Interview Oliver Bunk

«Wir wollen verstehen, wie dieses Virus funktioniert»

Die Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS am PSI ist trotz der Covid-19-Pandemie weiter in Betrieb – und wird möglicherweise gerade in diesen schwierigen Zeiten dringend benötigt. Oliver Bunk, Leiter des Labors für Makromoleküle und Bioimaging, erklärt wieso.

Oliver Bunk, Leiter des Labors für Makromoleküle und Bioimaging in der Halle der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS
(Foto: Kellenberger Kaminski Photographie/ETH-Rat)
Der schwarze Robotergreifarm platziert Proben an der Experimentierstation einer Strahllinie für Proteinstrukturanalysen der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS.
(Foto: Paul Scherrer Institut)
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Herr Bunk, wir sprechen per Videotelefonat und ich sehe hinter Ihnen Büroregale, richtig?

Oliver Bunk: Ja, ich bin gerade in meinem Büro an der SLS. Viele der umliegenden Büros und viele der Labore sind leer. Aber man könnte sagen, diese Leere täuscht. Denn am PSI wird weiter gearbeitet: vom Home-Office aus. Und ja, auch in den Laboren passiert etwas – nur eben von Ferne.

Das geht?

Ja. Beispielsweise hatten wir an den SLS-Strahllinien zur Proteinstrukturanalyse schon vorher die Möglichkeit, Experimente per Fernsteuerung durchzuführen. Es muss dann nur noch eine Person vor Ort sein, die die Proben für den Robotergreifarm bereitstellt. Schon vor Corona wurden bei uns etwa 30 Prozent der Experimente via Fernsteuerung durgeführt. Als sich dann die Pandemie abzeichnete, haben wir innerhalb weniger Tage eine beeindruckende Anstrengung unternommen, diesen Wert heraufzusetzen. Und wir waren erfolgreich: Jetzt laufen tatsächlich 100 Prozent der Experimente zur Proteinstrukturanalyse per Fernsteuerung.

Seit Beginn der Pandemie gibt das PSI der Forschung am neuartigen Coronavirus absolute Priorität und es sollen bald erste Untersuchungen beginnen. Wie hilft diese PSI-Forschung, Covid-19 zu bekämpfen?

Wir können hier an der SLS dazu beitragen, zu verstehen, wie dieses Virus funktioniert. Wie es an die Zellen unseres Körpers andockt, also an die Zellmembran. Und wie sich das Virus vermehrt. Denn wenn man das weiss, kann man das Funktionieren und das Vermehren auch verhindern. Am Ende wird es darum gehen, wie man mit Medikamenten die Virusverteilung im Körper stoppen kann.

Wie sieht denn die Forschung an dem Virus genau aus?

Stellen Sie sich das Virus als Maschine vor, die aus vielen Teilen besteht. Um das Virus lahmzulegen, muss man die einzelnen Bauteile verstehen − beim Virus sind das vor allem die Proteine, also die Eiweisse.

Das Corona-Virus selbst ist kugelförmig und rund einhundert Nanometer gross; sein Durchmesser beträgt also ein Tausendstel des Durchmessers eines menschlichen Haars. Entsprechend kleiner sind seine Bausteine. Und mit der Röntgenstrahlung der SLS können wir diese winzigen Proteine untersuchen.

Warum die Faszination für Proteine?

Überall in unserem Körper sind diese Moleküle unterwegs. An der SLS sind seit vielen Jahren drei Experimentierstationen darauf spezialisiert, Proteine zu untersuchen. Genauer gesagt: ihre exakte Form zu entschlüsseln. Wir nennen das die Strukturaufklärung oder Strukturanalyse.

Und übrigens sind auch die Antikörper, die unser Immunsystem als Antwort auf das Virus erzeugt, Proteine. Aktuell kennt man aber auch deren genaue Struktur noch nicht.

Wofür ist diese Strukturaufklärung gut?

Einerseits würde es enorm helfen, einen Impfstoff gegen das Virus zu entwickeln.

