Perfekte Strahllinien merkt man nicht

Interview mit Luc Patthey

Luc Patthey ist für das Design und die Umsetzung der Strahllinien für den Freie-Elektronen-Röntgenlaser SwissFEL verantwortlich. Im Interview erklärt er, welche Anforderungen die Strahllinien erfüllen müssen, damit die vom SwissFEL erzeugten Röntgenlichtpulse in der optimalen Form zu den Experimenten gelangen und welche Rolle Kooperationen bei der Entwicklung von Strahllinien spielen.

Am PSI wird gerade der Freie-Elektronen-Röntgenlaser SwissFEL gebaut. Sie sind für das Design und die Umsetzung seiner Strahllinien verantwortlich. Was ist eine Strahllinie und wofür braucht man sie?

Der Physiker Luc Patthey ist am Freie-Elektronen-Röntgenlaser SwissFEL für das Design und die Umsetzung der Strahllinien verantwortlich. (Foto: Scanderbeg Sauer Photography)
Damit die Experimente am SwissFEL gelingen, muss sichergestellt werden, dass die Röntgenlichtpulse die für die Experimente erforderlichen Eigenschaften erfüllen. Zum Beispiel ermittelt das abgebildete Gerät die genaue Position der einzelnen Röntgenlichtpulse. (Foto: Scanderbeg Sauer Photography)
Previous slide
Next slide

Der SwissFEL wird Röntgenlichtpulse erzeugen, die uns ganz neue Möglichkeiten zu forschen eröffnen. Mit den Strahllinien werden diese Pulse zum Experiment transportiert. Dabei werden sie über Spiegel in die richtige Richtung gelenkt und auch je nach Anforderungen des Experiments in die benötigte Form gebracht, zum Beispiel kann man sie fokussieren oder ihre Wellenlänge innerhalb eines vorgegebenen Bereichsvariieren. Jeder der rund 100 Röntgenlichtpulse, die der SwissFEL pro Sekunde erzeugt, ist anders. Um die für die Experimente erforderlichen Eigenschaften sicherzustellen, werden sie daher zudem Puls für Puls so exakt wie möglich vermessen. Auch wird die Ankunftszeit der Röntgenlichtpulse bei der Strahllinie erfasst.

Warum ist es wichtig, die Ankunftszeit der Röntgenlichtpulse bei der Strahllinie zu wissen?

Man benötigt diese Information für bestimmte Experimente, bei denen ein konventioneller Laser in einer Probe jenen Vorgang aktiviert, den man untersuchen will; wenige Femtosekunden später durchleuchtet sie dann ein Röntgenlaser-Puls. Damit kann man herausfinden, was sich in diesen Femtosekunden in der Probe getan hat. Zum Beispiel kann man so chemische Reaktionen beobachten, die für bisherige Untersuchungsmethoden einfach zu schnell waren. Hier die beiden Laser mit der geforderten Exaktheit zeitlich aufeinander abzustimmen ist eine immense Herausforderung. Damit Sie sich die zeitlichen Dimensionen, mit denen wir es hier zu tun haben, vorstellen können: Eine Femtosekunde ist die Zeit, die das Licht braucht um 0,0003 Millimeter zurückzulegen.

Betreffen diese hohen Anforderungen an Exaktheit nur die Anlage selbst oder auch das Gebäude für die Anlage?

Auch das Gebäude. Wegen dieser Anforderungen an die zeitliche Abstimmung darf im Strahlkanal die Temperatur um höchstens 0,1 Grad von 24 Grad Celsius abweichen. Schon die kleinste, durch Temperaturschwankungen verursachte Materialausdehnung bzw. -schrumpfung würde unser «Zeitmanagement» durcheinanderbringen und unsere Experimente vereiteln.

Wenn schon kleinste Materialveränderungen ein Problem sind: Hat dann die Diagnostik oder die Strahllenkung mit all ihren Komponenten nicht ebenfalls ein gewisses Störpotenzial?

