Interview Gebhard Schertler

«Strategie und Vernetzung sind enorm wichtig»

Gebhard Schertler, Leiter des Bereichs Biologie und Chemie am PSI und gleichzeitig Professor für Strukturbiologie an der ETH Zürich, erklärt, welche Forschung zum Corona-Virus am PSI stattfindet und welche Bedeutung die Kooperation mit Forschenden anderer Institutionen dabei hat.

Gebhard Schertler, Leiter des Forschungsbereichs Biologie und Chemie am Paul Scherrer Institut PSI und Professor für Strukturbiologie an der ETH Zürich. (Foto: Scanderbeg Sauer Photography)

Herr Schertler, Sie und Ihre Kollegen helfen derzeit dabei, das Virus SARS-CoV-2, das in der Öffentlichkeit auch als Covid-19 bezeichnet wird, genauer zu erforschen. Was können Sie dafür tun?

Gebhard Schertler: Das PSI hat eine lange Tradition in der biologischen Forschung. Wir haben uns dabei schon immer auf Strukturbiologie konzentriert, also mit der Frage beschäftigt, wie bestimmte Verbindungen in Organismen aufgebaut sind, weshalb sie so und nicht anders aufgebaut sind und wie sie in das Gesamtgefüge eines lebenden Organismus passen. Vornehmlich handelt es sich dabei um Proteine. Diese Moleküle untersuchen wir am PSI mit dem Know-how von Forschenden aus vielen verschiedenen Disziplinen.

Die allermeiste Forschung hat dabei einen medizinischen Hintergrund, zum Beispiel Themen wie Krebs oder neurodegenerative Erkrankungen. Bislang stand die Virologie zwar nicht im Mittelpunkt unserer Aktivitäten. Trotzdem profitieren wir nun von unserer guten Einbindung ins akademische Umfeld im Bereich der biomedizinischen Forschung.

Inwiefern?

Als klar wurde, wie schwerwiegend die Folgen der Pandemie sein würden, haben wir im Direktorium des PSI zügig beschlossen, ein Wissenschaftsprogramm zu dem Thema Covid-19 ins Leben zu rufen, um kurzfristig zu helfen, aber auch um eine langfristige Strategie zu entwickeln. Dabei sprechen wir uns auch eng im gesamten ETH-Bereich ab, und es ist selbstverständlich hilfreich, dass ich Mitglied der Task-Force zu Covid-19 des ETH-Bereichs bin. Das ist eine gute Plattform, um sich ständig mit allen Institutionen des Bereichs abzusprechen und zu koordinieren.

Ein wichtiges Ziel dieser und weiterer Kooperationen ist, unsere spezifischen Stärken in die Zusammenarbeit einzubringen. Zum Beispiel die Aufklärung von biologischen Strukturen bis auf die Ebene einzelner Atome und die Bildgebung mithilfe der Röntgenmikroskopie.

Unter anderem lief bereits in der Vergangenheit ein Projekt am PSI, bei dem wir mit Forschenden der Universität Bern Lungengewebe mithilfe von dreidimensionaler Röntgenmikroskopie untersucht haben. Darauf bauen wir nun auf und werden Gewebeproben von Covid-19-Patienten aus Italien analysieren, die wir in den kommenden Wochen erhalten werden. Unter anderem werden wir dann dreidimensionale, röntgenmikroskopische Aufnahmen des Gewebes machen.

Was wollen Sie damit erforschen?

Die Lunge eines mit dem Virus infizierten Menschen leidet nicht nur unter der Infektion selbst, sondern teilweise auch unter der heftigen Reaktion des Immunsystems. Dabei bilden sich Wassereinschlüsse im Lungengewebe, die mosaikartig verteilt sind. Das ist ein wesentlicher Grund dafür, dass die Patienten bei schweren Verläufen der Infektion nicht mehr ausreichend atmen können. Wie und warum das letztendlich so passiert, wollen wir mit den Studien am Lungengewebe herausfinden.

Ist die Arbeit mit solchen Geweben nicht gefährlich, weil darin auch Virus-Partikel enthalten sind?

Nein, denn dafür existieren strenge Sicherheitsvorschriften. Insbesondere lagern die Gewebeproben in Formalin, sodass kein vermehrungsfähiges Virus mehr darin enthalten ist. Es ist auf jeden Fall sichergestellt, dass wir kein infektiöses Material bekommen. Damit dürften wir nicht arbeiten.

Führen Sie weitere Projekte durch, von denen die Corona-Forschung profitiert?

