lauf korrigiert. Entlang des Speicherrings gibt es mehr als 100 000 Kontrollinstrumente für Temperatur, Magnetströme, Vakuumdruck und dergleichen mehr. Um die Elektronen auf ihrer Kreisbahn zu halten und die Elektronenpakete eng zu bündeln, umschliessen zudem in regelmässigen Abständen Magnete, jeder etwa so gross wie eine Umzugskiste, die Elektronenröhre: Insgesamt sind an der SLS mehrere hundert Magnete verbaut. Kurz gesagt: Jeder Zentimeter entlang des Elektronenrings ist verpflastert
, so Lüdeke.
Meisterleistung Top-up Prinzip
Das Besondere am Elektronenspeicherring der SLS: Er hält dauerhaft seine Intensität, also die Anzahl der Elektronen im Strahl. Dies ist nicht selbstverständlich, da mit der Zeit immer ein paar Elektronen verloren gehen; unter anderem weil trotz Vakuum ein paar verbleibende Luftatome die Elektronen aufhalten und weil die Elektronen manchmal schlicht miteinander kollidieren. Daher wurde die SLS mit einem sogenannten Top-up-Prinzip entworfen und gebaut: Alle paar Minuten werden zusätzliche Elektronen beschleunigt und in den Speicherring eingeschleust. Sie werden dabei stets so dosiert, dass der Elektronenverlust im Ring genau aufgehoben wird.
Was einfach klingt, erfordert viel physikalisches und technisches Geschick. Denn die hinzukommenden Elektronen müssen bereits zuvor auf ihre endgültige Geschwindigkeit beschleunigt werden und dürfen zudem den bestehenden Elektronenstrahl nicht stören. Sie müssen wie einzelne Fische sein, die sich einem Schwarm anschliessen, ohne dass dieser sie bemerkt.
Doch obwohl so viel technischer Aufwand für den perfekten Elektronenstrahl betrieben wird, ist dieser nur Mittel zum Zweck: Das eigentliche Produkt der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS ist – wie der Name sagt – Licht, genauer gesagt Röntgenlicht. Dafür werden an 16 Punkten entlang des Speicherrings die Elektronenpakete durch speziell angeordnete Magnete geleitet. In diesen werden sie abgelenkt und senden dabei sogenanntes Synchrotronlicht aus. Dieses entsteht, weil die Elektronen in der Kurve minimal abgebremst werden und ihre verlorene Bewegungsenergie zu Lichtenergie wird. Im Falle der SLS ist dies Röntgenlicht.
Elektronen auf dem Slalomkurs
Bei knapp der Hälfte dieser 16 Strahlquellen sind einfache Magnete mit einem magnetischen Nord- und Südpol verbaut, zwischen denen die Elektronen hindurch fliegen. Hierbei entsteht Röntgenlicht, dessen Strahl die Form eines breiten, flachen Fächers hat, von dem sich die einzelnen Messplätze ein Stück ausschneiden. An den übrigen Strahlquellen dagegen ist die Magnetanordnung komplexer: Mehrere Magnete hintereinander zwingen die Elektronen auf einen Slalomkurs. Eine solche Slalomstrecke nennt sich Undulator. In jeder Kurve des Undulator-Slaloms müssen die Elektronen ein wenig abbremsen und senden dabei Röntgenlicht aus. Durch den exakt eingestellten Abstand zwischen den Slalomkurven verstärken sich die Röntgenstrahlen aus jeder einzelnen Kurve immer weiter.
Am Ende der Undulator-Strecke erhalten die Forschenden somit einen eng gebündelten, intensiven Röntgenstrahl mit den genau passenden Eigenschaften für das jeweilige Experiment. Im Jahr 2008 wurde hier der Weltrekord des schlanksten Röntgenstrahls aufgestellt, mit nur drei Mikrometern im Durchmesser, also drei Tausendsteln eines Millimeters. Zudem schwankt der Röntgenstrahl um weniger als einen Mikrometer – eine wichtige Voraussetzung für anspruchsvolle Messungen mit höchster Ortsauflösung.