Unsere Aufgabe ist zu schauen, dass hier nichts passiert. Die Qualität der Röntgenpulse und ihrer zeitlichen Abfolge darf auf keinen Fall beeinträchtigt werden. Die perfekte Strahllinie merkt man nicht. Sie müssen sie sich wie eine Brille vorstellen: Wenn man eine Brille benutzt, sieht man die Brillengläser auch nicht. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Genauigkeit, mit der wir die Komponenten für die Strahllinien bauen müssen.

Wie genau müssen die Komponenten denn sein?

Nehmen wir die eingangs erwähnten Spiegel zur Lenkung der Röntgenpulse: Sie sind rund achtzig Zentimeter lang, und auf dieser Länge ist ihre Oberfläche auf drei Nanometer genau glatt. Zur Veranschaulichung, was das bedeutet: Stellen Sie sich vor, Sie würden von St. Gallen nach Genf gehen und eine Route über das Matterhorn wählen. Wäre die Schweiz so eben wie unsere Spiegel, dann müssten Sie nur drei Millimeter Höhenunterschied überwinden anstatt der jetzigen 4500 Meter. Sie können sich vorstellen, welche Anforderung das an die Herstellung der Spiegel stellt: Diese Spiegel werden mehrere Monate lang nur poliert.

Bei all diesen hohen Anforderungen an die Komponenten – wie sieht es mit deren Entwicklung aus: Macht das PSI hier alles selbst oder gibt es Kooperationen?

Sowohl als auch. Wir haben mit unseren Experten am PSI natürlich bereits ein beeindruckendes Knowhow vor Ort. Wir lassen uns beim Design der Strahllinien aber natürlich auch von anderen Anlagen inspirieren. Der internationale Austausch ist rege und die wechselseitige Unterstützung gross: Wir kooperieren mit Kollegen vom deutschen Synchrotron DESY und vom Röntgenlaser European XFEL, vom japanischen Röntgenlaser SACLA oder vom US-amerikanischen Röntgenlaser LCLS. Andere Komponenten bauen wir hier am PSI in Zusammenarbeit mit international tätigen oder lokalen Firmen.

Der SwissFEL wird ab Ende 2016 in Betrieb genommen. Anfangs soll es eine Strahllinie geben, eine zweite ist aber geplant. Wofür benötigt man zwei Strahllinien?

Der SwissFEL wird zwei Arten von Röntgenlichtpulsen erzeugen – so genannte «harte» Röntgenlichtpulse, die eine kurze Wellenlänge haben, und «weiche» mit einer längeren. Das heisst, mit den beiden SwissFEL-Strahllinien lässt sich eine grosse Vielfalt an Experimenten durchführen. Damit können wir optimal auf die Bedürfnisse von Forscherinnen und Forschern aus der Schweiz, aber auch aus anderen Ländern eingehen.

Strahllinien für eine neue Grossforschungsanlage zu planen und zu bauen ist keine alltägliche Aufgabe – was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit besonders?

Jede Strahllinie ist einzigartig und man betritt bei ihrer Entwicklung zum Teil unbekanntes Terrain. Dieser Aspekt meiner Arbeit gefällt mir sehr. Dass ich gerne in unentdecktes Neuland vordringe, hat sich bei mir bereits als kleiner Junge gezeigt: Als die Waschmaschine meiner Oma einmal kaputt ging, habe ich das Gerät in seine Einzelteile zerlegt und konnte es reparieren, ohne zu Beginn zu wissen, wie das funktioniert. Die Waschmaschine ist danach noch viele Jahre gelaufen. Diese Freude am Experimentieren und Entdecken habe ich mir bis heute erhalten und profitiere nun bei der Umsetzung der Strahllinien für den SwissFEL davon.

Interview: Paul Scherrer Institut/Martina Gröschl


Zur Person
Luc Patthey promovierte in Physik an der Universität Lausanne. Nach einer kurzen Zwischenstation an den Universitäten Uppsala und Fribourg kam er zur Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS ans Paul Scherrer Institut PSI, wo er zuletzt die Spektroskopie-Gruppe leitete. Seit 2012 ist er als Teilprojektleiter Photon Beamlines & Instrumentation für die SwissFEL-Strahllinien verantwortlich.