Die Immunzellen schützen unseren Körper vor eindringenden Krankheitserregern. Das Rezeptorprotein CCR5 auf den T-Zellen, einer Sorte von Abwehrzellen, übernimmt dabei eine wichtige Rolle. Gleichzeitig ist dieses Protein jedoch auch ein Einfallstor für HI-Viren. Ein Konsortium von Forschenden des Paul Scherrer Instituts PSI, des Biozentrums an der Universität Basel und der Universität Genf hat nun entschlüsselt, wie der CCR5-Rezeptor aktiviert wird. Die Arbeit liefert wichtige Erkenntnisse, um Therapien gegen AIDS, Krebs und entzündliche Erkrankungen zu entwickeln.
Eine wichtige Barriere im Kampf gegen Krankheitserreger sind die Abwehrzellen unseres Immunsystems, darunter die T-Lymphozyten. Durch Botenstoffe, die Chemokine, werden sie zum Infektionsherd geleitet und beseitigen dort die Keime. Auf der Oberfläche der Immunzellen finden sich Andockstellen für die Chemokine, und einer der bekanntesten dieser Rezeptoren ist CCR5. Er dient gleichzeitig dem Aids-Virus als Eintrittspforte in die Zelle und ist deshalb ein wichtiger Angriffspunkt für HIV-Medikamente. Auch bei Entzündungsreaktionen, zum Beispiel im Zuge von Covid-19, oder bei Krebs spielt CCR5 eine entscheidende Rolle.
Nur von manchen Chemokinen aktiviert
Mehrere Studien haben bereits entschlüsselt, wie der Rezeptor CCR5 in inaktiver Form aussieht. Sie lieferten damit Einblicke in die Wirkungsweise von HIV-Inhibitoren, die die Viren daran hindern, in die T-Zelle einzudringen. Unklar war bislang jedoch, wie der Rezeptor aktiviert wird. Ein genaues Bild davon hat nun ein Team von Forschenden am Paul Scherrer Institut, am Biozentrum der Universität Basel und der Universität Genf gewonnen. Im Fachjournal Science Advances erklären sie, warum nur manche Chemokine den CCR5-Rezeptor aktivieren, andere ihn aber blockieren.
Tiefes Eindringen
CCR5 gehört zur grossen Familie der G-Protein-gekoppelten Rezeptoren. Diese funktionieren wie eine Art Gegensprechanlage: Sie sind in der Wand (der Zellmembran) angebracht, und jemand (eine chemische Substanz) ruft von ausserhalb an, um Informationen ins Innere (in die Zelle) zu übertragen. Im Fall von CCR5 können nur bestimmte Chemokine «anrufen», um dadurch in der Zelle ein Räderwerk in Gang zu setzen, das beispielsweise die Immunzellen dazu veranlasst, zum Ort der Infektion zu wandern. Die Autoren der neuen Studie haben nun herausgefunden, wovon es abhängt, ob ein Chemokin CCR5 aktivieren kann oder nicht: Entscheidend ist die Struktur des Chemokinanfangs, sein sogenannter N-Terminus.
«Sowohl die Abfolge der Aminosäuren als auch ihre Struktur im N-Terminus der Chemokine bestimmen, wie dieser Abschnitt in den CCR5-Rezeptor eindringen kann», erklärt PSI-Forscherin Ching-Ju Tsai. «Gewisse Aminosäuren an Schlüssel-Positionen sorgen für eine geradlinige Struktur am N-Terminus – und das erlaubt ein tieferes Eindringen in den Rezeptor. Das wiederum führt zu Veränderungen im CCR5-Rezeptor, welche die zelluläre Maschinerie anwerfen.» Andere Aminosäuren an diesen Positionen bewirken stattdessen eine sperrige, abgeknickte N-terminale Struktur, die nicht tief genug in den Rezeptor eindringen kann, um ihn zu aktivieren. Dadurch wird der Rezeptor im inaktiven Zustand blockiert.
Wichtig für die Wirkstoffentwicklung
Die verschiedenen Typen von Chemokinen und Chemokinrezeptoren weisen grosse Ähnlichkeiten in ihren Aminosäuresequenzen und Architekturen auf. Doch winzige Abweichungen in den Rezeptoren oder den Chemokinen entscheiden darüber, wer welchen Rezeptor aktiviert. «Wir wollten das Zusammenspiel zwischen Chemokinen und dem CCR5-Rezeptor auf atomarer Ebene verstehen», fasst Xavier Deupi vom PSI zusammen, einer der Hauptautoren der Studie. «CCR5 ist seit langer Zeit in der Aids-Forschung relevant, aber das Protein ist auch an anderen Krankheiten beteiligt. Zu verstehen, wie Chemokine an CCR5 und an andere Rezeptoren binden und sie aktivieren, ist der erste Schritt, um gezielt neue Medikamente zu entwerfen, die Prozesse im Immunsystem beeinflussen.»
Die CCR5-Hemmer, die heute auf dem Markt sind, tragen erheblich zum Behandlungserfolg bei Aids-Patienten bei; weitere befinden sich in klinischen Studien, mit dem Ziel, die Übertragung des HI-Virus zu verhindern. Auch bei der Behandlung metastasierender Tumore zeigt die Hemmung von CCR5 erste Erfolge. Die aktuelle Studie verbessert unser Verständnis, wie die Aktivierung von Chemokinrezeptoren funktioniert, von denen viele bei Infektionskrankheiten, Autoimmunkrankheiten und Krebs eine Rolle spielen. Auch schaffen die Forschenden damit eine Basis, um HIV-Medikamente zu verbessern oder neue Substanzen zu entwickeln, die gezielt in das Immunsystem eingreifen können.
Text: Erstellt auf der Grundlage einer Medienmitteilung des Biozentrums der Universität Basel mit Ergänzungen des Paul Scherrer Instituts
Kontakt/Ansprechpartner
Dr. Xavier Deupi
Labor für Biologie und Chemie
Paul Scherrer Institut, Forschungsstrasse 111, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 33 37, E-Mail: xavier.deupi@psi.ch [Englisch, Katalanisch, Spanisch]
Originalveröffentlichung
Structural basis of the activation of the CC chemokine receptor 5 by a chemokine agonist
P. Isaikina, C.-J. Tsai, N. Dietz, F. Pamula, A. Grahl, K.N. Goldie, R. Guixà-Gonzàlez, G.F.X. Schertler, O. Hartley, H. Stahlberg, T. Maier, X. Deupi, S. Grzesiek
Science Advances, 16. Juni 2021 (online)
DOI: 10.1126/sciadv.abg8685
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