Mit ihrem eigens für den Schweizer Stromsektor angepassten Modell STEM-E haben Forscher des Paul Scherrer Instituts PSI verschiedene Szenarien der zukünftigen Schweizer Stromversorgung analysiert. Sie kommen zu dem Schluss, dass jede Alternative zur heutigen Stromversorgung mit zusätzlichen Systemkosten, mit Risiken und Chancen verbunden sein wird. Auch Nachaltigkeitsziele wie der Klimaschutz und die Unabhängigkeit vom Ausland bei der Stromversorgung der Schweiz könnten Abstriche erleiden. Zudem deutet die Analyse der PSI-Wissenschaftler darauf hin, dass die Stromerzeugungskosten bis 2050 wahrscheinlich um mindestens 50 Prozent steigen werden.
Die Zukunft des Stromsystems in der Schweiz wird von vielen Faktoren abhängen. Dazu zählen die Verfügbarkeit und Kosten von neuen Technologien wie Solar- und Windkraftwerken, die politischen Ziele bezüglich Reduktion von Treibhausgasemissionen, die Möglichkeit des Stromhandels mit Nachbarländern und nicht zuletzt die zukünftige Stromnachfrage. Viele dieser Einflussgrössen sind allerdings wiederum an kaum vorhersagbare Faktoren gebunden wie das Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum, technologische Entwicklungen oder künftige politische Massnahmen. Die am PSI durchgeführte Analyse versucht, all dies zu berücksichtigen. Gemäss verschiedenen Studien könnte der Stromverbrauch in der Schweiz im Jahr 2050 zwischen 53 und 85 Terawattstunden (TWh) betragen (aktuell: 60 TWh). Der grosse Schwankungsbereich verdeutlicht den Grad der Ungewissheit in Bezug auf die zukünftige Stromnachfrage. In Grafik 1 sind dieser Schwankungsbereich sowie die drei vom Bund untersuchten Nachfrageszenarien ersichtlich:
Im Weiter-wie-bisher-Szenario (WWB) steigt die Nachfrage stetig bis 2050.
Im Szenario Politische Massnahmen (PoM) geht man von einer erfolgreichen Implementierung der ersten Massnahmen der Energiestrategie 2050 aus. Die Nachfrage sinkt in diesem Szenario in den nächsten 20 Jahren zunächst leicht, um dann wieder zuzunehmen.
Im Szenario Neue Energiepolitik(NEP) wird angenommen, dass verstärkte und international harmonisierte Massnahmen zur Erschliessung von Effizienzpotentialen führen. Der Stromverbrauch sinkt in diesem Szenario ab sofort und beträgt im Jahr 2050 10 Prozent weniger als heute. Die PSI-Forscher konzentrieren sich bei ihrer Analyse der künftigen Stromversorgung auf diese drei Szenarien des Bundes.
Woher kommt der Strom?
Auf der Angebotsseite sind die Möglichkeiten vielfältig. Jede Technologie hat allerdings Vor- und Nachteile. So sind Gaskraftwerke zwar rasch und relativ günstig zu bauen und bieten eine hohe Flexibilität im Betrieb, weil sie schnell hoch- und heruntergefahren werden können. Aber sie schaffen eine Abhängigkeit von Gasimporten und verschlechtern die CO2-Bilanz des Stromsektors. Erneuerbare Energietechnologien wie Wind- und Solarkraftwerke sind klimafreundlicher, aber nicht immer verfügbar und zum Teil noch kostenintensiv in der Investitionsphase. Auch die Kernenergie verursacht hohe Investitionskosten, sie ist aber im Betrieb mittel- und langfristig die kostenoptimale Alternative, besagt die Studie. Wichtige Herausforderungen bleiben hier die Entwicklung von inhärent sicheren Kernreaktoren und eines Gefühls von Sicherheit bei der gesamten Bevölkerung sowie die Entsorgung der nuklearen Abfälle, welche mit ungewissen Kosten verbunden ist. Drei Szenarien für die Zukunft der Schweizer Stromversorgung
Die PSI-Wissenschaftler untersuchten vor diesem Hintergrund eine Vielzahl von Optionen für die Zukunft der Stromversorgung in der Schweiz. Unter der Annahme, dass die Stromnachfrage dem PoM-Pfad folgt haben Sie sich widerum auf drei Szenarien konzentriert:
Als Referenzszenario wird eines bezeichnet, in dem die vor dem Unfall von Fukushima geltenden Randbedingungen bestehen bleiben: Zum einen ist der Bau neuer KKW möglich. Zum anderen bleibt die Stromhandelsbilanz der Schweiz über das Jahr betrachtet ausgeglichen, das heisst es wird jährlich genauso viel Strom importiert wie exportiert.
Im Gas-Szenario wird der Bau neuer KKW ausgeschlossen. Der jährliche Ausgleich von Stromimporten und –exporten bleibt bestehen.
Im Erneuerbaren (auch Import-) Szenario werden weder Kern- noch Gaskraftwerke in der Schweiz gebaut. In diesem Fall muss allerdings die Bedingung der ausgeglichenen Stromhandelsbilanz gelockert werden, denn die erneuerbaren Energien alleine können die Nachfrage nicht vollständig abdecken. Netto-Importe steuern in diesem Szenario einen Teil des Stromangebots bei.