Wir arbeiten schon länger mit dem Universitätsspital in Zürich mit einer Forschergruppe rund um Adriano Aguzzi zusammen, ursprünglich im Bereich der neurodegenerativen Erkrankungen, um bestimmte Proteine des Nervensystems zu erforschen. Unsere Aufgaben dabei waren bislang schon, Proteine in Zellkultur zu produzieren und ihre Struktur zu analysieren. Diese Erfahrung nutzen wir nun, um Proteine des Virus zur Verfügung zu stellen. Die ersten Chargen haben wir bereits nach Zürich geliefert. Dort werden sie bei sogenannten serologischen Tests an Blutproben verwendet. Damit lässt sich nachweisen, ob derjenige, von dem die Probe stammt, mit dem Virus infiziert ist oder nicht. Ausserdem werden wir dabei helfen, sogenannte Antikörper, die das menschliche Immunsystem zur Abwehr des Virus produziert, genau zu analysieren, um mit diesem Wissen Antikörper zu produzieren, mit denen man Patienten therapieren könnte.

Stossen Sie bei der Erforschung von Covid-19 auf spezifische Schwierigkeiten?

Wie ich schon sagte, stand die virologische Forschung nicht im Zentrum unserer Aktivitäten. Wir wollen aber auch unseren Beitrag für die Gesellschaft in dieser aussergewöhnlichen Zeit leisten, und steuern deshalb hier gerade um. Dazu arbeiten wir mit anderen Einrichtungen zusammen. So steht uns am PSI selbst kein Hochsicherheitslabor zur Verfügung, wie es mit dem Labor Spiez im Kanton Bern existiert. Deshalb kooperieren wir mit der Gruppe von Volker Thiel von der Universität Bern, der dort mit vermehrungsfähigen Viren arbeiten kann. In dieser Kooperation untersuchen wir beispielsweise, ob das Virus auch Kulturen von Lungenzellen im Labor infiziert, mit denen wir bereits Erfahrung haben und die wir routinemässig züchten.

Was könnten Sie dann damit machen?

Wenn die Infektion von Zellkulturen im Labor funktioniert, können wir testen, ob ein Antikörper, den wir, wie oben beschrieben mithilfe von Strukturanalysen als mögliches Therapeutikum gegen das Virus identifiziert haben, diese Infektion verhindert. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie man eine Strategie zur Lösung eines neuen Problems entwickeln und auf bisherigen Erfahrungen aufbauen kann. Das gelingt aber nur, weil wir gut im wissenschaftlichen Umfeld vernetzt sind. Strategie und Vernetzung sind generell, aber auch speziell im Kampf gegen das Virus, enorm wichtig.

Nutzen Sie weitere Kooperationen für Ihre Aktivitäten im Zusammenhang mit Covid-19?

Wir arbeiten nicht nur mit akademischen Partnern zusammen, sondern auch mit Unternehmen. So hat das PSI-Spin-off leadXpro bereits zwei Proteine für uns produziert. Das PSI-Spin-off InterAx liefert uns Zellen, die wir für unsere Forschung benötigen. Ausserdem führen wir derzeit Gespräche mit dem Biotech-Startup Linkster Therapeutics AG und dem Pharmakonzern Roche, um auszuloten, wie wir gegenseitig von einer Kooperation zum Thema Covid-19 profitieren und die Forschung vorantreiben können. Der Austausch mit Partnern aus der Wirtschaft ist für uns noch aus einem anderen Grund wichtig. Selbst wenn wir am PSI vor allem Grundlagenforschung betreiben, wollen wir die Übersetzung von Wissen in konkrete Anwendungen nicht aus den Augen verlieren.

Behindern die aktuellen Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie Ihre Arbeit stark?

Leider ja. Derzeit dürfen nur eine oder zwei Personen pro Raum arbeiten. Das verlangsamt beispielsweise die Produktion von Proteinen enorm. Ich schätze, dass wir da etwa achtmal so lange brauchen wie unter normalen Bedingungen.

Interview: Paul Scherrer Institut/Sebastian Jutzi

Kontakt/Ansprechpartner:

Prof. Dr. Gebhard Schertler
Leiter des Forschungsbereichs Biologie und Chemie
Paul Scherrer Institut, Forschungsstrasse 111, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon +41 56 310 42 65, E-Mail: gebhard.schertler@psi.ch [Deutsch, Englisch]

Weiterführende Informationen

Forschung zu Covid-19