Die besondere Qualität dieser Röntgenstrahlen macht die SLS zu einer hochkarätigen und renommierten Anlage, an der viele Forschende aus der ganzen Welt ihre Proben vermessen wollen. Mehr als 20 Messplätze gibt es an der SLS – einige experimentelle Aufbauten wechseln sich bei der Nutzung einer Strahlquelle ab. Dennoch übersteigt die Nachfrage das Angebot, so dass nur ein Drittel der anfragenden Wissenschaftler an die SLS kommen können. Das dient aber auch als Qualitätsfilter
, gibt Lüdeke zu: Nur die Wissenschaftler mit den besten Forschungsvorhaben erhalten für ihre Experimente an einem der SLS-Messplätze ein gewisses Zeitfenster, auch beam time
genannt.
Von Fossilien bis Proteinen
Unter anderem haben britische Forschende hier an der SLS Fossilien der ersten Säugetiere aus der Jura-Periode untersucht. Per Röntgentomografie vermassen sie die winzigen Abnutzungskratzer auf den Zähnen dieser frühen Tiere. So konnten sie darauf schliessen, dass sich unterschiedliche Säugetierarten auf unterschiedliche Beute-Insekten spezialisiert hatten: Schon unsere Vorfahren vor 200 Millionen Jahren waren beim Essen wählerisch.
Andere Wissenschaftler untersuchen an der SLS neuartige Materialien im Bereich der Hochtemperatursupraleitung oder der Spintronik. Wieder andere entschlüsseln Proteine, um wesentliche Vorgänge im menschlichen Organismus zu verstehen.
Während die Forschenden in der Halle der SLS ihre sensiblen Messungen durchführen, sitzt Lüdeke oft im Gebäude nebenan. Hier befindet sich der Kontrollraum. Der funktionale und doch einladende Raum ist mit Bildschirmen vollgepflastert und würde die Besatzung des Raumschiffs Enterprise neidisch machen. Auf den Monitoren sind die unzähligen Messparameter aller Beschleuniger-Anlagen am PSI zu sehen. Neben Lüdeke arbeiten hier etliche von ihm geschulte Operateure. Lüdeke selbst, von der Ausbildung Physiker mit Spezialisierung auf Teilchenbeschleuniger, ist zudem Ansprechpartner der Forschenden, wenn der Röntgenstrahl einmal nicht so will wie sie.
Ein uraltes Fundament
Seit 1999 arbeitet Lüdeke hier – er kennt die SLS von Anfang an, noch bevor sie 2001 ihren Betrieb aufnahm. Er hat den Bau des Ufos
miterlebt und kann erzählen, wie ganz zum Schluss die elf Felsenbirnen per Helikopter zur Bepflanzung des kreisrunden kleinen Innenhofs herabgelassen wurden.
Betrachtet man nun das Gebäude wieder von aussen, hat man neuen Respekt vor dieser Leichtbauweise, die solch ein Schwergewicht der Forschung beherbergt. Und Lüdeke verrät noch ein Detail: Das Fundament des Bauwerks wurde in gewissem Sinne schon vor über zehntausend Jahren gelegt, als die Region von Gletschern überzogen war. Sie verfestigten den Untergrund so gründlich, wie es keine menschliche Maschine vermag. Wer also heute an der SLS Proteine oder Supraleiter untersucht, verdankt bei seinen empfindlichen Messungen auch diesen Gletschern die nötige Messstabilität.
Text: Paul Scherrer Institut/Laura Hennemann
Weiterführende Informationen
- Eine Sammlung populärer Texte zur Forschung an der SLS
- Vertiefte Informationen zur SLS (nur in englischer Sprache verfügbar)
Kontakt
Dr. Andreas Lüdeke, Betriebsleiter der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS, Paul Scherrer InstitutTelefon: +41 56 310 40 02, E-Mail: andreas.luedeke@psi.ch