Kurzfristig, also bis in den nächsten 10 Jahren, wird in allen drei Szenarien wahrscheinlich eine Stromlücke entstehen. Denn in diesem Zeitraum sollen die drei ältesten Kernkraftwerke(Mühleberg, Beznau I und II) vom Netz gehen. Die Analyse der PSI-Forscher besagt, dass Gaskombikraftwerke kurzfristig eine der kostengünstigsten Alternativen bieten würden, ohne die Abhängigkeit von Importen zu erhöhen. Um die Klimaziele unter diesen Umständen langfristig einzuhalten, seien allerdings weitere Investitionen in die bestehenden Wasserkraftwerke sowie in die Entwicklung von neuen erneuerbaren Energieträgern unerlässlich. Denn die gasbefeuerte Stromerzeugung würde erhebliche Mengen CO2 zusätzlich in die Atmosphäre setzen.
Zusatzkosten der Alternativen
Die Analyse der PSI-Forscher benennt verschiedene, langfristig kosteneffiziente Technologieoptionen für die Stromversorgung in diesen drei Szenarien. Jeder Versorgungsmix geht mit unterschiedlichen Stromerzeugunskosten einher.
Im Referenzszenario mit einer fortgesetzten Nutzung der Kernenergie – diese wird in der Studie als die kostengünstigste Option zur Stromerzeugung angenommen – sind die Kosten am tiefsten. In den Szenarien Gas und Erneuerbare hingegen könnte sich der Strompreis fast verdoppeln, je nach Nachfrageszenario (siehe Grafik). In diesen beiden Szenarien müssten zudem Kompromisse zwischen Versorgungssicherheit und Klimazielen gefunden werden. Allerdings hätten diese alternativen Szenarien den Vorteil, dass das Risiko eines Nuklearunfalls auf Schweizer Boden samt den dazugehörigen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Folgen nicht existent ist.
Im Gas-Szenario wäre der Bau von Gaskombikraftwerken, kombiniert mit Fotovoltaik und Windenergie die günstigste Lösung, wenn man keine Netto-Stromimporte will. Im Jahr 2050 würde man sieben grosse Gaskombikraftwerke benötigen, um die Nachfrage zu decken. Dies würde aber eine Abhängigkeit von Gasimporten schaffen. Die Ausgaben für Gasimporte würden 35 Prozent der gesamten Systemkosten ausmachen. Die derzeitigen nationalen Klimaziele könnten nicht eingehalten werden.
Im Erneuerbaren- (Import)-Szenario wird das Potenzial der neuen erneuerbaren Energien (Sonne, Wind, Biomasse) voll ausgeschöpft. Diese können aber die Nachfrage nicht abdecken, weshalb Netto-Stromimporte unvermeidbar sind.(ausser im Szenario mit der tiefsten Nachfrage [NEP]).In diesem Szenario nehmen also die Kapitalkosten für den Ausbau der Erneurbaren sowie für Stromimporte einen entscheidenden Einfluss auf den Strompreis. Bis zu einem Fünftel des Stroms wird in diesem Szenario importiert. Dies wird vor allem im Winter notwendig sein, wenn Photovoltaik und Wasserkraft eine verringerte Produktion aufweisen. Daher ist die Entwicklung der Strompreise im europäischen Ausland ebenfalls von grosser Bedeutung, wenn der Ausbau der Erneuerbaren forciert wird.
Im Referenz-Szenario wird Strom durch Kernkraftwerke erzeugt. Dies führt mittel- und langfristig zu tieferen Stromerzeugungskosten, wobei hier angenommen wird, dass keine zusätzlichen und möglicherweise teuren Sicherheitsmassnahmen an KKW vorgenommen werden müssen. In die Rechnung eingeflossen sind allerdings die zurzeit geltenden Abgaben für den Stilllegungs- und Entsorgungsfonds des Bundes.
Empfehlungen für eine sichere, klimafreundliche Stromversorgung
In den hier beschriebenen Szenarien zeichnet sich also ab, dass der Strom in der Schweiz in 40 Jahren wahrscheinlich wesentlich mehr kosten wird als heute. Hinzu kommen werden noch die Kosten für den Unterhalt bestehender Stromnetze und den Bau neuer Stromleitungen. Die PSI-Forscher betonen aber, dass die Kosten alleine nicht über die Umgestaltung des Stromsektors in der Schweiz entscheiden sollten. Ökologische und soziale Faktoren sowie die noch ungewisse Entwicklung beim Klimaschutz sollten ebenfalls die Entscheidungsfindung beeinflussen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig festzuhalten, dass bei den vorliegenden Szenarien keine Risikoabschätzung der vorgestellten Technologien vorgenommen wurde. Eine solche Riskoabschätzung wurde jedoch in einer früheren Studie durchgeführt und im PSI-Energiespiegel Nr. 20/2010 vorgestellt.
Die PSI-Wissenschaftler haben mit ihrer Analyse Optionen identifiziert, welche die politischen Massnahmen des Bundes stützen könnten, um auch in einer Zukunft ohne Nuklearstrom die Ziele des Klimaschutzes und der Versorgungssicherheit zu erreichen. Dazu zählen könnten der Abschluss von langfristigen Stromimport-Verträgen mit zuverlässigen Partnern, der Ausbau der Stromspeicherkapazität, der Erhalt eines positiven Investitionsklimas, die Förderung von Energieeffizienz-Massnahmen sowie die Intensivierung der Forschung und Entwicklung im Energiebereich.