Andererseits braucht man die Strukturanalyse, um Medikamente zu entwickeln, die das Virus bekämpfen können. Denn wenn man die genaue Form eines Virus-Proteins kennt, kann man exakt dazu passende medizinische Wirkstoffe suchen oder chemisch zusammenbauen. Dieses Vorgehen heisst Structure-based drug design. Wir haben hier am PSI eine Art Bibliothek, die Fragmente von Medikamentenmolekülen enthält. Die kann man durchprobieren, um zu schauen, welche davon passgenau an Teile des Virus’ binden können. Das ist dann ein Startpunkt, um ein Medikament zu entwickeln.

Müssen wir uns Sorgen machen, dass die PSI-Forschenden sich bei ihrer Arbeit an ihren Proben infizieren könnten?

Nein, auf gar keinen Fall. Die Stärke der SLS liegt in zwei Bereichen: Wir können die Röntgenstrahlung unserer Anlage nutzen, um Gewebeproben von Corona-befallene Lungen anzuschauen. Das könnte für die Diagnostik hilfreich sein und da erreichen wir an der SLS eine viel höhere Bildauflösung als die konventionellen Geräte in den Spitälern.

Oder wir gehen in noch kleinere Dimensionen und nehmen die Proteine des Virus unter die Lupe. Aber weder an den entsprechend vorbehandelten Gewebeproben noch an den Proteinen die nur Bruchteile des Virus darstellen kann man sich anstecken.

Im Übrigen sind wir hier an der SLS nur für  Biosicherheitsstufe 1 ausgelegt. Wir haben hier nie an intakten Viren geforscht, das ist weder unsere Stärke noch unser Anliegen.

Wird an der SLS derzeit nur noch am Coronavirus geforscht?

Nein. Wir haben noch ein anderes Anliegen: Bei uns haben schon immer kleine und mittlere Unternehmen – KMUs − ihre Proben untersucht. Oder sie haben ihre Proben an uns geschickt und durch unsere Forschenden untersuchen lassen. Da geht es vor allem um Pharmaunternehmen, die Wirkstoffe entwickeln. Wenn wir deren Proben jetzt nicht bearbeiten würden, läge neben Restaurants, Friseursalons und so weiter ein zusätzlicher Teil der Wirtschaft über Wochen brach – und die Entwicklung von lebenswichtigen Medikamenten würde verzögert.  Wir tragen dazu bei, dass das nicht geschieht, und haben diese Untersuchungen explizit nicht gestoppt. Wir haben im Gegenteil sogar unseren sonst üblichen Shutdown über die Osterfeiertage verschoben. Und wir bekommen von den KMU die Rückmeldung, wie froh sie darüber sind.

Wie erleben Sie die Moral unter den PSI-Forschenden in diesen Tagen?

Aus meiner Sicht ist die sehr gut. Es ist sicher nicht einfach: Die Leute müssen die Abstandsregeln des Bundesamts für Gesundheit einhalten und sollen nur ans PSI kommen, wenn es unbedingt notwendig ist. Diejenigen, die ins Labor kommen, haben daher eine hohe Belastung und kämpfen zugleich mit der Einsamkeit vor Ort. Trotz all dem erlebe ich die Forschenden sehr engagiert. Ich habe gerade von einer unserer Gruppen gehört: Da hat ein Forscher hier vor Ort das Experiment durchgeführt und hatte dabei die Unterstützung von zwei Kollegen, die aus dem Home-Office virtuell dabei waren. So liess sich dieses komplexe Experiment bewerkstelligen, für das es die Erfahrung und das Fachwissen von allen dreien brauchte. Kurz: Es findet auf Distanz noch wirklich viel und gute Teamarbeit statt. Das finde ich beeindruckend.

Interview: Paul Scherrer Institut/Laura Hennemann

Kontakt/Ansprechpartner:

Dr. Oliver Bunk
Leiter des Labors für Makromoleküle und Bioimaging
Paul Scherrer Institut, Forschungsstrasse 111, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 30 77, E-Mail: oliver.bunk@psi.ch [Deutsch, Englisch]

Weiterführende Informationen

Forschung zu Covid-19